Zahlungspflicht bei Abschiebungen: Kinder haften nicht für ihre Eltern
Darf ein minderjährig Abgeschobener für die Kosten der Abschiebung belangt werden, wenn er Jahre später wieder nach Deutschland einreist? Nicht unbedingt, findet das Oberverwaltungsgericht Lüneburg.
HAMBURG taz | Es ist nur ein formaler Beschluss zur Gewährung von Prozesskostenhilfe, aber er gibt eine Richtung vor: Ein abgeschobener minderjähriger Flüchtling kann später nicht ohne weiteres für die Kosten dieser Abschiebung belangt werden. Das hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) in Lüneburg angedeutet und somit einen anderslautenden Beschluss des Verwaltungsgericht Braunschweig aufgehoben.
Erwirkt hat das Ganze der hannoversche Rechtsanwalt Peter Fahlbusch für seinen Mandanten Slobodan Rajkovic (Name geändert) aus Montenegro. Dessen Klage „gegen den Bescheid über die Heranziehung der Kosten seiner Abschiebung in Höhe von 2.069 Euro bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg“, so befand jetzt der 8. Senat des OVG Lüneburg.
Rajkovic lebte seit 1992 im Raum Oldenburg, bis im Jahr 2004 seine Familie abgeschoben wurde. Er war damals 17 Jahre alt. Im Februar 2011 dann wurde er bei den deutschen Behörden vorstellig, ob eine Wiedereinreise ohne Folgen möglich sei. Das hätte er nicht tun müssen: Für Montenegro besteht in Deutschland Visumsfreiheit, sie können freizügig einreisen.
Die niedersächsische Landesaufnahmebehörde in Braunschweig, genauer: deren Außenstelle Oldenburg teilte Rajkovic daraufhin mit, dass er für die Kosten seiner Jahre zurückliegenden Abschiebung aufzukommen habe – in Höhe von 2.069 Euro.
Dass ein zuvor Abgeschobener für eben diesen Vorgang aufkommen muss, wenn er später wieder einreist, ist in Deutschland gängige Praxis. „Das ist regelmäßig so und in vielen Fällen nach herrschender Rechtssprechung begründet“, sagt die Hamburger Rechtsanwältin Sigrid Töpfer. „Die Zahlungsverpflichtung gilt auch, wenn jemand einen Anspruch auf eine Einreise hat“, sagt Töpfer. „Zum Beispiel, wenn eine Einreisende oder ein Einreisender einen deutschen Staatsbürger geheiratet hat.“ Allerdings dürfe die Zahlung nicht zur Bedingung für die Einreise gemacht werden.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg kommt zu der Auffassung, dass mehrere Gesetze widersprüchliche Ansatzpunkte haben. Ihre Gewichtung müsse "höchstrichterlich" geregelt werden.
Das Aufenthaltsgesetz sagt wörtlich: "Kosten, die durch die Durchsetzung einer räumlichen Beschränkung, die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung entstehen, hat der Ausländer zu tragen".
Das Bürgerliche Gesetzbuch regelt eine Beschränkung der Haftung eines Volljährigen, auch wenn die Verbindlichkeiten von den Eltern für das Kind während der Minderjährigkeit eingegangen worden sind.
Das Minderjährigen-Haftungsbeschränkungsgesetz ist 1999 in Kraft getreten und soll verhindern, dass Volljährige für die Sünden der Eltern büßen müssen.
Töpfer räumt ein, dass sich in der jüngsten Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine „gewisse Liberalität“ durchgesetzt habe: So sei zum Beispiel die Höhe der Abschiebekosten gesenkt worden. Auch ließen etliche Ausländerbehörden inzwischen Anzahlungen zu. „Die Finanzlast haben die Einreisenden aber dennoch“, sagt die Rechtsanwältin.
Im Fall Rajkovic machen die Lüneburger Oberverwaltungsrichter ein anderes Fass auf: Sie werfen in ihrem Beschluss die Frage auf, ob die entsprechenden Paragrafen des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG), wonach ein Abgeschobener auch später noch für die „Ausreisekosten“ herangezogen werden kann, nicht mit den Normen des Paragrafen 1.629 des Bürgerlichen Gesetzbuches kollidieren.
Dieser sieht eine Beschränkung der Haftung für Minderjährige vor und ist im „Minderjährigen-Haftungsbeschränkungs-Gesetz“ (MHbeG) konkretisiert worden. In seiner jüngsten Rechtssprechung hielt das Bundesverfassungsgericht es für „unvereinbar“ mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Kinder, wenn diese als Folge elterlichen Handelns „mit erheblichen Schulden in die Volljährigkeit entlassen werden“.
Da diese Reibung zwischen Aufenthaltsrecht und Bürgerlichem Gesetzbuch bislang „höchstrichterlich nicht geklärt“ sei, so das OVG Lüneburg, müsse sie in einem Hauptsacheverfahren verhandelt werden – zumal die Klagegründe von Rajkovics Anwalt Peter Fahlbusch schlüssig erschienen, erklären die Richter. „Das ist alles sehr interessant und könnte auch für andere Lebensbereiche von Bedeutung sein“, sagt Fahlbusch.
„Die Fragen, die eine Rolle spielen, hat das Gericht alle in den Beschluss reingeschrieben“, lobt der Rechtsanwalt das OVG, das dem Verwaltungsgericht Braunschweig, wo die Sache nun zu verhandeln ist, eine Menge Hausaufgaben aufgegeben hat.
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