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Zu Besuch beim WolfshundrudelDas Wilde so nah

Christian Berge lebt mit Wolfshunden auf einem Waldgrundstück. Wenn er sie in seinem Garten sehe, schaue er auf die Natur, sagt Berge.

Ein bisschen scheu, ein bisschen neugierig: Christian Berges Wolfshunde Foto: Anna-Kristina Bauer

Hamburg taz | Tala ist nicht mehr gut zu Fuß. Langsam und leicht wankend kommt er draußen vom Garten durch die flache Tür hinein in die Hütte und schaut nach dem Rechten. Neugierig ist er, sofort durchsucht er die fremden Taschen. Dann braucht der schmächtige und schwache Körper eine Pause. Tala legt sich in die Mitte, vors Sofa, und muss sich erst mal von der kurzen Anstrengung ausruhen.

„Tala ist der Älteste in meinem Rudel“, sagt Christian Berge, während er in der holzvertäfelten Hütte, die sein Zuhause ist, einen Kaffee kocht. Eine schwarze Lederhose und schwarze Stiefel trägt er, dazu eine schwarze Weste und ein schwarzes Shirt, auf dem ein fein gezeichneter Wolf gedruckt ist.

Mit den Kaffeepötten kommt er aus der kleinen Kochnische zurück und setzt sich an den kleinen Schreibtisch in der Ecke. „Tala schläft mittlerweile meistens drinnen bei mir“, sagt Berge. Das Tier hat Muskelschwund, wegen des Alters ist es drinnen im Warmen besser.

Tala ist ein Tschechoslowakischer Wolfshund. Berge lebt mit weiteren Wolfshunden – manche sagen auch: Wolfshybride – in einer Holzhütte mit großem Garten mitten im Wald, nördlich von Hannover. „48 Welpen hatte ich“, sagt Berge. Er hat sie einige Jahre gezüchtet, mittlerweile tut er das nicht mehr.

Kein Hobby für Nebenbei

Der Markt sei gesättigt. Es gibt vermutlich rund 2.000 Wolfshunde in Deutschland. Bei knapp zwölf Millionen Hunden in deutschen Haushalten fällt das kaum ins Gewicht. Aber keine Hunderasse erhält seit einiger Zeit so viel Aufmerksamkeit wie Wolfshunde.

„Wenn du als Hobby gern Tennis spielst, brauchst du gar nicht erst darüber nachdenken, dir einen Wolfshund zu holen“, sagt Berge. Mehrere Stunden oder über Nacht nicht zu Hause sein, das geht nicht. Wenn sie allein gelassen werden, kann es zu Zerstörungen im Haus kommen.

Eine zersplitterte Fensterscheibe musste Berge schon ersetzen. Einer seiner Wolfshunde sprang nach draußen, weil das plötzliche Alleinsein ohne ihn, den Rudelführer, für das Tier ein zu großer Stress war. Der Wolfshund ist nicht gern ein einsamer Wolf, in diesem Fall wird er schnell panisch.

Berge ist das, was man einen Aussteiger nennt. In seinem früheren Leben war er Anwalt. „Klassischer Dorfanwalt – Verkehrsunfälle, Scheidungen und so weiter“, sagt er. Irgendwann war er ausgebrannt. Ein seiner letzten Fälle war ein Scheidungsstreit. Der Mann habe den Haushalt geschmissen, die Frau eine hohe Beamtenstelle gehabt.

Nach der Trennung ging es um die Unterhaltskosten. „Die haben sich um 50 Euro gestritten, die die Frau trotz ihres hohen Einkommens nicht mehr zahlen wollte“, sagt Berge. Darauf hatte er keinen Bock mehr. Seit 2010 wohnt er in seiner Hütte. Und mit ihm seine Wolfshunde, die für ihn Familie sind.

Labore in den USA untersuchen genetischen Wolfsanteil

Nach bürgerlichen Maßstäben sieht es bei Berge wild aus: Die Sofas zerwetzt, der Boden sandig, die Holzbretterverkleidung angekratzt. „Es könnte wohl mal wieder renoviert werden“, sagt Berge. An den Wänden hängen auf Leinwand gedruckte Bilder seiner Wolfshunde – und Bilder von echten Wölfen.

Die Unterscheidung ist nicht ganz einfach. Erst ab der fünften Generation nach der letzten Wolfseinkreuzung gilt ein Wolf-Hund-Mischling offiziell als Hund. Und ein wild lebender Wolf hat nicht zwingend einen genetischen Wolfsanteil von 100 Prozent. „In den USA wurden mal Proben von wild lebenden Wölfen genommen: Da waren alle ganz erstaunt, dass dort 15 Prozent Kojote mit drin steckte“, sagt Berge. Streng zu klassifizieren ist das nicht.

