: Zeitungsente zu Weihnachten
Das polnische Wochenmagazin „Wprost“ berichtet über 60.000 deutsche Schwarzarbeiter in Polen. Das Landesarbeitsamt in Warschau weiß aber nur von 61 Fällen ■ Aus Warschau Gabriele Lesser
Zwar gehen auch Nachrichtenmagazine immer mehr dazu über, ihren Lesern Kriege, Arbeitslosigkeit, Börsenkräche und amerikanische Präsidenten in unterhaltsamer Form nahezubringen, doch Zeitungsenten haben die seriösen Blätter bislang lieber den bunten Boulevardblättern überlassen.
Wprost, ein polnisches Wochenmagazin, hat diese stillschweigende Übereinkunft nun gebrochen. „60.000 Deutsche arbeiten schwarz in Polen“ titelt das Magazin in seiner letzten Ausgabe. Vor dem Hintergrund der schwarz-rot- goldenen Flagge halten sechs dunkle Silhouetten von „Gastpracownicy“ (Gastarbeitern) Spitzhacke, Schraubenzieher und Hammer bereit, um gleich fleißig loszuwerkeln. Das Wörtchen „Gast“ ist so geschrieben, als müßte dort eigentlich „Hitler“ stehen.
Der Leser, der in den letzten Monaten immer nur gelesen hatte, daß die Deutschen nach dem Beitritt Polens zur Europäischen Union (EU) das ganze Land aufkaufen wollen, weil es so schön billig ist, müssen staunend zur Kenntnis nehmen, daß die Arbeitslosen im Nachbarland bereits das Säckel packen und ins „Tigerland Polen“ strömen. Da es aber nicht die „Repräsentanten des Lumpenproletariats des früheren Honecker-Landes“ seien, so der stellvertretende Chefredakteur im Editorial, sondern hochqualifizierte Spezialisten, müsse sich vor den deutschen Schwarzarbeitern in Polen niemand fürchten.
Der Pressesprecher des Landesarbeitsamtes in Warschau bekommt fast einen Wutanfall, als er den Namen Wprost hört: „Ich habe 61 gesagt. Ein-und-sech-zig! Nicht 60.000! Und geschätzt habe ich schon gar nichts.“ Patryk Juhre hat bereits eine Richtigstellung an das Magazin geschickt: „Aber die kommt bestimmt nicht auf die Titelseite! Wenn sie sie überhaupt drucken.“ Tatsächlich sind in Polen von September 1997 bis September 1998 insgesamt 61 Deutsche ohne Arbeitserlaubnis erwischt worden – knapp 40 davon hatten auf der Großbaustelle eines deutschen Unternehmers in Radom gearbeitet.
Die Zahl der Schwarzarbeiter aus EU-Ländern – insgesamt 283 – habe Polen bereits zu einem „Teil des gemeinsamen Arbeitsmarktes“ werden lassen, schreiben die Autoren in ihrer Titelgeschichte. Die im gleichen Zeitraum erwischten Schwarzarbeiter aus der Ukraine und Rußland – insgesamt 2.106 – werden zwar auch erwähnt, sind aber für die Autoren eine eher zu vernachlässigende Größe. In einer Infografik mit bedrohlich ansteigenden Skalen zeigen sie, wie Jahr für Jahr der deutsche „Drang nach Osten“ immer mehr Deutsche ins Land bringt: 1997 waren es sage und schreibe 1.025 legal in Polen arbeitende Manager, Lehrer und Spezialisten.
Daß im selben Jahr in Deutschland rund 240.000 Polen arbeiteten – wohlgemerkt mit einer Arbeitserlaubnis –, erwähnt Wprost nicht. Möglicherweise käme sonst in Polen jemand auf die Idee, den deutschen Drang ins „Wirtschaftswunderland“ Polen nicht gebührend zu würdigen.
Wprost, das die Zusammenarbeit mit dem Münchner Nachrichtenmagazin Focus („Fakten! Fakten! Fakten!“) immer wieder gern hervorhebt, schätzt, daß rund 30.000 Doppelstaatler aus Schlesien und dem früheren Ostpreußen in Deutschland Sozialhilfe kassieren und in Polen schwarz anheuern. Gewährsmann für diese hohe Zahl von Sozialbetrügern ist für die Wprost-Autoren Antoni Rajkiewicz, Professor am renommierten Institut für Arbeit und Soziales in Warschau. „Quatsch“, empört sich Rajkiewicz am Telefon. Er habe von 30.000 Polen gesprochen, die vor allem in den 70er und 80er Jahren als Aussiedler oder politische Flüchtlinge nach Deutschland gegangen seien, es dort zu einem bescheidenen Wohlstand gebracht hätten und nun in Polen investieren würden. Von Sozialbetrügern sei keine Rede gewesen.
Rajkiewicz schätzt, daß 1998 deutsche Investoren in Polen rund 3.000 Landsleute in Führungspositionen beschäftigten. Viele von ihnen seien nur für einige Monate im Land. Rund ein Drittel, also rund 1.000, verfügten aus Unkenntnis der komplizierten Vorschriften über keine polnische Arbeitserlaubnis.
Die Zeitungsente, die Wprost seinen Lesern kurz vor Weihnachten auftischt, strotzt vor Selbstbewußtsein über das „Wirtschaftswunderland“ Polen, den „Tiger Europas“, das „Gelobte Land“. Da schmerzt dann ein kühler Hinweis von Kanzler Gerhard Schröder auf den Unterschied im Lebensstandard besonders. Die Zahl von einer Viertelmillion Polen, die zur Zeit in Deutschland als Saisonarbeiter oder sozialversicherungspflichtig arbeiten, soll sich nach dem Beitritt Polens zur EU nicht sofort erhöhen. Viele Polen, nicht nur die Redakteure von Wprost, halten diese Forderung für „deutsche Arroganz“.
Jaroslaw Maka, der Chef der Auslandsabteilung des polnischen Wirtschaftsministeriums, ist denn auch überzeugt, daß Polen durch seine Importe aus Deutschland dort rund 200.000 Arbeitsplätze finanziere. Die Kündigung einiger polnischer Arbeitnehmer in Deutschland könne das Problem der Arbeitslosigkeit beim westlichen Nachbarn nicht lösen.
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