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Zu Bob Dylans 70. GeburtstagWas ist dran am alten Mann?

Schon gut, heute wird er 70 Jahre alt. Aber gibt es einen Grund, im Zeitalter der Lady Gaga noch Bob Dylan zu hören?

Auf PJ Harvey stehen Frauen um die 40, für die Feminismus und Rock'n'Roll immer schon Schwestern im Kampfe waren. Auf Mastodon stehen Männer um die 30, die ihre Haut für das Einstechen von Botschaften und Symbolen zweitnutzen. Auf Justin Bieber stehen Mädchen um die 15, denen die Liebestränen aus den Augen spritzen, wenn er "One less lonely girl" singt. Auf Madonna standen anfangs vor allem schwule Hedonisten mit einer Schwäche für Outfitbandbreiten zwischen Leggins und Seidenmaxikleidern.

Bob-Dylan-Fans sind Männer in ihren besten Jahren.

"Best-Ager".

Heteros.

Sie sind jünger als Dylan selbst, als er sich 1961, mit 20 Jahren, unter die Beatniks im Village mischte. Sie haben ihn erst ein paar Jahre später richtig entdeckt, zumindest in nichtenglischsprachigen Ländern auch, weil zuvor ihr Englisch besser werden musste. Sie bewunderten diesen jungen, mageren, schlecht gelaunten Mann nie wegen seines Sexappeals, denn das war nicht möglich und nicht nötig - Dylan ging in seinen Texten nicht mit Frauengeschichten hausieren, stattdessen hatte er sie einfach, mit einer aufregenden Folk-Intellektuellen nach der anderen.

 

Poetisch, rätselhaft, verkopft und symbolhaft

Aber es ging ihm um Wichtigeres. Und als seine Fans ihr Englisch so weit aufpoliert und Dylan seine Gitarre dazu elektronisch ein bisschen lauter gedreht hatte, verstanden sie es: Der Nebenwiderspruch Liebe stand neben dem Hauptwiderspruch Leben. Genau wie die Nebensache Musik neben der Hauptsache Texte. Dylan nützt nicht viel, wenn man kein Englisch kann. Andere, zeitgleiche Musiklegenden sind weniger subtil: Patti Smith schrieb in ihrer Biografie einst über den Sex im Rock n Roll, wie er sie als pubertierender Teenie packte und in einen emotional und körperlich aufgeladenen, verschwitzten Glückszustand schoss. "I just wanna make love to you", egal ob in der Muddy-Waters- oder der Rolling-Stones-Version, versteht man selbst mit rudimentären Fliegerenglisch-Kenntnissen. Elvis ist in seiner verschämt-eindeutigen Zweideutigkeit über jeden Zweifel erhaben.

Dylan dagegen ist poetisch, rätselhaft, verkopft und symbolhaft. Er kann direkt sein, aber ist selten persönlich. Er beschreibt einen Zustand, braucht sich selbst aber nicht als Referenz dazuzusetzen. Während Erykah Badou in "Me" der Welt verrät, dass ihre beiden Kinder von verschiedenen Männern stammen, die sie beide liebte, wird Dylan selten so intim. Denn erstens sind Dylans Texte Gedichte, bildlich dicht und genau, umfassend interpretierbar und - trotz seiner Abneigung dagegen - voller Parolen, die man politisch, gesellschaftlich und emotional wunderbar einsetzen kann. Und zweitens ist er ein Mann, und die Hamburger Band Fischmob nannte ein Album einst: "Männer können seine Gefühle nicht zeigen". Vor allem nicht, wenn sie gerade bissig die Probleme der Welt kommentieren.

Dylan gniedelt keine selbstvergessenen Gitarrensoli, trotz des damaligen Skandals um den elektrisch verstärkten Ton benutzt er den Verstärker nicht als dB-starke Potenzschleuder: Er will einfach nur seine Lyrics untermalen. Hätte er je einen Literaturnobelpreis bekommen, vielleicht hätte er das bisschen Gitarre auch ganz drangegeben. Im Gegensatz zum Männermusiker Johnny Cash macht Dylan zudem selten Musik, die man mal eben irgendwo im Radio hört und als Melodieohrwurm im Kopf behält, ohne zu wissen, worum es geht. Obwohl die Melodien durchaus das Zeug dazu haben!

Er ist das Gegenteil einer Künstler- und Kunstfigur, die sich den kleinsten gemeinsamen Popnenner sucht, so wie die dieser Tage mindestens ebenso durch die Kulturressorts walzende Lady Gaga, die ihren Deppentechno durch das entsprechende Outfit intellektuell frisiert, und sich damit in die Feuilletons und Großraumdissen dieser Welt katapultiert hat hat. Gaga alias Stefani Germanotta und Dylan alias Robert Zimmerman, beide jüdisch verwurzelt und - den Grundsätzen ihres Landes folgend - nie wirklich vom Glauben abgekommen, beide talentierte MusikerInnen, hatten jedoch beide den richtigen Blick für "the Zeitgeist": Dylan subsumiert Protest und Poesie, Bürgerrechte und Bewusstsein. Gaga tut dies mit Provokation und Pop, mit Genderbending und stilsicherer Oberflächenbearbeitung.

Jenseits der Singleausstattung des landläufigen Party-DJs

Man muss ihm eben immer zuhören, denn egal ob er einen als Hommage an seine Vorbilder und die US-amerikanische Segregationsgeschichte zu verstehenden Blues interpretiert oder sich in seiner irritierenden Newborn-Christian-Phase der 80er vom Blut des Lamm Gottes retten lässt: Es geht um mindestens alles. Richtig zu Dylan entspannen können sich nur Menschen, die sich bei "The times are a-changing" und "Hurricane" nostalgisch an eine Zeit voller Sturm und Drang erinnern, in der sie vieles und sich selbst in Frage stellten, was sie heute nicht mehr tun. Doch die Texte kennen sie noch auswendig, und so summen sie jetzt einfach nur den Refrain mit. Dieses Phänomen des entpolitisierten Konsumierens ergab und ergibt sich mit allen epochemachenden Hits: Wenn man sieht, wer und wie zu "My generation", "Anarchy in the UK" oder "Thats Entertainment" tanzt, dann ist man froh, dass "Like a rollin stone" nicht zur Singleausstattung des landläufigen Party-DJs gehört.

Für die meisten anderen MusikfreundInnen, die ihn nicht von früher kennen, ist Bob Dylan schlichtweg anstrengend. Zwar in den letzten 20 Jahren aus unterschiedlichen Gründen - seine Launenhaftigkeit hat schon enervierend gleichförmige Konzerte heraufbeschworen, seine Mundfaulheit kann live extrem nerven. Doch Folkmusik, wie er sie versteht, kommt eben nicht aus einer glücklichen Gleichgültigkeit. Sondern aus einer rastlosen, auf die Umwelt bezogenen Unzufriedenheit. Einer Wurzellosigkeit, das Schlimmste für den heimatverbundenen Amerikaner. "I aint got no home in this world anymore", hatte Dylans Vorbild, der ebenfalls schnarrende, ebenfalls musikalisch unprätentiöse Woody Guthrie das einst genannt. Und jene Unzufriedenheit ist, wie immer, die Wurzel aller Kreativität. Solange Dylan, der heute 70 Jahre alt wird, sauer bleibt, kann man also beruhigt sein: Aufhören kann er so einfach noch nicht.

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