ZDF vertagt Entscheidung: Niko, der Kampf geht weiter!
Überraschend vertagt das ZDF die Entscheidung über eine weitere Amtszeit von Chefredakteur Nikolaus Brender - eine kleine Niederlage für Roland Koch (CDU).
MAINZ taz Damit wir uns nicht missverstehen - auch wenn in den Medien ZDF-Chefredakteur Nikolaus Brender mittlerweile vorfristig heilig gesprochen ist, gibt's an dem Mann durchaus auch manche Dinge auszusetzen (außer dem Bart). Zumal nach dem Befreiungsschlag von Mainz Brenders Schicksal weiter in der Luft hängt: ZDF-Intendant Markus Schächter teilte gestern völlig überraschend mit, die Entscheidung im ZDF-Verwaltungsrat über eine Vertragsverlängerung von Brender werde verschoben.
Der ZDF-Fernsehrat besteht aus 77 Mitgliedern aus gesellschaftlich relevanten Gruppen (Verbänden, Kirchen etc.), von denen 72 als parteigebunden eingestuft werden. Sie überwachen das Programm, genehmigen den vom Verwaltungsrat beschlossenen Haushalt und wählen den Intendanten. Acht Vertreter des Fernsehrats werden neben Entsandten von Bund und Ländern in den 14-köpfigen Verwaltungsrat( gewählt, dessen Aufgabe nicht die inhaltliche Kontrolle des ZDF-Programms ist, sondern die Überwachung des Intendanten vor allem in Haushaltsfragen. Vorsitzender ist derzeit Kurt Beck (SPD), Vize Roland Koch (CDU).
Das von Brender-Verhinderer Roland Koch (CDU) und diversen anderen Ministerpräsidenten besessene Gremium (siehe Kasten) sollte ursprünglich in zwei Wochen über die Personalie entscheiden. Schächter hatte bis gestern morgen mit Koch & Co. verhandelt. Doch dass der Hessen-Ministerpräsident, der Brender seit Mitte Februar öffentlich demontiert, in letzter Minute einlenkt, hatte wohl niemand ernstlich erwartet: Zu groß wäre für Koch der Gesichtsverlust in den eigenen Reihen. Jetzt spielt das ZDF gekonnt auf Zeit: Schächter will in einer juristischen Expertise "die Grauzone der Kompetenzen" geklärt wissen, also feststellen, was Verwaltungs- und Fernsehrat seiner Anstalt genau dürfen und was nicht. Da der Verwaltungsrat Personalentscheidungen wie die Besetzung der Chefredaktion laut ZDF-Satzung "im Einvernehmen" mit dem Intendanten zu treffen habe, werde man nun prüfen lassen, "welche Kriterien im Verwaltungsrat bei der Herstellung dieses Einvernehmens zu Grunde zu legen seien", sagte Schächter.
Hört sich komplexer an als es ist: Denn Schächter hatte gestern vom Fernsehrat über die Parteigräben ebenfalls eine kleine Heiligsprechung erfahren und wirkte, so ZDF-Insider, zum ersten Mal seit langem wieder etwas gelöster. Hinterher sprachen Vertreter des SPD-Freundeskreises von einem "klaren Signal an die CDU und Herrn Koch", während der Fernsehratsvorsitzende und CDU-Bundestagsabgeordnete Ruprecht Polenz später vor der Presse vom "Brücken bauen" sprach, um "Einigkeit zu erzielen und Schaden vom ZDF abzuwenden". Schächter wie Polenz appellierten also deutlichst an den Verwaltungsrat, von seinen "Kompetenzen schonend Gebrauch zu machen, um die Kompetenzen anderer Gremiuen nicht zu beschädigen". Auf Deutsch: Wenn der Fernsehrat, der den Intendanten Schächter mit 98 Prozent der Stimmen 2007 wiedergewählt hatte und weiter voll hinter ihm steht, am Fernsehprogramm des ZDF und insbesondere der Leistung des Chefredakteurs nichts zu meckern findet, hat der Verwaltungsrat nicht eben diesen Chefredakteur abzustechen und damit auch den Intendanten schwerst zu beschädigen.
Doch genau solcher Schaden drohte beim ZDF. Ob Koch das Signal von Mainz versteht, wird man sehen. Immerhin die Zeithoheit liegt nun beim ZDF - und juristische Gutachten brauchen manchmal viel davon. Herbst dürfte es schon werden, hieß es gestern beim Zweiten hinter vorgehaltener Hand - dann sind diverse Wahlen schon vorbei. Und auch ein Roland Koch vielleicht wieder etwas ruhiger. Sein Parteifreund Schächter jedenfalls blieb gestern bei seinem Personalvorschlag: "Nikolaus Brender steht für Unabhängigkeit und journalistische Kompetenz", so Schächter, der immer wieder auf eine "Versachlichung der Diskussion" drängte und damit dem von Koch und seinen Getreuen vorgebrachten Pseudo-Argumenten eine schallende Ohrfeige verpasste: "Ich kann es nicht hinnehmen, dass der ZDF-Chefredakteur beschädigt wird", sagte Schächter, er bleibe fest bei seinem Vorhaben, den 60-Jährigen für eine weitere Amtszeit vorzuschlagen. Brender sei mit diesem Vorgehen einverstanden.
Zur "Versachlichung der Diskussion" würde allerdings auch gehören, sich einmal dem Zentralproblem des ZDF-Stadls zu widmen: Dem übergroßen Einfluss der Politik auf den Sender, in dessen Gremien amtierende Politiker von Bund und Ländern mit sonstigen ParteibuchinhaberInnen Seit an Seit sitzen. Doch dieses Dilemma bleibt wohl in jedem Fall bestehen: Darüber zu befinden, wolle man "dem Gesetzgeber überlassen", so Polenz und Schächter unisono.
Nikolaus Brender hatte schon vorher in der Pause vor dem ZDF-Sitzungssaal in die Sonne geblinzelt und auf seine Weise die Vorgänge kommentiert: "Ich stehe noch."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt