Zivilcourage gegen Neonazis: KW hat sich quergestellt
Erstmals haben Neonazis ihren jährlichen Aufmarsch in Königs Wusterhausen abgesagt. Die Bürger feiern das als Erfolg ihrer Strategie: hinschauen statt totschweigen.
Es war im Juli 2009, da reichte es Oliver Kanthak. Im Friedrichshain hatten gerade vier Jungmänner einen 22-Jährigen fast zu Tode getreten - Neonazis aus der Umgebung seiner Heimatstadt, Königs Wusterhausen. Kanthak, Grüner im Stadtparlament, verfasste einen offenen Brief: "Willkommen in Brauntown". Wieder einmal stehe "KW" als Rechten-Hochburg da. Es werde höchste Zeit, endlich dagegen zu handeln. Denn: "Der übergroße Teil unserer Bevölkerung ist tolerant, liebenswert und freundlich."
Tatsächlich hat sich etwas getan in Königs Wusterhausen, der 33.000-Einwohner-Stadt südlich von Berlin. Einen "Mentalitätswechsel" konstatiert Kanthak. "Das Totschweigen ist vorbei." Am Samstag zeigt die neue Zivilcourage Wirkung: Erstmals seit sechs Jahren fällt der jährliche Neonazi-Aufmarsch aus.
Jahrelang behaftete die Stadt ein braunes Image. In den 90er Jahren verübten Neonazis schwere Gewalttaten. Bis heute vernetzt sich hier die Südbrandenburger Neonazi-Szene. Seit 2003 wird von hier aus die bei Rechtsextremen beliebte Modemarke Thor Steinar vertrieben. Und zwischen Plattenbauten organisiert ein ehemaliger Berliner Kameradschaftsführer "nationale Jugendarbeit".
Schon 2007 hatte es Frank Rauhut gereicht. Nach einem Neonazi-Aufmarsch gründete der Chirurg das "Bündnis gegen Rechts" (BgR). Von der CDU bis zur DKP saßen alle an einem Tisch. "Wir wollen zeigen, dass wir gegen Nazis zusammenstehen", sagt Rauhut. In seine Praxis hängt er ein Neonazi-Shirt: Wer so gekleidet erscheint, wird nicht behandelt, steht daneben.
"Viele, sehr viele" würden sich inzwischen in Königs Wusterhausen engagieren, lobt Sozialdezernentin Katrin Dewart-Weschke. Ein Präventionsrat beuge Fremdenfeindlichkeit vor, Stolpersteine für jüdische Verfolgte wurden verlegt. Im Stadtparlament wurde eine Vorlage zur Ächtung rechtsextremer Kleidung in Schulen, Jugendclubs und Feuerwehren beschlossen. Seit Juli betreibt die Neonazi-Aussteigerhilfe Exit ein Büro in der Stadt. "Hier passiert richtig was", sagt der lokale Exit-Mitarbeiter. "Es gibt Projekte bis runter in die Kindergärten, die für Toleranz werben."
Als im vergangenen Herbst 300 Neonazis zu ihrem alljährlichen Aufmarsch anrückten, standen ihnen 600 Bürger gegenüber. In diesem Jahr fand ein Aufruf zu Blockaden des Aufzugs bereits über 300 Unterzeichner. Doch die Neonazis sagten ab, ohne Begründung. "Die wollten sich keine Niederlage holen", ist GbR-Sprecher Rauhut überzeugt. "Keinen Fuß hätten sie dieses Jahr gerührt." Treffen werde man sich am Samstag trotzdem - zu einer Kundgebung und einem Demokratiefest. "Wir wollen zeigen, dass die Stadt uns gehört."
Noch sei das Problem ja nicht gebannt, betonen viele: rechte Schmierereien, eingeworfene Scheiben bei der Linkspartei, Neonazis im Stadtbild. "Viele Kameradschaftler haben sich unters Dach der NPD verkrochen", sagt Rauhut. "Das macht die Sache nicht ungefährlicher." Erst am Donnerstag kündigten die Freien Kräfte Königs Wusterhausen "Spontanaktionen" für Samstag an. Für Oliver Kanthak ein weiterer Grund, wachsam zu bleiben.
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