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Zu Besuch im TTIP-LeseraumStocher, stocher

Abgeordnete des Bundestages dürfen TTIP-Dokumente einsehen – werden dabei aber streng überwacht. Ein Ortstermin.

Hier dürfen sich Abgeordnete ein Bild machen Foto: dpa

Berlin taz | Bärbel Höhn ist die Erste. Zehn Minuten zu früh steht sie vor dem Raum B 0.010 im Bundeswirtschaftsministerium. Die Mitarbeiter des Hauses bitten die Grünen-Politikerin, Tasche und Handy in einem Schließfach einzuschließen, auch der Mantel darf nicht mit rein. Dafür gibt es Stift und Block vom Ministerium.

Höhn gehört zu den ersten drei Bundestagsabgeordneten, für die sich die Geheimakte TTIP öffnet. Zumindest die Kapitel des geplanten Freihandelsabkommens zwischen EU und USA, die bereits besprochen wurden, inklusive der US-Position und des Textvorschlags der EU-Kommission. Seit Verhandlungsbeginn vor knapp drei Jahren hat sich Höhn für mehr Transparenz eingesetzt. Sie nennt die Einsicht in die Dokumente einen Etappensieg.

Zur 10-Uhr-Schicht sind auch zwei Abgeordnete der Linksfraktion gekommen. Einer hat eine Dolmetscherin bestellt, die ihm die Texte aus dem Englischen übersetzt. Das Gemurmel stört. „Teilweise habe ich mir die Ohren zugehalten“, sagt sie. „Das ist hier ist keine Strandlektüre, sondern der Vorläufer eines Vertrages. Es geht um völkerrechtliche Formulierungen, da muss man sich schon sehr konzentrieren.“

Der Lesesaal versprüht den spröden Charme eines Klassenzimmers, in das zur Abi-Prüfung gebeten wird. Arbeitstische, Holzstühle, an der Wand ein Schrank mit Ordnern voller Erläuterungen und Wörterbücher. Am Fenster eine Zimmerpflanze. Bis zu acht Abgeordnete oder Mitglieder des Bundesrats können gleichzeitig die Dokumente an den Rechnern lesen. Journalisten oder Vertreter von Umwelt- und Verbraucherschutzorganisationen müssen draußen bleiben. Keiner der Rechner hat eine Internetverbindung. Neue TTIP-Dokumente gehen über eine speziell verschlüsselte Leitung aus Brüssel im Auswärtigen Amt ein. Ein Bote bringt sie in den Lesesaal des Wirtschaftsministeriums.

Zwei Stunden sind drin

Zwei Kapitel hat sich Höhn für heute vorgenommen – 45 Seiten. Aber den Inhalt so zu verstehen, dass sie ihn auch bewerten kann, dauert. Zumal es in diesen Kapiteln noch kaum Einigung zwischen USA und EU gibt. Viele Notizen darf sie nicht machen, schon gar nicht ganze Passagen abschreiben. Verstößt sie gegen die Regeln, drohen ihr strafrechtliche Konsequenzen. Im schlimmsten Fall wird der Lesesaal wieder geschlossen, wenn herauskommt, dass einer vertrauliche Inhalte ausgeplaudert hat.

„Absurd“ nennt Höhn diese Restriktionen: „Solche komplizierten Verträge muss man mit Handels- und Völkerrechtsexperten diskutieren, ansonsten passiert es schnell, dass man Sachverhalte übersieht.“ Sie würde lieber ihre Mitarbeiter in den Lesesaal schicken – haben die doch mehr Zeit als sie. Höhn musste für den Termin im Lesesaal ihr Programm für die Woche komplett umwerfen.

Punkt zwölf machen die Kollegen von der Linksfraktion Schluss. Auch Höhn packt zusammen – mehr als zwei Stunden sind für die Abgeordneten nicht drin. Sie will wiederkommen. Das nächste Mal mit Kopfhörern.

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20 Kommentare

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  • Anbei ein Hinweis: Marianne Grimmenstein, eine engagierte Mitbürgerin, wird - mit Hilfe eines renommierten Rechtsprofessors - (zunächst) Verfassungsbeschwerde gegen CETA erheben, da dieser Vertrag bereits komplett ausverhandelt ist.

    Wer möchte, kann der Beschwerde KOSTENLOS beitreten. Hier gibt es nähere Informationen: https://www.change.org/p/bürgerklage-gegen-ceta

    • @Christina de Havilland :

      ;))

       

      …da simmer dabei;!¡)

  • Was regen sich denn alle so auf, von wegen undemokratisch?

