: Z.B. Gisela Röhling
■ Kursleiterin im Bereich „Besondere Angebote für Ältere“, 35 Jahre, geschieden, ein Kind.
„Ich strebe natürlich auch eine Vollzeitbeschäftigung an.“Natürlich. Es ist still bei Gisela Röhling. Can, ihr 15jähriger Sohn, ist in der Schule. Die 35jährige hat schon ein paar Leben hinter sich. Schule, Hauswirtschaftsschule, Heirat. Da war sie noch nicht zwanzig. „Als Kind schwor ich mir: du wirst nur einmal heiraten. Auf dem Standesamt habe ich dann nicht den Mut gehabt, 'Nein' zu sagen.“
Der Tisch steht in der Ecke, da sitzt man sich nicht grad gegenüber. Verheiratet ging sie wieder zur Schule. Die Schwangerschaft, die Trennung, mit 23 Jahren das Abi. „Oft brachte ich meinen Sohn mit. Meine Mitschülerinnen fanden das gut. Von vielen wurde ich als Lehrerin angesehen.“
Das zweite Leben? Gisela Röhling würde das so wohl nicht sehen. „Ich bin nicht ein Mensch, der abbricht.“Gearbeitet hat sie immer. Und immer mit ihrem Sohn zusammengelebt. Während des Studiums für Erwachsenenbildung in Hannover, in Bremen. Auf Sylt in der Heimvolkshochschule wollte sie ihr Praktikum machen.
Der Leiter fand sie zu aufsässig. Das wundert sie. Vielleicht waren die Interessen einfach zu unterschiedlich. „Ich persönlich hab's nicht so mit Vögeln. Mein Vater hat's immer mit Vögeln gehabt, aber nicht so viel mit uns Kindern.“Ein Semester lang jobbte sie als Zimmermädchen auf Sylt, „dann bin ich doch nach Bremen zurück, und wollte mir einen Praktikumsplatz in der betrieblichen Weiterbildung suchen.“Eine Dozentin schreckte sie auf: „Hey, damit hast du doch gar nichts am Hut!“
Das war im Herbst 1990. Seit gut sieben Jahren arbeitet Gisela Röhling als Kursleiterin mit älteren Menschen. Also mit älteren Frauen. Die Entdeckung einer Lebensgeschichte: „Ich hab schon als Kind eine Nähe zu älteren Menschen gehabt.“Zögern, warten. Wie ein Zigarettenzug. „Das erste, was ich lernte, war, daß ,Bildungsarbeit mit Älteren' Frauenbildung heißt. Das erschreckte mich. Mit Frauen hab ich's doch nicht so, dachte ich. Obwohl ich nie was mit älteren Männern zu tun hatte.“
Mit „Aktuellen Tagesthemen in der Diskussion“fing es an. Den Kurs macht sie heute noch. Zum Teil mit den gleichen Leuten. Frauen. Immer habe sie gehofft, daß aus ihrem Kreis niemand stirbt. Letztes Jahr waren es zwei. „Das beschäftigt mich sehr.“Lust und Älterwerden; „Alles zu seiner Zeit“; Tod und Sterben; „Denn allein mach ich's ja doch nicht“; viele verschiedene Abend- und Vormittagskurse, auch verstärkt Bildungsurlaube hat sie in den letzten sieben Jahren gemacht. Kurse in der alten sozialdemokratischer Volksbildungsideologie? Wieder das Zögern. Lächeln. „Lebensnäher.“Vom Volkshochschul-Honorar allein mußte, konnte Gisela Röhling nie leben. Immer war noch irgendwas anderes dabei: Bürojobs, mal Kurse bei der Konkurrenz „Arbeit und Leben“, auch mal eine ABMaßnahme.
Manchmal denkt Gisela Röhling daran, sich selbstständig zu machen. Mit Kollegen eine eigene Bildungsgesellschaft zu gründen. Aber noch zögert sie. Denn: Bindungen dieser Art sollten reiflich überlegt sein. Aber auch, weil die Treue zur VHS groß ist.
Vor kurzem wurde sie in den ersten Kursleiterrat an der VHS gewählt. Und die Rente? „Denkt man lieber nicht dran. Aber“, erhobener Zeigefinger, grinsend: „Mit Anfang Dreißig hab ich einen Bausparvertrag gemacht.“
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