Zu Besuch im Erfinderladen: Der Safe in der Raviolidose
Stuhlsocke, Pizzaschere, Flaschen-T-Shirt: Für jedes Problem kennt der Kapitalismus eine Lösung. Ein Besuch im Erfinderladen in Berlin-Prenzlauer Berg.
Der Kapitalismus funktioniert. Dort, wo ein Problem entsteht, liefert er die Lösung.
Der Stuhl im Wohnzimmer zerkratzt Ihren Parkettboden? Sie wissen nicht, wo Sie Ihr Geld im Campingurlaub verstecken sollen? Die Sommerfliegen nerven, aber Sie wollen deswegen nicht gleich zum Tiermörder werden? Das umständliche Auf- und Zusammenfalten des Straßenplanes in einer fremden Metropole katapultiert Sie an den Rand des Wahnsinns? Sie dürfen getrost aufatmen: Ihnen kann geholfen werden.
Im Erfinderladen in Prenzlauer Berg in Berlin. Für Ihren Problemstuhl finden Sie hier Ringelsocken, die das Zerkratzen Ihres Parkettbodens elegant unterbinden. Das Geld verstecken Sie in Cola-, Bier- oder Raviolidosen. Die Dosen wiegen dabei so viel wie ihre handelsüblichen Vorbilder, besitzen im Inneren jedoch einen aufschraubbaren Hohlraum, in dem Sie Ihre Wertsachen verstecken können. Wenn im Zelt vier Coladosen nebeneinander stehen, kann der potenzielle Dieb nicht erkennen, in welcher Brausegetränk blubbert und in welcher sich Ihre Sparbüchse verbirgt.
Nicht alle Erfindungen werden Welthits. Hier eine Auswahl der Dinge, die es nicht geschafft haben:
Bodenfreundlicher Strampelanzug: Auf die Vorderseite eines Strampelanzugs sind weiche Stofffetzen genäht. Damit das Baby auf hartem Laminat rutschen kann.
Butterstift: Handlich, praktisch, schmal. Sieht aus wie ein Klebstift. Funktioniert auch so: Aufschrauben, Butter aufs Brot schmieren.
Käse-Zigarette: Die besondere Geschmacksnote für den Raucher: Glimmstängel mit kräftiger Käsefüllung im Filter.
Kinnstütze: Ein Ständer zum Ausfahren. So lässt es sich in der U-Bahn auch stehend schlafen.
Lippenstiftschablone: Bastelanleitung: Auf einem Stück Pappe die Form des eigenen Mundes mit Bleistift nachfahren. Ausschneiden. Pappe mit einer Schnur hinter den Ohren befestigen. Loch mit dem Lippenstift ausmalen.
Spaghetti-Spritzschutz: Ein Kragen fürs Gesicht, der Tomatenflecken auf Wange, Nase und Oberlippe vermeidet.
Die lästigen Fliegen fangen Sie mit einer Druckpistole. Die Fliegen werden durch einen Sog in einen Pistolenbehälter angesaugt und können woanders wieder problemlos freigelassen werden. Und den Stadtplan gibt es für Paris, London oder Rom in handlicher Tuchform. Einfach zerknüllen, in die Hosentasche stecken und bei Bedarf wieder glattstreichen. "Die Stadtpläne können sie sogar mehrfach waschen," sagt Marijan Jordan, Mitbegründer und Inhaber des Erfinderladens.
Diesen und zahlreiche weitere interessante Texte lesen Sie in der sonntaz vom 16./17. Juli 2011 – ab Sonnabend zusammen mit der taz an ihrem Kiosk oder am eKiosk auf taz.de. Die sonntaz kommt auch zu Ihnen nach Hause: per Wochenendabo. Und für Fans und Freunde noch mehr sonntaz auf: facebook.com/sonntaz.
Jordan ist 38 und Informatiker aus Salzburg. Seine letzte Erfindung: Fußballtrikots für Flaschen. Vor 15 Jahren hat er mit seinem Partner Gerhard Muthenthaler die Firma Erfinderhaus gegründet. Damit unterstützen die zwei Österreicher Erfinder bei der Patentierung, der Vermarktung und dem Verkauf ihrer Produkte. Und die Idee für den Laden? Sie dachten, es sei schön, eine Versuchsplattform für interessante Erfindungen zu schaffen, die noch nicht als Massenware hergestellt werden. Anfang 2010 haben sie ihren Erfinderladen in Berlin eröffnet.
