Zu Guttenberg in Kundus: 13.30 Uhr, die Frisur sitzt
Kriegsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat die deutschen Truppen mit einem Blitzbesuch überrascht. Er sah dabei mal wieder sehr gut aus.
Eine halbe Stunde Zeit hat sich Verteidigungsminister Karl- Theodor zu Guttenberg genommen, um mit einfachen Soldaten zu reden. Es wird ein freundliches Gespräch: "Die Ausbildung?" - "Ist gut." - "Muss man die Ausrüstung verbessern?" - "Man kann immer etwas verbessern." Die Soldaten sind unsicher, was sie dem Minister sagen dürfen. Die Forderungen der Armee haben zuvor die führenden Offiziere vorgetragen.
Ob und wie die Ausrüstung verbessert wird, wolle er später bekannt geben, erklärt Guttenberg vor seinem Abflug. Zugleich weist er die Forderung von SPD-Chef Sigmar Gabriel nach einem neuen Bundestagsmandat für den Einsatz in Afghanistan zurück. Er wolle den Soldaten deutlich machen, dass die deutsche Politik hinter ihnen stehe, und erfahren, wie die Politik sie unterstützen könne. Zu diesem Zweck ist er zu einem nicht angekündigten Besuch im Bundeswehrlager in Kundus eingetroffen, begleitet von Abgeordneten aller Bundestagsfraktionen mit Ausnahme der Linken.
Kurz nach seiner Ankunft hat der Minister den Zug geehrt, der die Kämpfe von Karfreitag geführt hat. Und er hat den US-amerikanischen Hubschrauberbesatzungen eine Ehrenmedaille in die Hand gedrückt, die die verletzten deutschen Soldaten herausgeholt haben. "Unter vollem Beschuss sind die da hineingeflogen", sagen deutsche Soldaten voll Bewunderung. "Das hätten unsere nie gemacht." Zwei oder drei Tote mehr hätte es geben können, wenn diese US-Piloten nicht gewesen wären. Ihrem Mut lobte der Minister vor dem Ehrenmal für die gestorbenen deutschen Soldaten.
Bewunderung schwingt auch mit, wenn deutsche Soldaten davon berichten, dass eine amerikanische Spezialeinheit anhand von Fotos, die die Taliban selbst veröffentlichten, Verantwortliche für den Hinterhalt, in den das deutsche Kommando geriet, liquidierte.
Eigentlich soll die Bundeswehr den afghanischen Aufbau unterstützen. Aber wenige Kilometer von der Kreisstadt Kundus entfernt ist Taliban-Land. Da kann die Bundeswehr nichts aufbauen. Sogar bei einer Fahrt in die Stadt Kundus hinein gilt inzwischen die höchste Sicherheitsstufe. Vor wenigen Tagen fuhr ein "Wolf", ein gepanzerter Jeep, über eine Sprengfalle. Das passierte wenige hundert Meter vor dem Tor des Isaf-Lagers. "Glück gehabt", sagt einer der Insassen des Fahrzeugs und zeigt auf das verbogene Blech an der Unterwand des Wagens.
Kontakt zu den Menschen, für die sie diesen Krieg führen, haben die deutschen Soldaten praktisch nicht. So passiv, wie sich die Bundeswehr aufführt, könne man Partisanen nicht besiegen, hat dieser Tage ein afghanischer General dem deutschen Befehlshaber in Kundus ins Gesicht gesagt. Die Deutschen können sich umgekehrt nicht vorstellen, dass in ein paar Jahren die afghanische Armee für die Sicherheit im Lande sorgen können wird: "Die gehen raus und schießen einfach alles tot", sagt ein Offizier. Aber um großflächig präsent zu sein, um einen Wiederaufbau gegen die Aktionen der Taliban abzusichern, fehlt es an Soldaten. Und an ausgebildeter afghanischer Polizei.
Für jeden toten Kämpfer kommt einer, der ihn rächen wolle und müsse, sagen die deutschen Befehlshaber. Überzeugen müsse man die Bevölkerung, dass sie sich nicht auf die Seite der Taliban schlagen sollten. Nach Ansicht der deutschen Militärs werden viele Bauernsöhne auch schlicht erpresst, sich den Taliban anzuschließen. Oder mit Geld gelockt. Arbeitsplätze wären das Mittel, die Rekrutierung neuer Kämpfer zu verhindern.
Wie schwierig das ist, zeigt das Beispiel der Ortschaften um Chardara, das in der Nähe der Stelle liegt, wo im September die zwei entführten Tankwagen mit Raketen zerstört wurden und rund hundert Menschen zu Tode kamen. Die alten, bärtigen Männer, mit denen sich die Bremer Bundestagsabgeordnete Marieluise Beck im Büro der afghanischen Menschenrechtskommission getroffen hat, bestreiten, dass die meisten der getöteten Männer Taliban-Kämpfer waren. Sie zeigen Fotos von ihren Familienangehörigen. Bis heute hat sich niemand im Namen der Bundesregierung bei diesen Menschen entschuldigt, was sie am meisten kränkt.
Ob sie mehr Projekte brauchen, um Arbeitsplätze für junge Leute zu schaffen? "Meine Söhne sind tot, für wen Arbeitsplätze?", antwortet einer der Alten. Und was sie darüber denken, dass die Deutschen auch für Frauen Arbeitsplätze schaffen wollen, damit sie selbstständiger werden? Darauf will keiner der Alten antworten. Was in seinem Dorf fehle, sagt dann einer, seien Elektrizität, die Befestigung der Straße und eine Gesundheitsstation. Er hebt seinen Kaftan hoch, zeigt der Bundestagsabgeordneten aus Bremen seinen aufgequollenen Bauch. Ob jemand von den deutschen Ärzten ihm helfen könne.
Der Vertreter der Bundeswehr, der bei dem Gespräch mit den Ältesten dabei ist, winkt gleich ab. Medizinische Hilfe - so nicht. Strom und Straßenbau in Gegenden, die von den Taliban kontrolliert werden, wird es wohl auch nicht geben. So ziehen die alten Männer mit leeren Händen ab.
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