Zahlreiche Zwischenfälle in Afghanistan: Präsidentschaftswahl in Terrorangst
Sicherheitskontrollen, keine lange Schlangen: Die Wahlen in Afghanistan haben begonnen - und die Einschüchterung der Taliban scheint zu wirken. Überall im Land kommt es zu gewaltsamen Zwischenfällen.
KABUL dpa/reuters | Unter schärfsten Sicherheitsvorkehrungen hat am Donnerstagmorgen die Präsidentschaftswahl in Afghanistan begonnen. Die Wahllokale öffneten um 07.00 Uhr, anders als der letzten Präsidentenwahl 2004 bildeten sich in Kabul am Morgen jedoch zunächst keine langen Schlangen vor den Wahllokalen. Die Taliban haben zu einem Boykott der Abstimmung aufgerufen und Wähler bedroht.
Als einer der ersten Wähler gab Präsident Hamid Karzai in der Hauptstadt Kabul seine Stimme ab. Er gilt als Faviorit für eine zweite Amtszeit. Sein wichtigster Herausforderer ist der frühere Außenminister Abdullah Abdullah.
Zum Wahlauftakt ist es zu zahlreichen gewaltsamen Zwischenfällen im ganzen Land gekommen. Im nordafghanischen Bundeswehr-Standort Kundus schlug eine Rakete in einem Wahllokal ein. Eine zweite Rakete sei hinter der Schule detoniert, die als Wahllokal genutzt wird, sagte der Sprecher des Provinz-Gouverneurs, Mahboobullah Sayedi.
Aus Sicherheitskreisen in Lashkar Gar hieß es, in der Hauptstadt der südafghanischen Provinz Helmand seien zwei Menschen beim Einschlag einer Rakete verletzt worden. Der Gouverneur von Helmands Nachbarprovinz Kandahar, Tooryalai Wesa, bestätigte bei seiner Stimmabgabe einen Raketenangriff in Kandahar, bei dem es aber keine Opfer gegeben habe. Aus Geheimdienstkreisen hieß es, in der neben Kundus gelegenen Provinz Baghlan sei ein Distrikt-Polizeichef bei einem Angriff der Taliban getötet worden.
In der ebenfalls an Kundus angrenzenden Provinz Takhar teilte die Polizei mit, zwei Selbstmordattentäter seien festgenommen worden, als sie versucht hätten, in ein Wahllokal einzudringen. In der Nähe des Polizei-Hauptquartiers sei ein Sprengsatz detoniert, der eine Wand zum Einsturz gebracht habe. Opfer habe es nicht gegeben. Unbestätigten Angaben zufolge kam es auch in weiteren Provinzen zu gewaltsamen Zwischenfällen. Aus Angst vor einer niedrigen Wahlbeteiligung hat die Regierung die Medien aufgefordert, am Wahltag nicht über Angriffe and Anschläge zu berichten.
Die Taliban teilten in einer E-Mail mit, ihre Kämpfer hätten 16 Wahllokale im Land angegriffen. Eine offizielle Bestätigung dafür gab es nicht. Angaben der Taliban sind häufig übertrieben. Auch in Kabul kam es zu einem Schusswechsel zwischen Polizei und mutmaßlichen Taliban-Kämpfern.
Nach Angaben der Unabhängigen Wahlkommission haben sich 17 Millionen Afghanen als Wähler registrieren lassen. Wahlbeobachter halten diese Zahl aber für zu hoch. Sie befürchten Wahlmanipulationen.
Inzwischen sind in Afghanistan rund 100 000 ausländische Soldaten stationiert, mehr als je seit dem Sturz des Taliban-Regimes Ende 2001. Die Truppen sollen die etwa 200 000 afghanischen Sicherheitskräfte dabei unterstützen, die Wahl zu schützen. 30 Kandidaten treten an, darunter zwei Frauen. Elf der ursprünglich 41 Bewerber haben ihre Kandidatur zurückgezogen, die meisten davon zugunsten des 52-jährigen Amtsinhabers Karzai. Die Auszählung der Stimmen beginnt nach Schließung der rund 29 000 Wahllokale um 16.00 Uhr. Erste inoffizielle Ergebnisse werden in den kommenden Tagen erwartet.
Am 17. September sollen nach Angaben der Wahlkommission die Endergebnisse der Präsidentschafts- und der parallel stattfindenden Provinzratswahlen vorliegen. Sollte keiner der Bewerber um das Präsidentenamt eine absolute Mehrheit erzielen, kommt es nach derzeitiger Planung Anfang Oktober zu einem weiteren Wahldurchgang. Dann treten nur noch der Spitzenreiter und der Zweitplatzierte an. Es ist die zweite Präsidentschaftswahl seit dem Sturz der Taliban.
Bereits Ende Juli hatten die Taliban zum Wahlboykott aufgerufen und mit Gewalt gedroht. Seitdem hat sich die Sicherheitslage immer weiter zugespitzt. Trotz der Gewalt rief UN-Generalsekretär Ban Ki Moon die Afghanen dazu auf, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Mit der Beteiligung an dem Urnengang würden die Afghanen helfen, die demokratischen Institutionen zu stärken, und neue Kraft ins politische Leben ihres Landes bringen, erklärte Ban.
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