Das Geschäft ist ein Testmarkt für neue Erfindungen. Verkauft sich ein Gegenstand gut, kann der Urheber darauf hoffen, dass ein großes Unternehmen sein Erzeugnis irgendwann in hoher Stückzahl produziert. Bleibt die Erfindung ein Ladenhüter, wissen Jordan und Muthenthaler, dass noch was verbessert werden muss.
Auf Kommissionsbasis kann jeder Erfinder sein Werk in kleinen Serien bei ihnen zum Verkauf anbieten. Täglich treffen sieben bis acht Erfindungen aus ganz Deutschland ein, sagt Jordan, nur etwa jedes zehnte Angebot nehmen sie in ihre Produktpalette auf. Wenn sie an eine neue Erfindung glauben, begleiten sie die Tüftler vom ersten Vorschlag bis zum ersehnten Verkauf an einen Großunternehmer.
Marijan Jordan trägt Jackett, Designerbrille, Jeans, Turnschuhe und hat sich eine kindliche Begeisterungsfähigkeit bewahrt, die für seinen Beruf wohl unabdingbar ist. Verspielt und leidenschaftlich erklärt er die Erfindungen in seinem Laden. "Schauen S' hier", sagt er mit breitem Akzent, "hier finden S' Trikots von Fußballmannschaften aus der Bundesliga, die Sie den Männchen beim Tischfußball überziehen können. Dann können S' zu Hause St. Pauli gegen Bayern München kickern. Oder dort drüben finden S' eine große Pizzaschere, mit der Sie jede Jumbo-Pizza in kleine Stücke zerschneiden können."
Was man hier in den Regalen findet, ist ziemlich vielfältig. Da wäre ein Zollstock mit integrierter Wasserwaage, ein solarbetriebener Grashüpfer, der durch die Gegend hüpft – wofür man so was braucht? Das muss jeder Kunde selbst entscheiden –, ein Sudokuwürfel, der die Farben des Zauberwürfels durch Zahlen ersetzt hat, ein Facebook-Stempel mit der Aufschrift "Gefällt mir" oder diese Jacke mit integriertem Rucksack, die dafür sorgt, dass die Kinder ihren Rucksack nicht in der Kita oder beim Freund vergessen.
Noch nicht genug? Es gibt einen zweiten, einen hinteren Raum. Das "Museum für zukünftige Erfindungen". Anstelle historischer Artefakte werden dort Gegenstände in Vitrinen ausgestellt, die in die Zukunft weisen. Prototypen, die zwar patentrechtlich geschützt sind, an denen aber noch geschraubt und gedreht werden muss, bis sie wirklich fertig sind. Wie an dem aufklappbaren Mini-Grill zum Beispiel. Ob der mal ein Flop wird? Einfach durchschnittlich? Oder ein Topseller - wie jener Schlüssel, der einem farblich signalisiert, ob die Haustür verschlossen ist oder nicht?
Der Schlüssel war einer der größten Erfolge von Jordan und Muthenthaler. Eine Schlüsselkappe zeigt dem Besitzer den Sperrzustand der Tür an. Wenn ich also aus dem vierten Stock meiner Altbauwohnung hinuntereile und nicht mehr weiß, ob ich abgeschlossen habe, zeigt mir die Farbe des Schlüssels an, ob ich nochmal hochrennen muss (gelb) oder ob ich beruhigt zur Arbeit fahren kann (blau). Die Schlüsselkappe hat sich in Baumärkten hunderttausendfach verkauft.
Bis zu zwanzig Erfindungen, die Jordan, Muthenthaler und ihre 25 Mitarbeiter inspizieren, schaffen es jährlich in die Produktion. Verkaufsschlager in Berlin ist momentan ein Daumenring, der das Buchhalten erleichtert.
Für nächstes Jahr planen die Österreicher Dependancen in Köln, Hamburg und Miami. Dieses Jahr haben sie bereits einen zweiten Erfinderladen in ihrer Heimat eröffnet. Verkaufsschlager in Salzburg: eine Quietscheente mit Mozart-Kopf.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
BSW und „Freie Sachsen“
Görlitzer Querfront gemeinsam für Putin
Urteil nach Tötung eines Geflüchteten
Gericht findet mal wieder keine Beweise für Rassismus
Papst äußert sich zu Gaza
Scharfe Worte aus Rom
Waffen für die Ukraine
Bidens Taktik, Scholz’ Chance
Müntefering und die K-Frage bei der SPD
Pistorius statt Scholz!
Debatte um SPD-Kanzlerkandidatur
Schwielowsee an der Copacabana