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Zu Besuch bei Timo HildebrandGlücklich auf Lissabons Ersatzbank

Timo Hildebrand begann 2010 als etablierter Bundesligatorwart in Hoffenheim. Inzwischen ist er schon glücklich, in Lissabon auf der Bank sitzen zu dürfen.

Es hat ihn im vollen Flug erwischt: Torwart Timo Hildebrand. Bild: reuters

LISSABON taz | Er lebt wie ein Gast in seiner Wohnung. Die Zimmer sind für höhere Ansprüche eingerichtet, mit weißem Ledersofa und Billardtisch, aber den schönen Räumen fehlt etwas. Timo Hildebrand hat keine eigenen Sachen in die möblierte Mietwohnung mitgebracht. Er hat sich Sporting Lissabon doch nur für eine Saison verpflichtet. Und dieses Gefühl, auf Besuch in Portugal zu sein, will er sich erhalten, der Gedanke hilft: Es ist nur eine Zwischenstation.

Im Profifußball kann ein Jahr so lang wie ein Leben sein, in solch rasend schnellem Wechsel setzt der Sport seine Protagonisten den Extremen wie Glück und Enttäuschung aus. Timo Hildebrand, siebenmal im Tor der deutschen Nationalelf, war Anfang 2010 ein etablierter Bundesligatorwart bei der TSG Hoffenheim.

Ende 2010 ist er Ersatzmann bei Sporting und froh, überhaupt eine Anstellung gefunden zu haben. Dabei ist er noch genau derselbe Torwart wie zu Jahresbeginn, einer der besten in Deutschland.

Er bittet in die Küche, er hat sich vorgenommen, nicht so weiterzumachen wie die meisten Profis, wenn es nicht läuft: verdrängen, anderen die Schuld geben. Vier Stunden wird er reden, mit unüblicher Offenheit. Am Ende scheint nicht nur klarer, was 2010 passiert ist, sondern vor allem, was er ändern will, damit sich so ein Jahr nicht mehr wiederholt.

Anfang des Jahres reihte Hoffenheim sieben Bundesligapartien ohne Sieg aneinander. Im Misserfolg erschien die lässige Einstellung einiger Spieler plötzlich destruktiv, ein paar kamen gerne zu spät zum Training, einer kam offenbar direkt aus der Diskothek und legte sich vor dem Training noch schnell eine Stunde in die Umkleidekabine schlafen.

Hildebrand, der unentwegt ordentlich spielte, der im Mannschaftsrat saß und Verantwortung übernehmen wollte, ging diese Spieler an. Er glaubte, in einer Fußballelf sorge man mit harten Worten für Ordnung. Im Frühling war das Betriebsklima vergiftet, und Hildebrand spürte: Sein Vertrag würde nicht verlängert. Der Torwart habe die miese Stimmung mitgeprägt, fand Hoffenheims Trainer Ralf Rangnick. Schon allein, welchen Missmut Hildebrand ausstrahle.

Es war ein doppelter Schock. Hildebrand hatte keinen Gedanken daran verschwendet, Hoffenheim zu verlassen. Und er hatte es doch gut gemeint, als er die Undiszipliniertheit anprangerte. "Der Timo ist nicht verkehrt", sagt eine gewichtige Stimme in Hoffenheim, "er glaubte, für die gerechte Sache zu streiten".

Wird ein Fußballer weggeschickt, schiebt er die Schuld auf den Trainer, so erhält sich ein Profi sein inneres Gleichgewicht. Doch diesmal hinterfragt sich Timo Hildebrand selbst. "Offenbar treffe ich nicht den richtigen Ton, wenn ich Kritik anbringe", sagt er, den Blick auf den Küchentisch. "Ich werde dann wohl zu negativ." Er richtet den Blick auf. "Ich will versuchen, das besser zu machen."

Der Sommer der Ungewissheit nach dem Rauswurf prägte ihn. Beim Interesse des FC St. Pauli zögerte er, das war doch nur ein Aufsteiger. Eine andere Torwartstelle in der Bundesliga wurde nicht mehr frei. Die Angst, arbeitslos zurückzubleiben, packte ihn.

Am Ende der Transferphase hatte er ein einziges seriöses Angebot, Ersatztorwart bei Sporting. Er wusste, er würde nur zum Zug kommen, falls sich Sportings Nummer 1, Rui Patrício, verletzt oder eine Fehlerserie hinlegt. Und Patrício hält so gut, dass er gerade Nationaltorwart wurde. Natürlich taucht auf der Ersatzbank öfters die Frage auf: Was machst du eigentlich hier?

