Zoff bei den Berliner Grünen: Therapiebeginn in Raum 113
Schlichter Wolfgang Wieland sieht nach der ersten Sitzung mit der zerstrittenen Fraktion ein "riesiges Potenzial". Zoff um Äußerungen von Fraktionschefin Ramona Pop
Für ein gemeinsames Fraktionsfoto reicht es - noch oder schon wieder, je nach Standpunkt. Bevor die 29 Grünen-Abgeordneten am Dienstag in den ersten Therapietermin mit ihren jüngst bestimmten Schlichtern gingen, standen Linke, Realos, Flügellose bunt gemischt auf der großen Treppe im Abgeordnetenhaus und posierten für ein Gruppenbild. Hinter verschlossenen Türen von Sitzungssaal 113 aber gab es gleich wieder Zoff.
Am Morgen war im Tagesspiegel ein Beitrag von Fraktionschefin Ramona Pop erschienen mit einer Analyse, die die Linken aufbrachte. Pop kritisierte zwar den auf Renate Künast zugeschnittenen Wahlkampf, lehnte es aber ab, den Anspruch auf eine eigenständige Politik aufzugeben. "Ich bin der Ansicht, dass es nicht richtig ist, jetzt zur Politik der 80er Jahre und zu einer 12-Prozent-Partei zurückzukehren", sagte Pop unmittelbar vor Sitzungsbeginn. In ihrem Zeitungstext warnt sie vor einem Rückzug "zur Alternativen Liste der 80er Jahre, die außerhalb ihres engeren Umkreises nur Feindesland sah und ein ungeklärtes Verhältnis zur Gewaltfrage, zu staatlichen Institutionen und zur Wirtschaft mit sich herumschleppte". Diese Aussagen seien nicht hilfreich, war von Linken zu hören.
Über eine Stunde verfolgten die Schlichter das Geschehen, auf die sich die Fraktion am Donnerstag verständigt hatte: der grüne Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland, früher Fraktionschef im Abgeordnetenhaus, und in Vertretung der professionellen Beraterin Michaele Hustedt deren Firmenpartner, Exbundestagsmitglied Albert Schmidt (Grüne). Bis Ende November wollen sie schrittweise mit der ganzen Fraktion, verschiedenen Gruppen und einzelnen Abgeordneten sprechen. Auf seine frühere Kritik an den Linken angesprochen, Mitarbeit in der Fraktion zu verweigern, sei "Kindergarten", sagte Wieland: "Beim Kindergarten kommt es immer darauf an, welches Potenzial die Kinder haben. Und hier ist das Potenzial riesig."
Im Abgeordnetenhaus werfen linke Grüne aus Kreuzberg und Friedrichshain ihren Fraktionschefs zu große Nähe zur CDU vor. Doch in ihrem Bezirk soll ausgerechnet die CDU helfen, Bürgermeister Franz Schulz im Bezirksparlament erneut zu wählen. Das tat die CDU schon 2006. "Es gibt einen Bürgerwillen, den muss man akzeptieren", sagte CDU-Kreischef Kurt Wansner der taz. Über die Wahl von Schulz soll die Zusammenarbeit aber nicht hinausgehen, versichern beide Seiten. Genauso wenig gibt es einen Koalitionsvertrag. "Das wäre dann doch zu viel", sagte Wansner. (sta)
Begleitet wurde die Grünen-Sitzung von spöttischen Blicken und Sprüchen der vorbeieilenden Konkurrenz von SPD und CDU, die mit ihren Fraktionssitzungen schneller fertig waren. Am drohendsten musste den Grünen vorkommen, was der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit quer durch die Eingangshalle Journalisten zurief: "Wenn ich da nicht schlichte, passiert da gar nichts."
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