Er klappt den Laptop auf, der auf dem kleinen Schreibtisch neben gestapelten Büchern über Wölfe liegt. Berge weiß den prozentualen Wolfsanteil seiner Hunde auf die Nachkomma­stelle. „In den USA gibt es Labore, die untersuchen das für 199 Dollar. Das gibt’s in der Form in Deutschland gar nicht.“

Einerseits erfahren die Hundehalter:innen, ob ihr Tier genetische Krankheiten hat. „Und zum anderen, was da im Tier drin ist“, sagt Berge. Er klickt eine PDF-Datei an. Vielfarbige Diagramme tauchen auf. Er zeigt auf eine dreispaltige Zeile: „Hier kannst du sehen, wie hoch der Wolfsanteil bei einem Wolfshund ist.“

„Man muss lernen, mit ihnen so umzugehen, wie sie sind“

Züchter werben auf Internetseiten mit hohen Prozentangaben. Je höher der Prozentsatz, desto begehrter scheint ein Wolfshundbaby. Für Berge sind die Angaben auch wichtig. Wolfshunde mit hohem Wolfsanteil seien viel ruhiger und damit einfacher im Umgang. Ist mehr Hund im Wolfshund, sinkt die Scheu gegenüber fremden Dingen und fremden Menschen.

Das zeigt sich an Tala, der nur einen Wolfsanteil von rund 28 Prozent hat und als einziger mit dem fremden Gast auf Tuchfühlung geht. Die anderen sind da deutlich zurückhaltender. „Das klingt jetzt komisch, aber: je höher der Wolfsanteil, desto besser“, sagt Berge.

Früher Anwalt, heute Aussteiger mit Wolfshundrudel: Christian Berge Foto: Anna-Kristina Bauer

Mit manchen Wolfshunden kann Berge sich problemlos in eine Bar setzen, mit anderen eher nicht. „Entscheidend ist: Man muss lernen, mit ihnen so umzugehen, wie sie sind“, sagt Berge. Es sind ja immer noch ein Stück weit Wildtiere: Manche kommen mit dem Stress der Zivilisation klar, andere eher nicht.

Der angemessene Umgang gelingt nicht allen. Immer wieder werden Wolfshunde wieder abgegeben, weil ihrer Halter:innen überfordert sind. Man dürfe keine Erwartungshaltung haben, meint Berge. Kommt ein Wolfshund nicht gut in menschlicher Umgebung klar, müssen die Halter:innen darauf reagieren. Wohnungen oder Hundezwinger jedenfalls entsprechen in keiner Weise den Halteanforderungen.

Die Community steht auf Facebook in Kontakt

Natürlich gibt es auch für Wolfshunde einen Schwarzmarkt. Berge schüttelt den Kopf, wenn er an die Leute denkt, die sich ohne viel Vorwissen irgendwo im Internet einen Wolfshund zulegen, um ein Stück Wildnis im eigenen kleinen Garten zu bestaunen. Als er früher noch gezüchtet hat, hat er manchen Leuten, die er für ungeeignet hielt, die versprochenen Hunde nicht gegeben. Berge kann es nicht leiden, wenn es den Tieren nicht gut geht.

Vor allem über Facebook-Gruppen vernetzen sich die Wolfshund-Halter:innen. Man kennt sich auch von gemeinsamen Wochenenden. „Da fahren die Leute schon mal 600 Kilometer, um eine gemeinsame Wanderung zu machen“, sagt Berge. Wer einen Wolfshund hat, steht viel in Kontakt mit den anderen Halter:innen und tauscht sich aus.

In den Gruppen werden viele Fotos gepostet. Einerseits schon fast kitschige Bilder der Tiere in der Natur, andererseits aber auch ungestellte Schnappschüsse: von aufgekratzten Möbeln oder anderen kaputt gegangenen Wohngegenständen. „Es sind halt Outdoor-Tiere“, sagt Berger.

Soziale Kontakte außerhalb der Wolfshund-Community sind, hat man sich einmal für einen Wolfshund entschieden, ohnehin selten. Symphatie erhält Berger von seinen etwa 20 Meter entfernten Nachbar:innen nicht. Auch andere Wolfshundhalter:innen sagen, dass die Kontakte mit Freund:innen einbrechen. Die verstünden nicht, warum man sich einen Wolfshund nach Hause holt.

Scheu und neugierig zugleich

Und der Kontakt ist auch kaum zu halten, wenn Halter:innen für längere Zeit ihr Zuhause nicht verlassen können. „Es ist eine Lebensentscheidung“, sagt Berge. Die Wolfshunde und die Community werden zur sozialen Bezugsgruppe.

Durch die Fenster rechts und links von seinem Tisch in der Ecke kann er in den Garten schauen. Während Berge von seinen gezüchteten Welpen erzählt, die überall in Europa leben, hat sich Nuno näher an das Fenster rechts gewagt, um zu sehen, was denn drinnen Spannendes zu passieren scheint. Hellweißes Fell hat er. Er ist ein amerikanischer Wolfshund. Blickt man zurück, duckt er sich kurz nach unten weg. Geht man näher ans Fenster, schreitet er weiter zurück, bestenfalls hinter einen Busch.

