INNERE STIMMEN : Zivilcourage
Als ich vor dem Prinzenbad an meinem Fahrradschloss herumfummle, erhebt sich heftiges Frauenkreischen, wie man es selbst in Kreuzberg nicht alle Tage zu hören bekommt. Um was es geht, kann ich nicht verstehen, weil auf Türkisch gekreischt wird. Es klingt jedenfalls nicht gut, denn eine 16-Jährige wird gerade von einem 18-Jährigen verdroschen, vermutlich ihr Freund. Er ist außer Rand und Band, zerrt sie an den Haaren und schlägt blindlings mit Fäusten und Füßen zu.
Nicht glotzen! Zivilcourage! Menschenleben schützen, sagt meine innere Stimme. Klar, aber wie einen Durchgedrehten bändigen, gibt die andere innere Stimme zu bedenken. Willst du wie Dominik Brunner enden? Und im Olympiastadion von Dieter Hoeneß als großes Vorbild für praktizierte Nächstenliebe gefeiert werden? Quatsch, das war Uli Hoeneß in München, außerdem ist sein Bruder gar nicht mehr Hertha-Manager, sagt meine zivilcouragierte Stimme, die von den an den Haaren herbeigezogenen Argumenten der bedenkenträgerischen Seite leicht genervt ist. Ja schon, aber hey, bist du nicht schon längst aus dem Schlägerei-Alter raus? Da könnte sie nicht ganz Unrecht haben, denn für Straßenkämpfe bin ich nicht wirklich geeignet. Hätte ich eine Nahkampfausbildung bei der Bundeswehr gemacht, statt Behinderten den Arsch abzuwischen, dann vielleicht. Und ich fürchte, gewaltfrei brauche ich dem Schläger mit der durchgebrannten Sicherung nicht zu kommen.
Ich habe das natürlich viel schneller gedacht, als Sie das gelesen haben werden. Quasi in Sekundenbruchteilen ging mir das durch den Kopf. Da sind auch schon die Prinzenbad-Security-Jungs da und nehmen den kleinen Pitbull in den Schwitzkasten. Und plötzlich kreischt die Geprügelte: „Hey, ihr Schweine, lasst meinen Freund los!“ Meine inneren Stimmen sagen gar nichts mehr. KLAUS BITTERMANN