Zoran Terzićs Buch „Idiocracy“: Der Sinn des Geschehens

Überall sehen wir Idioten. Aber ist jeder Idiot wirklich ein Idiot? Einige Überlegungen zum Seinszustand der Gegenwart.

Menschen reiten auf weißen Pferden durch einen verschneiten Wald

Ist das noch Idiotie? Oder etwas ganz Anderes? Kim Jong Un als Aschenbrödel Foto: KCNA

Vor ein paar Jahren veröffentlichte Bernie Sanders auf Twitter einen Satz, der bis heute kursiert – gedruckt auf zahlreichen T-Shirts: „Donald Trump is an idiot.“ Der Politiker der Demokraten, der derzeit um die Kandidatur für die US-Präsidentschaftswahl kämpft, bezog sich dabei auf das notorische Leugnen des Klimawandels. Doch selbst allgemeiner gefasst würden wohl viele Menschen zustimmen.

Aber was ist das überhaupt, ein Idiot? Es gibt verschiedene Arten, den Begriff zu verwenden. Eine bezieht sich auf Biologie. So wäre der Idiot auf der IQ-Skala ganz unten angesiedelt. Man erinnere sich nur an die Debatte, ob Trumps IQ – wie ein Dokument aus der Highschool nahelegt – tatsächlich bei 73 liege. Doch was würde das aussagen? Die üblichen Tests quantifizieren nur ausgewählte Fähigkeiten wie formalisierte Logik. Würde man das Ergebnis eines solchen Tests für den Ausschluss von öffentlichen Ämtern benutzen wollen?

Wohl kaum. Doch begegnen wir einem solchen Denken häufiger. Der Film „Idiocracy“ zeigt die Unterklasse – ein bösartiges Vorurteil von Arbeitslosigkeit und Verwahrlosung – als sich geradezu epidemisch vermehrend, während die neurotischen Akademiker an der Fortpflanzung scheitern. Allein dadurch ist die Welt in der Zukunft idiotisch geworden – durch Vererbung.

Doch selbst die positivistische Psychologie wertet den Einfluss der Umwelt höher und kann in Studien zeigen, dass Armut zum temporären Absinken des IQ führt. Weil unter der Sorge ums bloße Überleben die Fähigkeit zu denken leidet.

Politische Abwege

Idiotie mit Biologie oder Genetik zu verbinden führt auf (politische) Abwege. Einen anderen Weg schlägt Zoran Terzić in seinem Buch „Idiocracy. Denken und Handeln im Zeitalter des Idioten“ vor. Der Künstler und Kulturwissenschaftler hat ein Werk von geradezu lexikalischer Qualität geschaffen, strukturiert durch Schlagworte, die nach und nach die Facetten des Idiotischen beleuchten. Für die Analyse wird ein anderes Register benutzt: das Symbolische. Es ist ein Gang durch die Kulturgeschichte – von Philosophie über Literatur und Film bis Psychoanalyse.

Das Idiotische bezeichnet kein unveränderbares Sein, sondern ein Verhältnis zur Welt oder ein Denk- und Handlungsmuster. So bezieht sich Terzić auf den antiken Philosophen Platon. Der bezeichnete mit Idioten im Wortsinne – von idios, also „eigen“ – Privatmenschen, die sich nicht an den öffentlichen Versammlungen und der Politik beteiligten. Mit Intelligenz hat das nichts zu tun.

Man erinnere sich nur an die Debatte, ob Trumps IQ tatsächlich bei 73 liege. Doch was würde das aussagen?

In dieser Tradition argumentierte auch Karl Marx, der den Begriff des Fachidioten prägte. Kenntnisse zu haben schützt vor Blindheit nicht – schlimmer gar, sie können die Blindheit überhaupt erst hervorbringen oder verstärken. Wenn Marx vom „Idiotismus der Bürgerwelt“ spricht, dann meint er die Blindheit gegenüber den Folgen der eigenen Produktionsweise. Womit man beim Klimawandel wäre. Aber auch bei Monopolbildung und Krise. Ein Ding kann seine eigene Ursache zerstören, wie Marx schreibt, und das ist das Idiotische.

Fundamental fremd

Terzić macht noch auf einen anderen Typus des Idioten aufmerksam, wie wir ihn von Dostojewski, aus „Der brave Soldat Schwejk“ und auch aus „Forrest Gump“ kennen: einen gutmütigen Beobachter der Welt, der ihren Gesetzen fundamental fremd ist. Dieser Idiot, verwandt mit dem Narren und dem Schelm, verzweifelt am Sinn der offiziellen Sprache und am Sinn des offiziellen Geschehens.

