piwik no script img

Zerrissen

Am 20. Oktober wäre Konrad Wolf 75 Jahre alt geworden. Eine umfangreiche Retrospektive des Filmkunsthauses Babylon und der Defa-Stiftung würdigt den widersprüchlichen Filmemacher

von CLAUS LÖSER

Verwirrung stellte sich ein, als Volker Schlöndorff 1998 anlässlich der Verleihung des durch die Akademie der Künste ausgelobten Konrad-Wolf-Preises eilig verkündete, er halte „Ich war 19“ (1968) für den wichtigsten deutschen Film überhaupt. Schließlich hatte der Abwickler der Babelsberg-Studios kurz vorher noch ausgeführt, der Begriff Defa müsse verschwinden, denn er rieche nicht gut. „Ich war 19“ von Konrad Wolf war aber durchaus ein Defa-Film, und – da hat Schlöndorff Recht – ein guter.

Es muss ja ewige Spekulation bleiben, wie sich West-Intellektuelle in einem restriktiven System wie der DDR verhalten hätten. Draufblicke auf ostdeutsche Werkbiografien fallen weit weniger spekulativ aus. Mit dem von Philatelisten so geschätzten Vorteil eines in sich abgeschlossenen Sammelgebietes liegen Filme und Lebensdaten schonungslos vor dem Auge des Betrachters. Ein widersprüchliches Werk hinterlässt der am 20. Oktober 1925 im schwäbischen Hechingen geborene Regisseur Konrad Wolf. Das Berliner Filmkunsthaus Babylon (im Exil des Tschechischen Zentrums) und die Defa-Stiftung bieten nun in der bisher umfangreichsten Werkschau die seltene Gelegenheit, sich mit dem Lebenswerk dieses Künstlers vertraut zu machen. Zu sehen sind bis auf die 1966 für das DDR-Fernsehen entstandene Verfilmung von „Der kleine Prinz“ sämtliche Arbeiten aus eigener Hand sowie Dokumentationen über den Regisseur. Eine besondere Rarität stellt dabei ein Spielfilm dar, den 1936 Gustav von Wangenheim, einst Darsteller in Murnaus „Nosferatu“ (1922), im Moskauer Hotel-Lux-Umfeld herstellen konnte. In „Kämpfer“ gibt der kleine „Conny“ Wolf quasi sich selbst: den Sohn eines deutschen Antifaschisten.

Im wirklichen Leben Spross des kommunistischen Arztes und „Cyankali“-Autors Friedrich Wolf, wurde er unmittelbar nach Kriegsende im Tross der Gruppe Ulbricht nach Ostberlin verbracht. Hier bezogen die Wolf-Brüder ihre Posten: Markus als Spionagekader, Konrad als potentieller Künstler. Jeder einzelne Film Wolfs fungiert als wertvolle Zeitkapsel, in der persönliche und gesellschaftliche Verwerfungen eingeschlossen sind. Das Besondere, Ambivalente an diesem Werk besteht in den gleichzeitig privilegierten wie heillos verstrickten Umständen seiner Entstehung. Einerseits verkehrte Konrad Wolf durch seine Herkunft auf der Königsebene der DDR-Elite, andererseits rieb sich sein unabhängiger Geist immer wieder an den Widersprüchen des halben Landes.

„Lissy“ (1957) kann als erstes Beispiel einer Ablösung von ostdeutschen Dogmen gelesen werden: Die Geschichte einer jungen Frau im Berlin der Dreißigerjahre mündet nicht, wie sonst obligatorisch, im aktiven Widerstand, sondern löst sich regelrecht im Nebel auf. Schon ein Jahr später erlebte Wolf, dass seine „Sonnensucher“ von einem Verdikt ereilt wurden. Die menschliche Gemengelage während der Uranförderung derart unverblümt zu zeigen erschien plötzlich nicht mehr opportun. Probleme gab es auch mit der Christa-Wolf-Verfilmung „Der geteilte Himmel“ von 1964. Im schönsten Kinoformat, nämlich im schwarzweißen Cinemascope, in Ostdeutschlands disparatester Stadt Halle gedreht, umschifft der Film das heikle Thema Republikflucht zwar gerade noch einmal politisch korrekt. In formaler Hinsicht setzt er aber einzigartige Zeichen, ähnlich wie „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ (1974), auch ein Defa-Ausnahmefilm. Inspiriert von seiner Freundschaft zum Bildhauer Werner Stötzer entwirft Wolf eine szenisch nur lose verknüpfte, mitunter wie hingetupft wirkende Folge von Episoden um Kunst und Alltag.

Am 7. März 1982 stirbt Konrad Wolf gerade einmal 57-jährig in Ostberlin. Die Zerreißprobe zwischen Loyalität und Opposition wird erst durch den Tod beendet.

Bis zum 3. November im Tschechischen Zentrum, Leipziger Straße 60 (Eingang Jerusalemer Straße)

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen