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Zivildienst vor dem AusEin Stück Erfahrung

Die Politik will Wehr- und Zivildienst abschaffen. In einer Berliner Behindertenwerkstatt herrscht schon Zivimangel. Dabei bietet der Dienst auch berufliche Orentierung.

Könnte bald Geschichte sein: Der junge Zivi hilft dem älteren Herrn. Bild: ap

BERLIN taz | Die Kabelkonfektionierung, findet Randy Boestfleisch, ist ein richtiger Gruppenprozess. Zurechtschneiden, einfädeln, fixieren, jeder hat eine andere Aufgabe, und das Ganze ist nicht unkompliziert. Boestfleisch, der Zivi, macht gerade die Endkontrolle der fertigen Kabelbäume.

Die werden zum Beispiel in Schaltschränken von Siemens eingesetzt. Siemens ist ein Auftraggeber unter vielen bei den Stephanus-Werkstätten, die Kabelkonfektionierung eine Abteilung von mehreren hier in Berlin-Weißensee. Woanders verpacken sie Schuhe, Lebensmittel, töpfern, weben, es gibt eine Küche, Gartenpflege, Metallbau.

150 "Beschäftigte" - so heißen die Menschen mit Behinderung - arbeiten in der Werkstatt, betreut von 40 Mitarbeitern. Und zwei Zivildienstleistenden. Vier Zivi-Stellen seien zwar für das Haus vorgesehen, "aber einem Bewerber haben wir schon lange nicht mehr absagen müssen", sagt Petra Wosnik, die Werkstattleiterin.

Auch in Berlin-Weißensee ahnen sie, dass der Zivildienst bald Geschichte sein könnte. Noch werden in Bundesregierung und Bundestagsfraktionen verschiedene Modelle zur Reform der Bundeswehr diskutiert. Doch eins ist klar: Wenn der Wehrdienst fällt, fällt auch der Wehrersatzdienst. Seit 1961 gibt es diese Möglichkeit, durch soziale Tätigkeit dem Dienst in der Bundeswehr zu entgehen. 2009 waren noch etwa 90.000 junge Männer im Zivildienst beschäftigt. Ihre Zahl hat in den letzten Jahren allerdings stetig abgenommen - weil die Bundeswehr weniger Wehrpflichtige braucht und immer mehr ausmustert.

Auch die Dienstdauer wurde wieder und wieder zurückgefahren, zuletzt im Juli auf sechs Monate. Viele Sozialverbände protestierten damals, Halbjahres-Zivis seien nicht zu gebrauchen. Allein die Einarbeitungszeit betrage bisweilen drei Monate; außerdem könne bei betreuenden Tätigkeiten nicht ständig die Bezugsperson gewechselt werden.

"Schade" findet auch Wosnik die Entscheidung: "Wer länger bleibt, wird selbstständiger und sicherer im Umgang mit den Beschäftigten." Praktikanten und Zivis haben sie immer gerne aufgenommen. Außerdem waren das fast ausschließlich gute Erfahrungen mit den Zivis, engagiert waren sie und haben doch häufig "ein großes Stück Lebenserfahrung" mitgenommen, ergänzt Bettina Mau, die im sozialen Dienst beschäftigt ist und die Zivis betreut.

Noch kritischer sieht man daher den drohenden nächsten Reformschritt. Torsten Silberbach, Vorstandsvorsitzender der Stephanus-Stiftung, bemängelt: "Mit einer Abschaffung des Zivildiensts werden junge Männer der Chance einer ganz neuen beruflichen Orientierung beraubt."

Drei ehemalige Zivildienstleistende sind aktuell in der Werkstatt Weißensee als reguläre Mitarbeiter beschäftigt. Steven Joehnke etwa, der während des Dienstes Gefallen an der Arbeit fand, übernommen wurde und jetzt berufsbegleitend eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger macht. Zu einem freiwilligen Zivildienst, meint Joehnke, hätte er sich nicht entschieden: Für ihn war der Zwangsdienst ein Glücksfall.

