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Zu spät geborene ?

■ Betr. „Von der Fahrrad-Mafia umzingelt“ 19.1.90

Seit Joseph Goebbels dürfte bekannt sein, daß die entscheidenden Schlachten diejenigen sind, die zur Durchsetzung von Ideologien geschlagen werden. Sie sind die Voraussetzung zum Gewinnen der eigentlichen Schlachten, machen sie nicht selten sogar überflüssig. Heiner Geißler prägte - seinen Lehrmeister übertreffend - den Satz „heute werden nicht mehr Länder, sondern Begriffe besetzt“. (...) Von ZeitungsmacherInnen, zumal wenn sie in einer mehr oder weniger alternativen Zeitung arbeiten, würde ich erwarten, daß sie sich über die Bedeutung ihrer Arbeit für die Bildung von Meinungen bzw. Ideologien bewußt sind. Speziell die taz sollte eigentlich aus der Diskussion über die „gaskammervolle Diskothek“ gelernt haben. Denkste: „Von der Fahrrad-Mafia umzingelt“ !? Mafia ist bekanntlich ein Begriff für eine Verbrecherorganisation, die aus Gründen der Bereicherung mit allen Mitteln bis hin zu Rufmord, Bestechung, Mord skrupellos ihre Interessen gegen andere Menschen durchsetzt. Die Kokain-Mafia ist so ein aktuelles Beispiel. Diesbezüglich hat sich die taz weitgehend dem „seriöseren“ Begriff ( Medellin) „Kartell“ angepaßt. Klar, daß dann Platz für den Gebrauch des Begriffs „Mafia“ an anderer Stelle ist. Was waren das nun für „Mafiosi“, die sich bei der gemeinsamen Veranstaltung des Vereins Klönschnack und des Verkehrsclubs der Bundesrepublik Deutschland (VCD) letzten Mittwoch trafen? Es waren 30 Menschen, die sich Gedanken machen wollten, wie trotz der massiven Auto-Lobby im Interesse aller Lebewesen das Auto, eine der umweltschädlichsten Techniken, als Verkehrsmittel ersetzt werden können. Daß plötzlich große Euphorie auftrat, als eine Autofahrerin wissen wollte, wer denn kein Auto mehr habe, und nur 6 Hände nicht hochgingen, war verständlich. (...) Es wurden reichlich Beispiele geschildert, wie autofreie BürgerInnen belächelt, gehänselt, diffamiert wurden und ebenso Beispiele, wie sie sich Respekt verschafften, wenn sie über mehrere Jahre durchhielten. Es war zu hören, wie eine Frau ihren Mann erst überredete und dann durch die reale Erfahrung überzeugte; eine Mutter von drei Kindern aus Grasberg schilderte, wie sie trotz der schlechten öffentlichen Verkehrsverbindungen ihren Entschluß durchhält; und nicht zuletzt wurde darüber gesprochen, wie sich das Leben ohne Auto ändert: weniger hektisch, weniger aber dafür tiefergehende Kontakte zu Freunden, mehr Lebens -qualität. Und daß diese „Mafiosi“ bei Notwendigkeit auch mal ein Auto leihen, niemanden „umzingeln“ (übrigens ein militärischer Begriff), sondern den offenen Austausch suchten ohne Andersdenkende zu diffamieren, wurde nach Schluß der Veranstaltung deutlich, als die Fahrrad-, ÖPV-und Autobenutzer im Treppenhaus und auf dem Bürgersteig noch über eine Viertelstunde weiterdiskutierten. Aber davon bekam die vermutlich zu spät geborene taz-Reporterin nichts mehr mit, da sie trotz der vor der Nase wegefahrenen Straßenbahn schon auf dem Nachhauseweg war, vielleicht in Gedanken über eine möglichst reißerische Aufmachung ihres Artikels versunken. Die Hälfte der DiskussionsteilnehmerInnen mußte auf dem Weg zur Kneipe noch mitansehen, wie eine Fußgängerin in der Humboldtstraße von einer Autofahrerin angefahren wurde. Als Reaktion auf die Forderung nach einer Autoabschaffungsprämie erhielten der VCD übrigens zwei spontane Beitrittserklärungen und einen anonymen Drohbrief. Mit der Bitte, in Zukunft beim Schreiben mehr zu denken und

freundlichen Grüßen Konrad Zaiss

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