Zentralafrikanische Republik: Wo helfen nicht viel hilft
Seit knapp einem Jahr bekriegen sich muslimische und christliche Gruppen. Pater Xavier-Arnauld Fagba stellt sich quer: In seiner Kirche kampieren 700 Muslime.
BOALI / BOSSANGOA taz | Als die tobende Meute sein Auto umstellt und schreit: „Wir machen dich fertig!“, steigt Pater Xavier-Arnauld Fagba aus, stellt sich aufrecht hin und sucht ihren Blick. „Ihr könnt mit mir machen, was ihr wollt. Ihr könnt mich auch töten“, sagt er. „Ich habe nichts Schlechtes gemacht.“
Die Meute johlt: junge Männer mit Rastalocken und geröteten Augen, mit Fetischen und Amuletten behängt. Dass der Pater ihnen die Sache so einfach macht – umso besser. Als sie auf ihn losgehen wollen, pfeift sie der Kommandant zurück. „Mein Glück“, sagt Pater Xavier-Arnauld, „der ist gerade zufällig vorbeigekommen.“ Die Angreifer waren Christen wie er.
Zwei Wochen später sitzt Pater Xavier-Arnauld Fagba in seinem Büro in Boali, etwa 80 Kilometer von Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, entfernt. Es ist Sonntagmittag, bis eben hat er die katholische Messe in seiner Kirche gefeiert, die sich in ein Flüchtlingslager verwandelt hat. Für den Gottesdienst wurden die Koffer, Decken, Bündel und Beutel zur Seite geschoben, sodass die Gläubigen der Gemeinde auf den Kirchenbänken Platz nehmen konnten.
Pater Xavier-Arnauld hat etwa 700 Muslimen in seiner Kirche seit dem 17. Januar Zuflucht gewährt. Sie warten während der Messe draußen. Kaum ist sie vorbei, drängen sie in die Kirche zurück, rasten auf den Kirchenbänken oder sitzen auf dem Fußboden. Dass der Pater sie nicht nur gewähren lässt, sondern in Boali sogar von Haus zu Haus und in den Busch gegangen ist, um die verängstigten Menschen mitzunehmen, ist der Grund dafür, dass die Gruppe junger Männer ihn vor zwei Wochen fast umgebracht hätte. Und dafür, dass man ihn und seinen Diakon schon mehrfach mit dem Tod bedroht hat. „Wir arbeiten seit Wochen durch“, sagt der Katholik, „seit Beginn der Krise.“
Nur kurz Hoffnung
Begonnen hat die Krise im März 2013, als sich der ehemalige Regierungsfunktionär Michel Djotodia an der Spitze einer Koalition überwiegend muslimischer Rebellengruppen namens Séléka (Bündnis) an die Macht putschte und damit den Verfall des kaum existenten zentralafrikanischen Staates dramatisch beschleunigte. Die Séléka-Leute begingen seither schwere Verbrechen an der christlichen Bevölkerung, die daraufhin ihrerseits bewaffnete Gruppen bildete. Unter dem Namen Anti-Balaka (Gegen die Macheten) haben sich lokale Milizen, Deserteure der Armee und Banditen zusammengeschlossen, die sich seither grausam an Muslimen rächen und hemmungslos plündern. Für jemanden wie Pater Xavier-Arnauld, der bedrängten Muslimen Zuflucht gewährt, hegen sie keinerlei Sympathie.
Am 10. Januar trat Michel Djotodia, vom Ausland unter Druck gesetzt, zurück. Die Wahl der neuen Übergangspräsidentin Catherine Samba-Panza zehn Tage später gibt nur vorübergehend Anlass zur Hoffnung. Vor allem in der Hauptstadt hat die allgemeine Gewalt seither wieder zugenommen.
Seit Wochen warnen die Vereinten Nationen vor einem drohenden Völkermord in der Zentralafrikanischen Republik. Muslimische und prochristliche Milizen bekämpfen sich seit knapp einem Jahr gegenseitig; Menschen der jeweils anderen Religionsgruppe werden getötet, oft mit Macheten zerhackt, in Brand gesetzt. In der Hauptstadt Bangui und anderen Orten sterben immer mehr Menschen, die nicht von Milizionären getötet, sondern von einer zum Mob gewordenen Bevölkerung gelyncht werden. Mal sind Christen die Opfer, mal Muslime, abhängig davon, wer wo gerade in der stärkeren Position ist. Nach Angaben des Roten Kreuzes werden derzeit allein in der Hauptstadt jeden Tag rund ein Dutzend Menschen getötet, weitere verletzt. In vielen Regionen des Landes, das doppelt so groß ist wie Deutschland, ist die Lage eher noch schlimmer. Nach UN-Angaben sind mehr als 900.000 Menschen auf der Flucht und fast die Hälfte der 4,6 Millionen Einwohner auf Hilfe angewiesen.
In dem kleinen Ort Boali beginnt sie Anfang September mit dem Einmarsch der Séléka. Die muslimischen Rebellen verfolgen die christlichen Bewohner der Stadt, sie plündern und morden grausam. Hunderte suchen in der katholischen Kirche Zuflucht und „warten auf die Stunde der Rache“, wie Pater Xavier-Arnauld es formuliert. Die kommt, als Soldaten der französischen Militäroperation Sangaris den Ort am 17. Januar erreichen. Die etwa 50 Séléka-Rebellen verschwinden im Busch, acht ergeben sich und fliehen anschließend auf das Gelände der Kirche. Minuten später übernehmen die christlich-animistischen Milizionäre der Anti-Balaka den Ort und fangen an, Muslime zu terrorisieren. Ihnen schließen sich viele Zivilisten aus Rache an. Das ist der Moment, in dem Pater Xavier-Arnauld und sein Diakon aktiv werden. Seitdem beherbergen sie mehrere Hundert Muslime in ihrer Kirche.