Das sagt auch Randy Boestfleisch. Trotzdem will er nach Ablauf der Dienstzeit in seinen erlernten Beruf des Malers und Lackierers zurückkehren. Gelohnt habe sich die Zivi-Zeit aber dennoch: "Ich habe viel fürs Leben gelernt", sagt Boestfleisch, beispielsweise im Umgang mit Menschen. "Das ist etwas, was man sonst nicht mitbekommt."

Bleibt die Frage, was nach einem möglichen Wegfall der Zivildienstplätze passiert. Neue Mitarbeiter einstellen könne die Werkstatt nicht so einfach, meint Petra Wosnik. Eher werde man Plätze für das Freiwillige Soziale Jahr oder einen eventuellen freiwilligen Zivildienst anbieten. Boestfleisch, der Zivi, hat sich darüber Gedanken gemacht: "An manchen Orten wie in Krankenhäusern wird doch der Arbeitsalltag komplett zusammenfallen!" Und der eigene Arbeitsplatz in der Kabelkonfektionierung? Der sei, zugegebenermaßen, nicht ganz unersetzbar.

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6 Kommentare

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  • T
    T-One

    @AlexsZander

     

    die Einführung eines Sozialen Pflichtjahres wäre Völkerrechtlich als Zwangsdienst verboten....

     

    Die Wehrpflicht geht hierbei als Landesverteidigung in Ordnung, der Zivildienst ist nur ein Ersatzdienst und untrennbar mit der Wehrpflicht verbunden.

  • A
    alcibiades

    Das sit ja ganz prima mit dem Zivildienst, den hab ich auch mal abgeleistet, ich möchte mal Alexszander beipflichten: der Gewinn an sozialen Erfahrungen und auch an sozialen Fähigkeiten ist nicht zu unterschätzen. Was aber nicht sein darf, ist eine Erhaltung des Zivildienstes auf Teufel-komm-raus, nur um weiterhin billige Arbeitskräfte im Sozialbereich zu bekommen. Schon während meines Zivildienstes vor 20 Jahren waren die Mängel bei der Pflege eklatant, und es müsste doch endlich mal möglich sein, Krankenpflegerinnen und Pfleger, Pädagoginnen und so weiter ordentlich zu bezahlen und das ganze System mal auf ordentliche Füsse zu stellen. Zivis ersetzen keine Ärzte und Betreuer! Das Bundesamt für den Zivildienst (bester Satz aus dem von denen verfassten Zivi-Leitfaden - weiss nicht, ob das so immer noch drinsteht - "Der Tod ist die höchste Stufe der Dienstunfähigkeit".) könnte man gleich mal einsparen, dergleichen die Bundeswehrbürokratie und wenn wir schon dabei sind, die ganze Armee gleich dazu! Da verrecken Pflegebedürftige langsam in ihren eigenen Exkrementen, nur weil keiner Zeit hat, sich um sie zu kümmern, während an anderen Stellen genug Geld da ist, um es der Energiewirtschaft oder der Pharmaindustrie in den Rachen zu werfen oder den Leuten ihren Autokauf zu bezuschussen! Die ganze Debatte über den Zivildienst verdeckt nur, dass seit Jahren der status quo verwaltet wird, ohne dass sich wirklich jemand Gedanken macht, wie es besser ginge. Damit will ich nicht sagen, dass ein freiwilliger Dienst wie das Soziale Jahr schlecht wäre. Das kann aber nur ergänzend sein und darf nicht als Feigenblatt für die Missstände im Gesundheits- und Pflegesystem dienen.

  • T
    Tim

    Für mich ist das Argument der beruflichen Orientierung eines der schlechtesten die es gibt. Wer sich orientieren will, kann das auch ohne den Staat tun. Wozu sollte man jemand zwingen, sich den sozialen Bereich anzusehen? Müsste man dann nicht auch alle jungen Männer zwingen sich noch die Wirtschaft oder ein Serviceunternehmen anzusehen um sich wirklich orientieren zu können?

  • R
    runzbart

    immer dieser unsinn von wegen "gesellschaft bricht zusammen" und "zivildienst bringt was fürs leben und die sozialkompetenz".

