Zensierte Brüste in Online-Netzwerken: Toter Fisch statt BH
Weibliche Brustwarzen auf Instagram sind ein No-Go. Gegen die Prüderie im Internet wehren sich Frauen – mit Brüsten und Fischen.
„Happy Tuesday!“, steht unter dem Instagram-Foto von Kelly. Ihr Dienstagsglück legt die junge Frau aus Michigan in die Hände ihrer Follower. Die sollen nämlich fleißig für ihr Bild voten, 1900 Likes hat es bereits. Der Angler-Anhänger, der im Foto um den Hals der Gebräunten baumelt, ist dabei nebensächlich: Das kleine Herz für „Gefällt mir“ wird für den frisch geangelten Fisch geklickt, den Kelly stolz vor ihre bloßen Brüste hält.
Nun also tote Fische. Nachdem Umwelt-Organisationen wie „Fishlove“ Prominente mit Oktopussen, Haien und anderen Meerestieren, darunter Helena Bonham-Carter mit einem 27kg schweren Thunfisch, ablichteten, um auf die Überfischung der Ozeane aufmerksam zu machen, ist auch die Social-Network-Community auf die Wasserbewohner gekommen: Die Instagram-Seite „Fishbras“ zeigt neben Kelly rund 3000 andere Frauen, die ihre Angelergebnisse vor die (meist) nackten Brüste halten. Von äußerster Wichtigkeit ist nur, die Brustwarzen sorgfältig zu verbergen. Sonst wird das Foto nämlich gar nicht erst veröffentlicht.
Was wie eine Seite für begeisterte Anglerinnen anmutet, wurde vor anderthalb Jahren zu Promotionszwecken von einem Schiffsanker-Unternehmens veröffentlicht und entwickelte sich in den letzten Monaten zu einer erneuten Protestaktion gegen die Prüderie der Sozialen Netzwerke. Seit 2012 gehört der Foto- und Video-Cloud-Dienst Instagram zu Facebook – und seit langem prangern NutzerInnen die Gemeinschaftsrichtlinien beider Plattformen in Puncto Nacktheit an.
Beide verbieten „Fotos, auf denen Brustwarzen von Frauen zu sehen sind.“ Einzige Ausnahmen: Stillende Mütter oder Nippel neben Narben nach einer Masektomie, also der krankheitsbedingten Entfernung der Brustdrüse. Männliche Brustwarzen sind dagegen in allen Formen erlaubt.
Was ist an natürlichen Brüsten beschämend?
Die Zensur dient laut den Instagram-Nutzungsbedingungen dem Zweck, sexualisierten Inhalten entgegenzuwirken. Instagram-Mitbegründer Kevin Systrom möchte sein Netzwerk zu „einem möglichst sicheren Ort für Teenager und Erwachsene“ machen. Die derzeitige Instagram-App ist für Nutzer ab 12 Jahren freigegeben.
Apple mischt hier mit: Der Konzern richtet sich mit seinen eigenen restriktiven Vorgaben nach dem biederen US-amerikanischen Verständnis von Freizügigkeit – und das toleriert auch mehr als zehn Jahre nach Janet Jacksons angeblich unbeabsichtigt freizügigen Auftritt beim Super-Bowl-Finale in Houston keine „Nipplegates“ („Busenblitzer“). Damit Instagram im App-Store zugelassen und nicht ab „18 Jahren“ eingestuft wird, was der Plattform viele Nutzer kosten würde, muss Systrom Apples' Regeln einhalten.
Gefährdet der Anblick entblößter Brüste denn die Sicherheit der Instagram-Nutzer? Nein, findet die Bürgerrechtsaktivistin Jillian York von der Electronic Frontier Foundation. Spiegel Online gegenüber kritisierte die 34-jährige Amerikanerin die Verbannung weiblicher Brustwarzen: „Diese Regel führt nur dazu, dass Frauenkörper weiter sexualisiert werden, und sie kann Frauen das Gefühl geben, dass irgendwas an natürlichen Brüsten falsch oder beschämend ist.“
Hinzu kommt, dass Instagram eine absurde Doppelmoral pflegt, wie die „FreeTheNipple-Kampagne“ anprangert: Künstlerische Aktfotos, wie das der oberkörperfreien Rihanna auf dem Cover des französischen Herren-Magazins Lui, werden umgehend entfernt. Die offensichtlich vulgären und frauenverachtend inszenierten Fotos von Multimillionär und Hugh-Hefner-Simulator Dan Bilzerian bleiben dagegen.
Der kleine, aber feine Unterschied sind für Instagram die schmalen Balken oder winzigen Sternchen, die Bilzerian auf die Brustwarzen der sich für ihn räkelnden Damen photoshopt. Die Message: Frauen sind für den Mann Sexobjekte. Warum die Zensur von Instagram hier ausbleibt, ist unverständlich.
Dieser Willkür trotzen Kelly und viele andere Frauen also auf fischige Art und Weise: Sie fotografieren sich Oben-Ohne und nehmen die strikten Instagram-Richtlinien mit vorgehaltenen „Fisch-Zensurbalken“ auf die Schippe. Mittlerweile lassen sich aber auch immer mehr männliche Brustwarzen auf Instagram finden – verdeckt hinter glitschigen Schuppen.
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