HAMBURGER SZENE VON EMILIA SMECHOWSKI : Ziehen oder spritzen?
Sie sitzen auf Plastikstühlen, eine Wartenummer in der einen, ihre schmerzende Backe in der anderen Hand. Keiner von ihnen hat diesen Ausflug geplant, es soll ja amüsantere Orte geben am Freitagabend als den zahnärztlichen Notdienst.
Aber die Schmerzen trieben Nummer 297 dazu, vor dem Ausgehen einen Abstecher nach Wandsbek zu machen. Hochhackige Schuhe, kleines Schwarzes, die Haare hat sie sich schön gemacht. Nummer 295 scheint nur schnell zurück aufs Sofa zu wollen. Der Jogginganzug umschmeichelt liebevoll seinen über Jahre gepflegten Bauch. Wurzelschmerzen, eine falsche Füllung oder Karies haben sie zusammengeführt.
Sie lesen, starren auf den Flur und schweigen. Nur die Begleitung von 299 sticht heraus. „Tobi, ich schwöre dir, wenn es heute keine einzige Möglichkeit mehr gibt, dann lässt du dir diesen Scheiß-Zahn ziehen, echt!“ „Hmpf.“ „Komm, ich mein’ es ernst, ich hab’ echt keinen Bock mehr, dich so leiden zu sehen, und ich hab’ auch kein Bock mehr, dass du dich so zudröhnst mit Medikamenten und ich nichts vom Wochenende hab’.“ „Grmpf.“ „Ich meine, wir wollten es uns gemütlich machen, feiern waren wir auch ewig nicht mehr, ich geh mal kurz aufs Klo.“
299 wird sich den Zahn nicht ziehen lassen, er bleibt nur kurz für eine Spritze. Auch auf dem Zahnarzt-Stuhl zählt das Prinzip.