Zivilfahnder wegen Todesschuss vor Gericht: Besser auf die Hand pinkeln
In Hamburg geht das Verfahren gegen einen Zivilfahnder zu Ende, der einen Kreditbetrüger erschossen hat. Die Polizei ermittelte schlampig gegen den Kollegen.
HAMBURG taz | Verfahren gegen Polizisten folgen eigenen Gesetzen, frotzeln Anwälte gerne. Und das gilt wohl auch für den Prozess gegen den Hamburger Zivilfahnder Hans-Peter A., der voraussichtlich Freitag nach drei Monaten mit den Plädoyers und einem Urteil zu Ende geht.
Der 52-Jährige hatte in der Nacht des 26. Juni 2007 in der Nähe des Hamburger Rathauses bei einer Festnahme den unbewaffneten Kreditbetrüger Tibor C. (27) in seinem Auto rücklings erschossen. Der Verteidiger Walter Wellinghausen, ehemaliger Innenstaatsrat unter dem rechtspopulistischen Innensenator Ronald Schill in Hamburg, spricht von einem "tragischen Unfall". Er fordert "Freispruch" – egal welcher Kategorie.
Auf "fahrlässige Tötung" durch pflichtwidrige Handhabe der Dienstwaffe, lautet hingegen die Anklage von Staatsanwältin Dorothea Fellows. Doch einige Prozessbeobachter haben den Eindruck gewonnen, dass sie die Anklage nicht gerade mit großem Engagement verfolgt, sondern eher die Rolle einer Co-Verteidigung einnimmt.
Einziger "Störfaktor" scheinen die drei Nebenklage-Vertreterinnen zu sein, die die Familienmitglieder aus Rumänien vor dem Amtsgericht vertreten. Die Hamburger Anwältinnen Astrid Denecke, Ina Franck und Leonore Gottschalk-Solger bezweifeln die Version des Angeklagten, in der Not die Waffe in die ungeübte linke Hand genommen zu haben, so dass sich ungewollt der tödliche Schuss löste.
Sie vermuten unverhältnismäßiges und fahrlässiges Vorgehen des Zivilfahndertrupps und drängen auf Aufklärung. "Die Kinder haben Recht darauf, zu erfahren," betont Anwältin Astrid Denecke, die Cs. Sohn Richard (8) vertritt, "was in jener Nacht wirklich mit ihrem Vater passiert ist".
Das Dilemma des Verfahren wurde bei einem so genannten Ortstermin offenkundig: Der rote Renault Laguna mit dem britischen Kennzeichnen N 980 FOR steht in einer Halle der gesicherten Kfz-Verwahrstelle der Polizei in Hamburg-Moorfleet. Zu dem Termin haben sich die Prozessbeteiligten, Zeugen und Sachverständige eingefunden, nach dem der Schuss-Sachverständige des Landeskriminalamtes, Jörg L., bei seiner Vernehmung von Veränderungen an der Sitzeinstellung im Auto zwischen Tatort und seiner Begutachtung im Präsidium berichtet hatte.
Diese Manipulation während sich das Fahrzeug in der Obhut der Polizei befunden hatte, machten eine Bestimmung der Schussabgabe nahezu unmöglich und zunächst rein "spekulativ", sagt der Sachverständige: "Der Sitz hätte nicht verstellt werden dürfen."
Der Leiter der Hamburger Rechtsmedizin am Uniklinikum Hamburg Eppendorf und Gutachter Klaus Püschel übernimmt bei der Rekonstruktion in Moorfleet den Part des gleichgroßen Hans-Peter A., der beim "Zugriff" als Beifahrer aus dem zivilen Polizeiauto "gesprungen" sein will, "seine Dienstwaffe entsichert" habe und dann von hinten zur Fahrerseite des rechts gesteuerten Laguna gerannt sei, der auf der linke Straßenseite der Börsenbrücke parkte.
Er habe die Fahrertür "aufgerissen" und deshalb zuvor seine Waffe aus der rechten Schusshand in die ungeübte linke Hand genommen, berichtet Hans Peter A., der bis dato als erfahrener und besonnener Polizist galt. "Plötzlich knallte es, ich wusste gar nicht woher es kam", schildert A. den Ablauf. Das Fahrzeuge habe unmittelbar zuvor einen Ruck gemacht, als er die "Hand an der Tür" hatte.