     

    Deutschland hat doch bei der letzten Bundestagswahl mehrheitlich Parteien gewählt die für TTIP sind, also ist es doch der Volkswille, dass es so verhandelt wird, wie bisher (intransparent), denn das war 2013 auch nicht anders.

  • Gibt es keine rechtliche Handhabe, gegen diese demokratiefeindliche Geheimhaltung vorzugehen? Wo könnten Abgeordnete klagen? Aber auch interessierte Bürger? Wo steht überhaupt, daß solche Verträge - die ja das Gemeinwohl betreffen - geheimgehalten werden dürfen? (Das sind keine rhetorischen Fragen, sondern ernstgemeinte an Rechtskundige.)

  • Das ganze Theater ist nichts anderes als eine grandiose Missachtung der Demokratie und des Souveräns - vertreten durch die gewählten Abgeordneten - und damit des Grundgesetzes, zumindest im Geiste.

    Allein die gewählten Abgeordneten des Bundestags und des Europaparlaments sind befugt, über einen solchen Vertrag zu entscheiden. Dafür müssen sie aber frühzeitig auch schon in die Verhandlungen eingebunden werden.

    Leider ist die Mehrheit unserer Abgeordneten nicht bereit, dieser Missachtung der Verfassung durch die Exekutive einen Riegel vorzuschieben - am Ende wird das wohl wieder das Verfassungsgericht tun müssen.

  • Europa braucht keine Nazis, um die eigene Demokratie abzuschaffen.

  • Also die Vertreter der LINKEN waren Klaus Ernst und Thomas Lutze, dazu kam eine Dolmetscherin, die für alle drei bestimmt war. Und die Kopfhörer kann Frau Höhn zu Hause lassen.

    Siehe auch: https://www.youtube.com/watch?v=hhSKOkSM4YQ

    • @Julianne:

      Danke für den Link.

      Im übrigen, wenn dauernd jemand über eine noch/schon andere Stelle eines vermutlich, beschwerlich-tückenhaften Textes quasselt, den man erst mal für sich alleine verstehen möchte, will man doch verständlicherweise seine eigene Ruhe haben. (?)- Mal ganz abgesehen davon, dass diese ganze Tragikomödie eine grauenhafte Lächerlichmachung gewählter Volksvertreter ist.

      • @H.G.S.:

        Machen diese sich nicht selber lächerlich?

  • Zu der ganzen Sache kann man nur eines sagen. TTIP ist eine einzige demokratiefeindliche, bodenlose Unverschämtheit und Dreistigkeit die wirklich seines Gleichen sucht. Mehr gibt es dazu eigentlich nicht zu sagen.

  • Bisher gab es einige große Handelsabkommen, und tausende kleine.

     

    GATT, WTO, das MAI Ende der 90er, und jetzt die neue Welle mit Trips, TTIP, TISA, u.a.

    Wie ist das bei den tausenden kleinen Abkommen zwischen Branchen, Firmen und Ländern?

    Bei denen helfen häufig Delegierte aus dem Bundeswirtschaftsministerium mit; es gibt auch die UNCATD-Handelskonferenzen mit Vertretern des BMZ und BMWi.

    Die sollten also auch öffentlich und transparent werden.

    In der Kritik stehen auch die EPAs, die deutschen bilateralen Abkommen mit afrikanischen Ländern.

    Bei TTIP ist es glaube ich am nachteiligsten für die Einwohner der Länder, die nicht in den Abkommen drin sind.

  • Es gibt nur eines dazu zu sagen: "Wegschmeißen". Fertig und Aus.

    Hans-Ulrich Grefe

    • @Grefe Hans-Ulrich:

      Richtig. Es fehlen fast schon die Worte um die Absurdität - und das Unrecht - dieses Verfahrens zu charakterisieren. Aber die Kanzlerin und der Großteil unserer politischen "Vertreter" und "Vertreterinnen" machen dieses Verfahren mit, stehen sogar dahinter.

       

      Wir sind ins Mittelalter zurückgefallen, mit der Komponente der bewußten Unterwerfung und Vera...ung.