     

    ich möchte in keiner gesellschaft leben, in der das sozialwesen von einem zwangsdienst abhängt und in meinem jahr zivildienst habe ich nur gelernt, dass krankenschwestern nicht das geringste verständnis für jemanden haben, der unter dem zwangsdienst leidet.

    und wenn es schon was fürs leben zu lernen gilt, warum dann kein technisch-naturwissenschaftlich-ökonomisches zwangsjahr für frauen.

    stecken wir frauen auch einfach alle in einen sack und unterstellen ihnen mal, dass sie auf dem gebiet nachholbedarf haben.

    ein hoch auf die aufgeklärt-emanzipierte gesellschaft.

  • Q
    "Kommentator"

    150 "Beschäftigte" - so heißen die Menschen mit Behinderung - arbeiten in der Werkstatt, betreut von 40 Mitarbeitern.

    Das sind ja wohl die perfidesten Anführungszeichen bzw der bösartigste "Satz" des Tages. Bitte nochmal aufmerksam durchlesen.

  • A
    AlexsZander

    Im Grundgesetz steht, dass ein derartig großer Eingriff in die Freiheit eines Bürgers wie der Zivi oder Wehrdienst nur gerechtfertigt werden kann, wenn er allgemein für alle gilt. Insofern war die Praxis der Bundeswehr nur noch den Bruchteil eines Jahrgangs einzuziehen (Frauen waren ja skandalöserweise eh schon immer ausgenommen) eigentlich sowieso schon verfassungswidrig.

     

    Die meisten in Politik und Gesellschft sind sich mittlerweile einig, dass der Wehrdienst verzichtbar ist – das seh ich genauso. Auf den Zivi wollen aber wenige verzichten (finde ich auch richtig). Nun glauben alle, dass wenn der Wehrdienst ein Ende nimmt auch der Zivilersatzdienst ein Ende nehmen müsse – das sehe ich nicht so.

    Freilich muss der Zivildienst, wenn der Wehrdienst abgeschafft wird auf eine neue grundgesetzliche Grundlage gestellt werden. Hierbei müssten dann auch Frauen wie Männer berücksichtigt werden und natürlich ist das ein Einschnitt in die Freiheit von jungen Menschen, aber ist das die Schulpflicht nicht auch. Bei der Schulpflicht wird der Freiheitseinschnitt auch mit dem enormen gesellschaftlichen wie auch individuellen Nutzen gerechtfertigt. Ist es denn so abwegig auf diese Weise auch den Zivi zu rechtfertigen?

    Als ich vor 2 Jahren meinen Zivi machte, war ich davon ziemlich genervt. Aber weniger wegen der verlorenen Zeit, sondern deswegen weil andere diese Zeit nicht verloren, weil diese gleich studieren konnten, entweder weil sie ausgemustert wurden oder gleich mit dem anderen Geschlecht geboren wurden.

    Im Nachhinein bereue ich nichts. Der Zivi hat mir Dinge vermittelt, die mich die Schule niemals hätte lehren können. Er hat mir gezeigt welche Freude es sein kann anderen Menschen zu helfen, er hat mir gezeigt wie sehr die Gesellschaft von einem füreinander statt einem gegeneinander profitiert, er hat es geschafft, dass ich mich mit der Gesellschaft identifizierte und mich für sie verantwortlich fühle und er hat mir ein ganz neues Verständis im Umgang mit Menschen und gesellschaftlichen Gruppen vermittelt, mit denen ich sonst niemals Kontakt gehabt hätte.

    Sollte ich weitere Dinge nennen, die ich im Zivi gelernt habe, dann wäre das wahrscheinlich nicht besonders viele, aber die wenigen Dinge die ich in 9 Monaten Zivildienst gelernt habe, sind zweifelslos wertvoller als die Erfahrungen, die ich in 2 Jahre schule hätte machen können.

     

    Für eine Weiterführung braucht es den Mut für eine neue politische Idee - etwas was ich in Deutschland schmerzlich vermisse - ich hoffe, dass sich in nächster Zeit noch ein gesellschaftlicher Akteur mit Einfluss findet, der den Mut hat diese zu äußern.