Zu laut für den Frieden

Seit Jahren betet und bettelt Lama Gelek in der Wilmersdorfer Straße. Ein Anwohner beschwerte sich über dessen Trommeln. Die Polizei griff rüde zu

„Ein klarer Fall von Ausländer-feindlichkeit“

von GERD SCHIRMEYER

Seit sechs Jahren sitzt der Tibeter Ngawang Gelek fast täglich in der Wilmersdorfer Straße. Nun sucht sich der einzige in Berlin lebende Lama die Öffentlichkeit unter einem Dach. Am Sonntag will er im Dahlemer „Haus der Heilung“ nicht nur drei Stunden meditieren, sondern auch über seine unsanfte Festnahme durch zwei Polizisten am 31. Januar berichten. Der Stein des Anstoßes: Lärmbelästigung. Die Folgen: Prellungen am Körper des Beters und gegenseitige Anzeigen.

„Das habe ich so nicht gewollt“, sagt ein völlig entnervter Anwohner, der namentlich nicht genannt werden möchte. Er ist Student für Umwelttechnik und hat Geleks Lärm mit digitalen Geräten gemessen. Zweihundertmal habe er den Lama gebeten, leiser zu trommeln, weil „die kurzen Trommelimpulse mit hoher Flanke in meinen vierten Stock schallen und mit fast 80 Dezibel alles durchdringen, sechs Jahre lang sechs Stunden täglich“.

Das Umweltamt hatte dem Beter die freie Religionsausübung zunächst gewährt. Doch dann stufte es ihn als Straßenmusiker ein, der, wie alle anderen, nach 15 Minuten weiterwandern muss. Der Anwohner rief am letzten Januartag, mit dem Amtsbrief wedelnd, wieder mal die Polizei herbei und erstattete Anzeige. Die kam und forderte den Asiaten auf, sofort zu verschwinden. Dem Lama verging sein sonst so ansteckendes Lächeln. Er stellte sich stur. Schließlich hatte er dem lärmgeplagten Nachbarn zuliebe schon sein Glöckchen zu Hause gelassen, das den immer zur Weißglut brachte.

„Zwei Funkstreifenpolizisten“, erzählen zwei Zeugen, „bauten sich breitbeinig vor dem auf dem Pflaster hockenden Beter auf und befahlen ihm zu verschwinden. Dessen Trommel hing mit einem Riemen am Fuß, er kam nicht augenblicklich hoch. Da trat einer der beiden Beamten dem Tibeter kräftig gegen das Schienbein.“ Aus ihrem nahen Wurststand beobachten Thomas Noffke, 41, und Siegfried Zöllner, 61: „Grundlos schrien die Beamten den Mann an. Passanten blieben verwundert stehen und empörten sich mit Buhrufen und Pfiffen. Einer der vom Sturm der Entrüstung verunsicherten Polizisten stieß dem Tibeter, der keinerlei Widerstand leistete, ein Holzbein seines Hockers in die Rippen.“ Lama Gelek selbst sagt: „Dann stopften sie mein Geldgefäß, mein Sitzkissen und meinen kleinen Teppich in meine Taschen und zerrissen mein Gewand.“ Noffke tippt: „Ein klarer Fall von Ausländerfeindlichkeit.“

Die Beamten bugsierten den Buddhisten in den Polizeibus. Festgenommen, weil er sich nur mit der Kopie seines Passes auswies und weil die Anzeige des Anwohners vorlag. „Die Beamten mussten den Verstoß beenden“, erklärt Polizeisprecher Uwe Kozelnik auf Anfrage, „der Tibeter zeigte sich wenig kooperativ. Ob Gewalt im Spiel war, ermittelt jetzt das Landeskriminalamt.“

„Passanten stellten sich protestierend vor den Streifenwagen“, erzählt Wurstverkäufer Noffke, „alle waren in Rage, die Situation eskalierte.“ „Da ließen die Polizisten den Motor aufheulen und rasten mit Affenzahn im Zickzack durch die Fußgängerzone“, schildert Zeuge Stefan Sauer, „fast hätten sie mich überfahren.“ Er erstattete Strafanzeige.

Als Gelek per Handy einen Hilferuf bei seiner Frau unternahm, entrissen die Beamten ihm das Mobiltelefon und steckten es ihm in den Mantel, ohne es jedoch auszuschalten. Die Ehefrau des Tibeters war nicht zu Hause und so zeichnet der Anrufbeantworter 60 Sekunden lang Wortfetzen aus dem Polizeibus auf. „Ich hau dir gleich aufs Maul“, ist dort ein Polizist zu hören.

„Ihr dürft mich nicht schlagen“, flehte Gelek immer wieder laut später angefertigtem Polizeiprotokoll, „Sie benehmen sich ja wie chinesische Polizisten. Wir leben aber nicht in China, wo Menschenrechte nicht geachtet werden. Ich bete an meinem angestammten Platz für den Frieden.“

Geleks Deutsch ist schwer verständlich. Ein Beamter habe ihm entgegnet, „dass ich in Tibet beten solle, aber nicht in Deutschland“. Sie brachten Gelek in eine Zelle. Nach seiner Freilassung ging er zum Röntgen ins Krankenhaus, ließ eine Prellung attestieren und zeigte die Beamten wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung an. „Ich bin in Tibet während meiner dreijährigen Gefangenschaft aus politischen Gründen geschlagen und gefoltert worden“, sagt der Lama. „Bisher habe ich hier das korrekte und freundliche Verhalten der Polizei gegenüber der Bevölkerung schätzen gelernt. Es dient mir stets als Beispiel einer gut funktionierenden Demokratie, wie ich sie mir für mein Heimatland so wünsche.“

Die Polizei beschuldigt den Lama der Verleumdung zum Nachteil eines Polizeibeamten. „Ein bisschen unglücklich gelaufen“, räumt Gerald Reiher vom Bezirksumweltamt ein, „unsere jüngste Schallimmission zeigte 59 von 60 zumutbaren Dezibel an.“ Und fügt dann noch hin zu: „Um des lieben Friedens willen hätte der Lama nach all den Beschwerden den Platz räumen sollen, doch er ist beratungsresistent.“

Sonntag, 24. 2., ab 19 h im Tara-Zentrum im „Haus der Heilung“, Dahlem, Garystraße 12 b, U-Bhf. Thielplatz: Meditieren mit Lama Gelek, 22 h Stellungnahme