Ein Schuss aus seinem Revolver Marke "Smith & Wesson" hatte die Seitenscheibe der hinteren Tür durchschlagen. "You shot me - Why did you shot me ", habe Tibor C. noch gerufen, als er ausgestiegen sei. Dann sei er tödlich getroffen zusammengesackt.
Der Schuss von A. war bei Tibor C. von oben in die rechten Schulter eingedrungen, von dort aus hatte die Kugel den Körper steil nach unten durchbohrt und war im linken Beckenknochen steckengeblieben.
Sehr steil, wie Rechtsmediziner Püschel anhand zunächst einer Schaumstoff-Waffenattrappe darlegen muss. Später wiederholt er dann den Vorgang mit der Tatwaffe, wobei Püschel aufgrund der Schusskanal-Bestimmung der Obduktion mehrfach auf Drängen der Nebenklägerinnen den Winkel korrigieren muss – und dabei einige Verrenkungen macht.
"Wir werden es nie so hinkriegen, wie es gewesen ist, darüber müssen wir uns im Klaren sein", sagt da Amtsrichterin Catrin Knuth und verständigt sich mit Verteidiger Walter Wellinghausen darauf, dass die Nachstellung mit einem vermeintlichen Opfer ohnehin "keine Rekonstruktion" sein könne, sondern bestenfalls als "Experiment" anzusehen sei.
Dann bittet Anwältin Ina Franck, die Cs. kleine Tochter Melissa (4) vertritt, doch mal eine andere Version nachzustellen. Klaus Püschel muss die Waffe in die rechte Hand nehmen und versucht, mit Links die hintere Tür des Laguna zu öffnen. Dabei bemerkt er nicht, dass seine Hand mit der "Smith & Wesson" automatisch den vermeintlichen Winkel des Schusskanals einnimmt.
"Die Waffe ist an derselben Stelle", stellt Franck nüchtern fest. Eine Version, die nicht aus der Luft gegriffen ist, sondern die von As. Kollegen Michael B. stammt. Der gibt nämlich an, als Fahrer des Fahnder-Fahrzeuges beim "Zugriff" ebenfalls den Griff der Fahrertür des Laguna in der Hand gehabt habe und dadurch den Ruck verspürt zu haben.
A. sei vielmehr am hinteren Teil des Laguna gewesen, um die hintere Tür zu öffnen und ihn mit der Schusswaffe zu sichern – was den normalen polizeitaktischen Vorgaben entspräche. Bei einem Zugriff "weiß jeder, was er zu tun hat, ohne vorher Absprachen zu treffen", bekräftigt der Polizist B.
Das deckt sich auch mit den Angaben des Polizeikollegen Michael E., der immer wieder beteuert, was für ein "toll eingespieltes Team" eigentlich damals an der Arbeit gewesen wäre. "Dass bei einem Zugriff beide die gleiche Tür anfassen", beteuert E. "ist ausgeschlossen".
Fest steht auf jeden Fall, dass es in jener Juni Nacht das Zivilfahnder-Sextett einen "perfekten Zugriff" aufs Parkett legen wollte – actionreif wie im Kino. Tibor C. und sein Komplize waren aufgefallen, als sie nachts in der menschenleeren Hamburger City an Bankautomaten Geld abgehoben hatten. Als sie in ihren Laguna eingestiegen sind, hatte Hans-Peter A. den Befehl zum "Zugriff" gegeben: "Go!"
Zusammen mit B. preschten beide mit dem Auto vor und kesselten das Fälscher-Duo im Laguna an der Fahrerseite ein, während Zivilfahnderin Petra G. zu Fuß den Beifahrer ins Visier nahm. Zeitgleich kesselte Antje B. mit dem "Peter 14/21" den Laguna von hinter ein, Michael E. fuhr mit seinem Zivilfahrzeug vorne vor, um den Weg zu versperren. Mehrfach riefen die Beamten hektisch: "Halt Polizei!" und "Polizei". Das Kreditbetrüger-Duo leistete keinen Widerstand, dennoch fiel der Schuss.