Berges andere Wolfshunde haben einen deutlich höheren Wolfsanteil als Tala. Draußen, in seinem 1.700 Quadratmeter großen Garten leben sie umgeben von hohen Zäunen, die das Grundstück umschließen. Neugierig sind sie schon. Ein bisschen aufgeregt und mit sicherem Abstand laufen sie um den fremden Besucher herum. Auf jede Bewegung reagieren sie mit Vorsicht. „Auf Männer deutlich mehr als auf Frauen“, sagt Berger.

Berges Garten ist keiner mit einer großen Wiese: Der Wald dringt bis auf sein Grundstück vor, hohe Fichten stehen herum. Dazwischen: riesige Löcher, die schon zum Teil die Baumwurzeln freilegen. „Die Buddeln gerne“, sagt Berge. Auch eine alte Garage, die auf dem Grundstück noch steht, ist schon zum Teil von unten freigelegt.

Und sind Wolfshunde gefährlich?

Berge schaut seinen Wolfshunden zu, wie sie ein wenig aufgeregt und neugierig umherspazieren. „Eigentlich sind das ja total langweile Tiere und auch noch stinkend faul“, sagt er. Klar, wenn sie wollen, können sie explosiv sein. Alle paar Monate liest man eine Nachricht von irgendwo, dass ein Wolfshund einen Menschen angegriffen hat. In Berges Garten ist das kaum vorstellbar. Ihr kräftiger Körper jedoch, der ein gutes Stück größer als der eines Schäferhundes ist, flößt Ehrfurcht ein.

Menschen brauchten keine Angst zu haben, sagt Berge. Unfälle passierten immer nur dann, wenn jemand sich falsch verhalte und den Hund unter Druck setze. Von Naturschutzbund Nabu heißt es, es gebe nicht mehr Angriffe auf Menschen durch Wolfshunde als durch andere Hunderassen.

Doch sollten Menschen nicht grundsätzlich darauf verzichten, Tiere zu halten, die doch eigentlich Wildtiere sind? Warum überhaupt will man einen Hund, der dem Wolf so ähnlich wie möglich aussieht?

Tierforscher:innen verweisen auf die großen Unterschiede, die es bei Wolfshunden gibt. „Das Spektrum reicht von Wolfshunden, die einer anerkannten Hunderasse angehören, bis zu Tieren, die bei Ansehen nicht von einem Wolf zu unterscheiden sind“, sagt Hana Sanders. Sie forscht an der Uni Jena zu Wildtieren und der Mensch-Tier-Beziehung.

Es braucht viel Platz

Erstere können wie andere Hunde auch gehalten werden. Beim anderen Extrem sollte das Tier, und das gilt auch rechtlich, wie ein Wolf in Wildgehegen gehalten werden. „Wenn gezüchtete Wolfshunde ausreichend Platz bekommen, dann ist das eine artgerechte Haltung“, sagt Sanders.

Natürlich ist die Faszination für Wolfshunde nicht ohne die Faszination für den Wolf zu denken. Auch bei Berge kommt beides zusammen. Er ist auch als Wolfsschützer aktiv. Diverse Jäger:innen in Niedersachsen versuchen derzeit, den Rodewalder Wolf zu schießen.

Niedersachsens Umweltminister unternimmt seit Monaten viel, um den Abschuss von wild lebenden Wölfen zu vereinfachen. Ihnen droht der ehemalige Anwalt Berge dann auch mal mit Klagen, falls sie den Wolf schießen sollten – weil er das ohnehin für rechtswidrig hält.

20 Stunden am Tag liegen Berges Wolfshunde herum und schlafen. Aber gerade das sei ja das Schöne. „Ich kann vom Wohnzimmer aus die Natur sehen.“ Das scheint die Begeisterung für Wolfshunde auszumachen. „Das klingt jetzt kitschig, aber: Diese Ruhe und Schönheit der Tiere ist wie ein Gemälde.“

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2 Kommentare

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Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

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  • Interessant, angenehm zu lesen, informativ und ohne persönliche Wertungen.

    Super Artikel.

  • Schönes Bild.

    Lesenswerter, interessanter Artikel. Für Sonntag Teetime(sonst auch) genau das Richtige.

    Mit viel Schreibgefühl eingestiegen und auch wieder raus.(erster und letzter Absatz)

    Bei solchen Outdoortypen denke ich, warum mache ich so was nicht. Was natürlich nicht hinhauen würde. Das meine ich jetzt- ironisch-, einen Wolfshund in die Börliner Penthouseplatte, da kommt Freude auf im Fahrstuhl+ Haus.

    ... Hana Sanders. Sie forscht an der Uni Jena zu Wildtieren und der Mensch-Tier-Beziehung....

    Der Artikel wird sofort noch interessanter!



    15% Kojote im Wolf. Interessant und zum Grinsen.

    Viel Wissenswertes beim Lesen mitgenommen!