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Zensur wegen UrheberrechtsstreitYouTube löscht zahlreiche Videos

Zahlreiche YouTube-Videos, die das Urheberrecht von Musikfirmen verletzen sollen, wurden gelöscht oder auf stumm geschaltet. Netzbürgerrechtler sprechen von einem "Massaker".

Covern verboten: Auf YouTube herrschen neue Regeln. Bild: dpa

Juliet ist sauer. Die 15jährige Schülerin aus Kalifornien stellt regelmäßig eigene und nachgespielte Songs auf die Videoplattform YouTube, um ihr Musiktalent zu beweisen. Mit Akustikgitarre, Klavier und Gesang erreicht sie dabei fast 6000 Abonnenten, ihre Clips wurden bereits zehnttausendfach angesehen. Doch den Spaß scheint ihr der Filmdienst, der zum Suchmaschinenkonzern Google gehört, langsam zu nehmen: Wie sie in einem eigenen Clip mitteilte, der inzwischen über 30.000 Mal angesehen wurde, habe YouTube sich rabiat an ihren Videos vergangen. Ausgerechnet ein Cover von "Winter Wonderland" sei von der Plattform getilgt worden, weil das Musiklabel Warner Urheberrechte darauf erhoben habe. "Warum haben sie dann nicht einfach alle meine Videos und Covers gelöscht? Das macht doch keinen Sinn, Leute!" Sie frage sich, wie es nun weitergehe, der Mutter einer Freundin habe man schon einen Clip wegen Hintergrundmusik aus ihrem Kanal genommen. "Ich bin wirklich wütend und weiß nicht, was ich tun soll."

Fred von Lohmann, Justiziar bei der Netzbürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF), hat für das kombinierte Vorgehen von YouTube und Warner kein Verständnis: "Soweit ist es also schon gekommen: Teenager, die "Winter Wonderland" singen, werden von YouTube zensiert." Der Vorfall habe eine neue Qualität. Schon früher habe die so genannte angemessene Verwendung (Fair Use), die die nichtkommerzielle Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke unter bestimmten Umständen erlaube, auf der Videoplattform ihre Tücken gezeigt. "Doch in den letzten Wochen wird das alles viel schlimmer." So gehe YouTube inzwischen auch diejenigen an, die Musikstücke singen, ein A-Capella-Versionen erstellte oder Ausschnitte aus Computerspielen zu Musik setzten.

Bei YouTube und seinem Mutterkonzern Google weist man allerdings alle Schuld von sich. Die rabiate Vorgehensweise hat demnach mit einem Konflikt mit dem Musikkonzern Warner zu tun. Ein entsprechender Vertrag zur Nutzung von Musik auf YouTube soll nicht verlängert worden sein. Deshalb sieht sich Google gezwungen, so genannten "Take Down Notices" (Anordnungen zur Herunternahme von Inhalten) zu folgen, die Warner nun offenbar massenweise verschickt. In den letzten Wochen bemerkten dies erste Nutzer, als einigen Videos plötzlich der Ton fehlte. YouTube hatte Betroffenen zuvor angeboten, entweder die Audiospur abzudrehen oder ihre Clips ganz herunterzunehmen.

Lohmann und die EFF fürchten nun, dass der Streit weiter eskalieren könnte. Bei YouTube arbeitet man derzeit intensiv an einer Technologie namens "Content ID", die es Urheberrechtsinhabern erlauben soll, zu erkennen, wenn irgendjemand ihr Material auf YouTube verwendet. Dann dürfen sie entscheiden, ob sie mit diesen Inhalten etwa durch das Schalten paralleler Werbung Geld verdienen wollen (ein Anteil bleibt bei YouTube) oder die Clips heruntergenommen werden müssen. Die Technik soll dabei möglichst weit automatisiert werden, entsprechende Algorithmen sind angeblich bereits stark fortgeschritten.

Die Netzbürgerrechtler sehen das allerdings ganz anders: "Diese Systeme sind noch immer primitiv und können einen erlaubten Remix nicht von einer Urheberrechtsverletzung unterscheiden", meint Lohmann. Wenn sie das jedoch nicht könnten, zerstörten sie das notwendige Maß an Kreativität, das die Fair Use-Regel ermöglichen wolle. "Und je mehr Copyright-Besitzer das Content ID-Werkzeug verwenden, desto schlimmer wird es werden." Neue Werke, die aus der aktuellen Medienkultur zusammengesetzt würden, wie Musik, Fernsehen, Filmen, Jingles oder Werbung, seien dann nicht mehr möglich. "Das wäre eine traurige Ironie."

Juliet, die YouTube-Musikerin, will sich nun vor allem auf Eigenkompositionen konzentrieren. Lohmann von der EFF verspricht hingegen, Nutzern zu helfen, die von den neuen, strikten Regeln betroffen sind, die er selbst ein "Massaker am Fair Use" nennt. Wer sich unverhältnismäßig zensiert fühle, solle möglichst alle Informationen an die Netzbürgerrechtsorganisation senden. Diese werde dann den Fall begutachten und rechtlich Beistand leisten, um sich zu wehren.

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