Warum sich Menschen auf organisierte Weise gegenseitig umbringen? Das ist dem Idio­ten unerklärlich. Er ist, wie Terzić schreibt, ein „transzendentaler Beobachter der Welt“. Oder anders gesagt: Weil er nichts blickt, blickt er durch. Er lässt sich nicht täuschen, weil die rationalen Strategien der Ideologie bei ihm versagen.

Insofern sieht Terzić eine Verwandtschaft zur Philosophie. Sie hält das Bekannte für erklärungsbedürftig. Der Idiot mag sich beim Anblick einer Praline fragen, was das Leben und das Sein ist. Ebenso der Philosoph. Doch wenn der Philosophie alles Seiende nur ein einziges Fließen von Sein und Zeit ist?

Der Film „Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ zeigt ein Zwillingspärchen, das durch die Landschaft wandelt und über Heidegger parliert. Und je höher sie sich in die Abstraktionen des Begriffs schwingen, je nichtiger kommt ihnen die Welt vor – bis hin zum Mord. So sind wir wieder bei der Idiotie als Déformation professionnelle.

Was macht den Unterschied?

Gibt es einen Unterschied zwischen Idiotie und Dummheit? In der Einleitung zu seinem dicken Hegel-Buch „Weniger als nichts“ schreibt Slavoj Žižek, dass es auf die Stellung zum großen Anderen der Sprache ankomme. Der Idiot versteht, wie gezeigt, die Sinngebung nicht.

Der Dumme oder Debile hingegen, so Žižek, identifiziert sich vollauf damit, er kennt nichts anderes. Noch jede Phrase und Lüge erscheint ihm plausibel. Krieg ist ihm nicht erklärungsbedürftig, sondern natürlich. Die „Dummheit des Gescheitseins“ nannte das Adorno. Das Bescheidwissen wehrt Erfahrung ab, das Denken wird verdinglicht und verkümmert.

Die These von Terzić ist, dass die Idiotie die anarchische und die Dummheit die rationale Seite der Macht darstellen. Mit Alfred Jarrys „König Ubu“ habe zudem ein neuer Typus des Idioten die Bühne des Theaters und der Weltgeschichte betreten – das Zeitalter des Idioten.

Dieser neue Idiot verfolgt weiterhin das Programm der Selbstsabotage und -zerstörung, aber nicht gegen die Macht, sondern an deren Spitze. Chaos und Ordnung werden kurzgeschlossen. Unregierbarkeit wird das Ziel der Regierung. Sinnlosigkeit der Normalzustand. Verwirrung die maßgebliche Strategie.

Idioten an die Macht

Eine solche Politik findet nach Terzić ihre besten Voraussetzungen im schuldengetriebenen Neoliberalismus, im Fatalismus der Krise und der zunehmenden Überflüssigkeit der Menschen im Kapitalismus. „Idioten an die Macht!“ ist die folgerichtige Parole einer Welt, für die im emphatischen Sinne niemand mehr verantwortlich sein wollen kann. Aber aussprechen möchte es auch niemand. Wer in diesem Spiel am Ende die Dummen sind? Nahezu alle.

Nun ist „Idiocracy“ nicht nur ein neues Standardwerk zum Idiotischen in unserer Kultur, sondern beinhaltet zudem Vorschläge zu einer Idiopraxis, wie es Terzić nennt: weder mitmachen noch mitdenken. Und das Idiotische als Rückzugsort der Autonomie in einer vollends vernetzten und permanentes Feedback einfordernden Gesellschaft begreifen.

Das erinnert an das 2013 erschienene Buch „Morgen werde ich Idiot“ von Hans-Christian Dany. Dort heißt es: „Warum nicht lieber die radikale Übertreibung des Privaten in Gestalt asozialer Idiotie genießen, um im antipolitischen Autismus die Zerstörung des Sozialen ins Monströse zu treiben?“

Zoran Terzić: „Idiocracy. Denken und Handeln im Zeitalter des Idioten“. Diaphanes Verlag, Zürich 2020, 360 S., 24 Euro

Dieser Aufgabe haben sich die gewählten Idioten einiger der mächtigsten Staaten der Welt schon angenommen. Im Zeitalter des Idioten sind die Könige zugleich die Narren. Oder ist das nur ein Spiel? Nehmen wir Trump: Ist er ein Dummkopf, der den Idioten nur spielt – oder ist er es wirklich? Das wäre eine Frage.

Die wichtigere lautet aber vielleicht: Warum ziehen uns die Idioten so sehr in ihren Bann? Sind wir ihnen etwa ähnlicher, als wir selbst meinen?

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