Aber Hildebrand strengt sich an, seine eigenen Erkenntnisse dieses Jahres nicht zu vergessen: Er erwischt sich jetzt selbst, wenn seine Körpersprache im Training zu negativ wird. Er arbeitet daran, seine Ersatzrolle nicht persönlich zu nehmen. "Mach das Beste draus", sagt er sich.

An der Küchenwand hängen ein Kalender der schwäbischen Sparkasse und ein Dankesschreiben von Freunden. In diesem einen Raum wirkt er wirklich zu Hause in seiner Wohnung, in Lissabon. Die Stadt hilft ihm, sich zu erinnern, wie schnell es im Fußball gehen kann: In Lissabon war Jörg Butt bei Benfica dritter Torwart, dann wechselte er zum FC Bayern und wurde fast übergangslos wieder Champions-League-Finaltorwart.

Timo Hildebrand ist doch erst 31 Jahre alt, er hat die Klasse für ein ähnliches Comeback. Ein Jahr im Sport mag so lang wie ein ganzes Leben sein, aber ein Profifußballer hat immer auch viele Leben.

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13 Kommentare

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  • A
    Aislinn

    Wow!

     

    Ein wirklich guter Artikel über einen der besten Torhüter, die Deutschland jemals hervorgebracht hat. Sein Pech war und ist, dass er leider keine Lobby hat. (Ähnlich wie Tim Wiese) Nur diejenigen, die hinter die Kulissen blicken, soweit Timo das zulässt, wissen ihn wirklich zu schätzen: Ein intelligenter, warmherziger Mensch und ein Klassetorwart!!!

    Ich wünsche ihm alles Glück der Welt!

     

    Aislinn

  • MM
    m. meissner

    ich frag mich bei dem artikel vor allem eins: 4 stunden interview---und dann kommen nur die paar zeien dabei raus ???

  • MP
    Michael Piasta

    Typisch für unsere, deutsche Gesellschaft. Wenn einer die Missstände vom Verhalten überbezahlter, verwöhnter Schnösel anprangert und sie zur Disziplin auffordert, wird er von einem anerkannten "Furzklemmerle" bezichtigt, das Klima zu versauen. Ein unangemessener Ton lässt sich korrigieren und in positive Richtung lenken, was bei fehlendem Charakter unschwer möglich ist.

    Kopf hoch, Herr Hildebrand, Sie sind auf dem richtigen Weg. Ich wünsche Ihnen beruflich und persönlich, dass Sie gestärkt aus dieser Erfahrung hervor gehen.

    Glück auf

    Michael Piasta

  • F
    Fritzl

    Ein guter Artikel über einen genialen Torwart, der hier einmal mehr bewiesen hat, dass auch er "einfach nur ein Mensch" ist. Menschlichkeit ist aber wohl auch im Bereich Profifußball etwas, was nicht gerne gesehen wird.

     

    Sei's drum, ich wünsche ihm von Herzen, dass es beruflich bald wieder bergauf geht & dass er vor allem den Glauben an sich selbst und seine Leistung nicht verliert!

  • G
    Gallewalter

    ich unterschreibe auch bei Selpeter - nur eins gibts zu mäkeln: Der Sportteil ist definitiv zu kurz. leiderleiderleider...

  • C
    Cantona

    Ja warum nicht den Timo holen. Auch in der zweiten Liga braucht der VfB einen guten Torwart.

  • S
    Susnne

    Wenn ich beim VfB stuttgart was zu sagen hätte, dann wär Timo Hildebrandt der erste den ich in der Winter- pause zum Vfb holen würde. Sven Ulreich ist ein durch- schnittlicher Torwart, das ist für den VfB zu wenig. Da Timo ja im Moment nur 2. Torwart ist,hoffe ich das Fredi Bobic eine gute Idee hat ihn nach Stuttgart zu locken. Mich würde das für die Rückrunde echt positiv stimmen.

  • K
    ken

    Ich unterstütze ihn.

  • M
    Marc

    Hammerartikel über einen Torwart, der in Stuttgart der beste Deutschlands war - nur das Land hat es nicht interessiert. Hildebrandt wurde national betrachtet immer kleiner gemacht, als er war. Er hat mal mit einem Regisseur ein geniales Theaterstück über Torhüter ausbaldowert. Der Junge war und ist einfach ein bißchen zu klug für das Fußball-Business.

  • S0
    stehende 0

    Ich unterschreibe bei Selpeter

  • S
    Selpeter

    Mal wieder ein ausgezeichneter Artikel in wirklich nicht schlechten Sportteil der taz.

  • RD
    Richard Detzer

    Schön zu lesen, daß Sportler bei Mißerfolg auch wieder als Menschen zur Verfügung stehen.

  • N
    Nullchecker

    Er wollte partout nicht zu St.Pauli? Timo Hildebrand?

     

    Das verstehe wer will.