  • Das hier Beschriebene ist trotzalledem verdienstvoll - &

    Wenns als Lernprozess später mal Früchte tragen sollte -

    Umso besser - but -

     

    Hört man den rückenfliegenden Spatzen aus den vielzähligen

    Beteiligten Zentren der Macht - ihrer Städte - näher zu ~>

     

    So trägt all das denn doch den Charakter einer - sorry -

    Letalen - Vivisektion im Übergang zu einer -öh -

    Inneren Leichenschau/Leichenöffnung,...also -

    Obduktion, Autopsie, Nekropsie/Sektion!

    kurz - "....Die Sectio von Raum B 0.010;)

     

    Internationaler Handelsgerichtshof ?

    TISA CETA TTIP - Mäht Usa das denn mit?

    Wenn ich das nach IStrGH richtig seh

    Doch nicht mit Amiland - Ah geh!

    "Ne Laus im Pelz - Bin ich denn doof?"

    Bonbon am Hemd - Such olle Klette?!

    Das sagt´s - Tu ich mal Wette! -

    Ah geh! - Ah NEE!

    • @Lowandorder:

      Klar vereint con NGOs dran bleiben -

      Der Käse ist noch allang nicht gegessen!

       

      Zumal die Erkenntnis -

      "Der Fisch stinkt vom Kopf her" -

      Derzeit noch zur Entwarnung - etc -

      Leider keinen Anlaß gibt ~>

       

      Solange das AbfG -

      Keine entsprechende Änderung für Eine umweltverträgliche Beseitigung erfahren hat.

      Denn als Wirtschaftsgut dürfte das

      In seltensten Fällen durchgehen;)

  • Es ist einfach nicht zu fassen , was unsere "VolksvertreterInnen" in Sachen TTIP ( n u r ein Handelsabkommen , "nur" , eines mit Unabänderlichkeit für die "Ewigkeit" ) mit sich machen lassen .

    Zu empfehlen dazu : „Die Eroberung Europas durch die USA“ , Wolfgang Bittner ; Buch , erschienen 10/2014 , 3.Auflage

    • @APOKALYPTIKER:

      "Es ist einfach nicht zu fassen"

      ---

      So ist es. Erinnert doch sehr stark an die lachhafte Vollverarschung in Kafkas "Vor dem Gesetz". Anstatt sich darüber kämpferisch hinweg zu setzen (und damit ein weiter gehendes, massiv aufrührerisches Signal an die Gemeinschaft zu geben)- wird brav gekuscht. Dürfen "Volksvertreter" eigentlich niemals handgreiflich werden; auch nicht im Sinne des Volkes? Denn der virulente Verdacht, dass TTIP eine unvergleichlich größer dimensionierte Übergriffigkeit gegen "im Sinne des Volkes" darstellen könnte, ist einfach nicht aus der Welt zu kriegen.

      • @H.G.S.:

        Klar - früher war mehr Lametta!

        KGB-Box-Club Parli Ukraine;)

         

        "Kopf&Glied-ab-Jaeger"

        Von Onkel Herbert Wehner!

        (klar - CSU& auch mal Minister)

        &unvergessen -> "Ölprinz";))

        Jesuitenzögling Rainer Candidus Barzel

        Dagegen schwächelte ja schon

        Josef Fischer - " Mit Verlaub -

        Herr Präsident - Sie sind ein Arschloch!"

        Aber heute? -

        "Tausend Jahre Tote Hosen"

        Warb mal so ne Camino-Combo -

        Schwächlich aus Düseldorf;((

        • @Lowandorder:

          Naja, Faust in der Tasche ist manchmal erst mal besser. Aber von Fall zu Fall darf sie auch mal vorschnellen.-Ich will hier auch keineswegs Mord u. Totschlag das Wort reden aber der/die von mir gewählte Abgeordnete dürfte auch ruhig mal in SOLCHEN, so drastisch unverschämt desavouieren wollenden Verarschungsfällen sich mit Körpereinsatz Zugang zu Gesetzesvorhaben verschaffen.-Ich gebe zu, dass sowas grundsätzlich bedenklich ist, aber um was für eine zunehmend wachsende Dimension der Demütigung geht es hier eigentlich!?-Verflucht schwer, zu welchem Zähneknirschen eine derartige Situation gebeut.- Wie gesagt, ich rufe hier nicht „das Volk zu den Waffen“ aber die Abgeordneten dazu auf, sich nicht zunehmend mehr werdende, unverschämten Demütigungen gefallen zu lassen. Die Zumutungen werden ja immer irrealer.