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Zivilgesellschaft in GuatemalaAk­ti­vis­t:in­nen im Visier

Seit dem Amtsantritt von Giammattei geraten Guatemalas NGOs unter Druck. Aktivist Santos warnt vor „radikalen Offensiven“ gegen die Gesellschaft.

Juristin Leily Santizo auf dem Weg zum Gericht in Guatemala-Stadt, Februar 2022 Foto: Josue Decavele/reuters

Hamburg taz | Für Jorge Santos, Koordinator der Menschenrechtsorganisation Udefegua, wird die Situation in Guatemala immer bedrohlicher. „Im letzten Jahr haben wir 406 Fälle von Kriminalisierung zivilgesellschaftlicher Ak­ti­vis­t:in­nen registriert. Parallel dazu wird der Druck auf unabhängige Rich­te­r:in­nen und zivilgesellschaftliche Organisationen immer größer“, kritisiert Santos.

Auch Lucía Ixchíu ist ein Beispiel dafür. Die indigene Aktivistin und Journalistin hat in Spanien Asyl beantragt, weil ihre Rückkehr nach Guatemala derzeit unmöglich ist. Das bestätigt auch ein Schreiben der Ombudsstelle für Menschenrechte in Guatemala.

Die vom Juristen Jordán Rodas geleitete staatliche Institution weist darauf hin, dass seit der Amtsübernahme von Alejandro Giammattei im Januar 2020 die Angriffe auf Umwelt- und Menschenrechtsaktivist:innen, aber auch auf Jour­na­lis­t:in­nen spürbar zugenommen haben.

Eine beispiellose Kampagne gegen die Unabhängigkeit der Justiz und zivilgesellschaft­liche Organisationen sei derzeit in Guatemala im Gange, so Rodas. Davon ist auch dessen eigene Dienststelle betroffen, deren Etat mehrfach gekürzt wurde. Auch Rodas selbst ­wollen die Parlamentarier der Regierungsallianz hinter dem konservativen Präsidenten ­loswerden. Mehrfach wurde versucht, ihn aus dem Amt zu manövrieren – bisher erfolglos. Bis in den August läuft sein Mandat noch, dann wird er wie andere ­Ju­ris­t:in­nen und Ak­ti­vis­t:in­nen der Zivilgesellschaft das Land wohl verlassen müssen. Ihre ­Sicherheit ist nicht mehr gewährleistet.

Gegen das System Giammettei

Auch Juan Francisco Sandoval, Leiter der Sonderstaatsanwaltschaft gegen die Straflosigkeit (FECI), musste im Juli 2021 Guatemala fluchtartig verlassen. Unter Druck befinden sich derzeit zahlreiche Mit­ar­bei­te­r:in­nen seiner ehemaligen Dienststelle. Leily Santizo wurde verhaftet, Rudy Herrera floh gerade noch rechtzeitig in die USA.

Beide gehören zu den Jurist:innen, die gegen das auf Korruption und Klientelismus beruhende System Giammattei ermittelten. Dafür trug die FECI Beweise zusammen. Ein Teil dieser Beweise befindet sich im Tresor der unabhängigen Richterin Erika Aifán, die gegenüber dem investigativen Online-Portal El Faro aus San Salvador, aber auch gegenüber CNN Anfang Februar Details bekanntgab. Nun wird auch gegen sie ermittelt. „Sie weiß schlicht zu viel“, sagt Jorge Santos.

Santos attestiert dem „Pakt der Korrupten“, der seit 2017 erst gegen die UN-Kommission gegen Straflosigkeit in Guatemala (CICIG) und nach dessen Mandatsende im September 2019 gegen die eigene Justiz vorgeht, eine radikale Offensive auf allen Ebenen.

NGOs wird die Arbeit erschwert

Dazu gehört auch die Novelle des „Organisationsgesetzes für Nichtregierungsorganisationen“, das den NGOs nun die detaillierte Offenlegung ihrer Finanzen vorschreibt. Am 2. Februar lief eine Frist aus, um den Status als Nichtregierungsorganisation zu erneuern. Die haben aber nur vier Prozent der Organisationen eingehalten. „Das könnte Folgen haben“, warnt Santos.

Unter dem Vorwand der finanziellen Kontrolle und Transparenz könnte der Radius von Nichtregierungsorganisationen merklich eingeschränkt werden, befürchtet er. Er zieht Parallelen zu einem ähnlichen Gesetz in Nicaragua, das dazu führte, dass dort nur eine Menschenrechtsorganisation überlebt hat – alle anderen wurden geschlossen. „Hier droht ebenfalls eine Schwächung der zivilgesellschaftlichen Institutionen“, warnt Santos.

Unbequeme Menschenrechtsorganisationen wie Udefegua oder die Stiftung Helen Mack gelten als gefährdet, haben aber im Gegensatz zu kleineren Organisationen alle Unterlagen vorgelegt. Ob das vor Sanktionen eines immer autoritärer auftretenden Staates schützt, ist aber offen.

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