Der nach der Tat verstellte Sitz des Laguna ist nicht die einzige Merkwürdigkeit in dem Komplex, die eine Aufklärung erschwert und die ein schlechtes Licht auf die Ermittlungsmethoden der Polizei werfen. Ein Zustand, den Anwältin Denecke als "Pleiten, Pech und Pannen" geißelt.
So sind die sechs am Einsatz beteiligten BeamtInnen nach dem Todesschuss gemeinsam in einem Transporter vom Tatort zum Innenstadtrevier 14 gebracht worden, was wegen möglicher Absprachen völlig unüblich ist. Erst dort waren sie voneinander getrennt worden.
Während bei allen Polizeizeugen die Bewacher bekannt sind, bleibt der Aufpasser von Hans-Peter A. unbekannt. Die Staatsanwaltschaft hat auch keinen Versuch unternommen, den Polizisten ausfindig zu machen. Immerhin kommt er als Zeuge in Betracht, der Schmauchspuren nach dem Schuss an den Armen von Hans-Peter A. gesehen haben könnte – links oder rechts. Denn als bei dem Beschuldigten am Mittag des Tattages Schmauchspuren gesichert werden sollten, waren keine mehr vorhanden.
Er habe sich nach einem Klogang die Hände gewaschen, gesteht er Hans-Peter A. kurz vor Prozessende ein. Eine Version, die Skepsis bei den Nebenklage-Anwältinnen hervorruft. "Schmauchspuren an der linken Hand wären doch der Beweis für seine Version gewesen", gibt Denecke zu bedenken.
Die Anwältin der Schwester des getöteten Tibor C., Leonore Gottschalk-Solger setzt sogar eins darauf: "Jeder gewiefte Verbrecher weiß, dass man sich auf die Hände pinkeln muss", frotzelt die Anwältin, "da beim einfachen Waschen die Schmauchspuren oft nicht weggehen". Hans-Peter A. gibt indes an, beim Händewaschen an die Schmauchspuren "nicht gedacht zu haben".
Auch ist am Tag danach allen Tatbeteiligten – dem Angeklagten und den fünf Tatzeugen – die Gelegenheit gegeben worden, die Tat im Kreis von Vorgesetzten und Psychologen gemeinsam "nachzubereiten". Das ist völlig unzulässig. Zudem fehlen wichtige Aufzeichnungen des Zwei-Meter-Band Funkverkehrs, der zur Tatzeit geführt worden ist.
So bleibt unklar, ob die Fahnder die Tibor C. und seinen Komplizen bei den Bankbesuchen observierten, die Meldung an A. abgesetzt haben, dass das Duo unbewaffnet sei. Und ob die Erkenntnis von Fahnderin Petra G. von Hans-Peter A. registriert worden ist, dass sich in dem abgestellten Laguna, den die Fahnderin in Augenschein genommen hatte, kein weiterer Komplize auf dem Rücksitz befindet.
Hauptstreitpunkt bis zum Schluss des Verfahren ist jedoch das Gutachten des Rechtsmediziners Klaus Püschel geblieben. Der konnte zwar nichts über die Schusshand sagen, "ob rechts oder links steht weiter in Frage", so Püschel. Der Rechtsmediziner ist sich jedoch sicher, dass bei dem Angeklagten durch den Ruck des Fahrzeuges und einem Schreck eine "Muskelkontraktion" ausgelöst worden sein könnte, die zum Reflex und der ungewollten Schussabgabe in der linken Hand geführt haben könnte.
Um dieses Gutachten zu widerlegen hat die Nebenklage eine neurophysiologisches Gutachten eines Experten der Uniklinik Regensburg beauftragt. Denn der Ruck des Autos und das Festhalten am Türgriff hätten einen Kraftschub von 20 Kilo aufbringen müssen, damit der Reflex die benötigten vier Kilo Kraftaufwand zum Auslösen des Schusses erzeugt. Der Ortstermin hatte aber ergeben, dass sich Tür mit dem Muldengriff mit zwei Fingern ohne Kraftaufwand öffnen ließ.
Daher kommt laut Nebenklage auch ein Tötungsvorsatz in Betracht, so dass das Verfahren einer Schwurgerichtskammer des Hamburger Landgerichts übergeben werden soll. Über diesen Antrag muss die Richterin Catrin Knuth am Freitag noch vor den Plädoyers und einem Urteil entscheiden.
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