Längst richten die prochristlichen Milizionäre, die sich mit Fetischen vermeintlich unverwundbar machen, ihren Terror auch gegen Christen. Nicht nur gegen den Pater, sondern auch gegen andere Christen, die den Muslimen Wasser und Nahrung in die Kirche bringen. Oder muslimische Familien bei sich zu Hause verstecken. Einige der Wohltäter aus dem Ort sind deswegen inzwischen ebenfalls in die Kirche geflohen.
35.000 im Bischofssitz
Einige Hundert Kilometer weiter, in Bossangoa, empfindet Régina Kopeguende an diesem Tag zum ersten Mal seit Wochen wieder Freude. Die 27-Jährige hat am Morgen beobachtet, wie fast tausend Muslime auf Lkws und Pick-ups gestiegen sind. Eskortiert von der afrikanischen Eingreiftruppe Misca, sind sie in den Tschad geflohen. Viele unter Tränen und voller Abschiedsschmerz.
In Bossangoa ist die Teilung der Stadt zwischen Muslimen und Christen seit Monaten de facto vollzogen. Seit dem Einmarsch der Séléka im September gab es im Zentrum des Ortes eine Art unsichtbare Grenze zwischen beiden Religionsgruppen. Wer es wagte, sie in die eine oder andere Richtung zu überschreiten, riskierte sein Leben. Rund 35.000 Christen haben sich in dieser Zeit zum Bischofssitz geflüchtet; etwa 7.000 Muslime wiederum haben sich auf das Grundstück einer Schule gerettet. In beiden Lagern hört man ähnlich grausame Geschichten.
Régina Kopeguende ist schwer traumatisiert. Die Rebellen der Séléka haben ihrem Mann „mit einem Messer den Kopf abgesäbelt“. Die Christin packte ihre fünf Kinder und floh zum Bischofssitz. Dort lebt sie seit Anfang September mit der Trauer, ihren fünf Kindern und der Ratlosigkeit, was ihre Zukunft angeht.
Auch Imam Ismail Nafir hat nahe Angehörige verloren. Milizionäre der Anti-Balaka töteten fünf seiner 16 Kinder. „Einen meiner Söhne haben sie mit der Machete enthauptet, die anderen erschossen.“ Der Imam redet gefasst, er ist einer der wenigen, die nicht von Hass sprechen. Dafür umhüllt ihn Trauer, nicht nur um seine Söhne. Sondern auch um eine Heimat, die keine mehr ist und die er nicht mehr versteht. Er wartet auf den nächsten Konvoi, um dann wie viele andere Muslime ins Nachbarland Tschad zu fliehen. „Sobald wir das Camp hier an der Schule verlassen, bringen sie uns um. Wir leben wie in einem Gefängnis.“
Der Bischof von Bossangoa, Nestor-Désiré Nongo-Aziagbia, hat keine Toten in seiner Familie zu beklagen. Dafür lebt er seit Anfang September praktisch zwischen den Vertriebenen. Der Rauch ihrer Feuer brennt in den Augen, und der Lärm von mehr als 35.000 Menschen durchdringt sämtliche Räume und Büros.
Vor ein paar Tagen sind die Séléka-Rebellen aus Bossangoa mit ihren Waffen im Busch verschwunden. Der Bischof ist erleichtert. „Jetzt können die Menschen zurück nach Hause.“ Sofern ihr Zuhause noch steht, Bossangoa ist in großen Teilen verwüstet und verbrannt. Der Bischof reagiert fast abgeklärt auf die Flucht der Muslime. „Das war absehbar. Man hätte eher eingreifen und die Verbrechen verhindern müssen.“
Dass die Rebellen der Séléka nun aus manchen Gegenden fliehen, erlaubt immerhin den Helfern, etwas zu tun. „Manche Patienten haben sich Wochen oder Monate mit ihren Wunden im Busch versteckt und trauten sich nicht zu kommen“, sagt Celine Langlois von Ärzte ohne Grenzen. Die Hilfsorganisation hat das verwüstete Krankenhaus des Ortes wieder halbwegs benutzbar gemacht. Nun werden dort zwischen 250 und 400 Menschen täglich behandelt.
Wochenlang ausgeharrt
Die Kranken kommen nicht nur aus Bossangoa, sondern auch aus den Dörfern der Region. Manchen Müttern müssen die Ärzte erst beibringen, wie man eine Tablette einnimmt oder wie man sie einem Kleinkind gibt.
In der Frauenstation von Bossangoa sitzt Bokongo Beorofei Nomkoderama mit ihrem sechs Monate alten Sohn. Er hat am ganzen Körper Verbrennungen, ist komplett verbunden. Ein Unfall, erzählt die Mutter, vor zwei Monaten. Sie war auf dem Feld, ein Onkel bewachte das Kind, die Hütte fing Feuer. Einen Monat lang hat sie mit dem schwerverletzten Baby in ihrem Dorf ausgeharrt. Schließlich wagte sie es, mit einer Piroge über den Fluss Ouham hierher zu fahren, sechs Tage lang war sie unterwegs.
In der Männerstation sitzt Charlie Weamorem. Der 34-Jährige gehört zur Anti-Balaka und bekam Anfang Dezember im Gefecht eine Kugel ins Bein. Zwei Wochen lang versteckte er sich im Busch, ehe er mit einer völlig vereiterten Wunde ins Krankenhaus kam. Sobald er raus ist, will er weiterkämpfen. „Wenn ich einen Muslim oder einen Rebellen der Séléka sehe, wird er mir nicht entkommen.“
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