Yossi Beilin über Irans Bombe und die Hamas: "Nicht reden ist auch keine Lösung"
Das Atomprogramm des Iran ist noch immer eine Bedrohung für Israel. Die Aussichten, dass Sanktionen greifen, sind besser als noch vor ein paar Monaten, so der Meretz-Politiker Yossi Beilin.
taz: Herr Beilin, glauben Sie, dass der Iran Atomwaffen anstrebt? Und dass er sie, falls er sie hat, gegen Israel einsetzen würde?
Yossi Beilin: Manche in Israel denken so - ich nicht. Ahmedinedschad benutzt zwar eine radikale, krude Rhetorik, aber auch im Iran gibt es vernünftige Menschen. Das Land hat eine alte Kultur und eine große Geschichte.
Yossi Beilin (59) ist Chef der linksliberalen Meretz-Jachad Partei und war, neben Jassir Abed Rabbo, einer der treibenden Kräfte der Genfer Initiative, die ein inoffizielles Abkommen zur Lösung des Nahostkonflikts beschloss. Beilin kommt aus der Arbeitspartei und gilt als gemäßigtes Mitglied der israelischen Friedensbewegung. Er war u. a. Mitglied der Knesset und zeitweise stellvertretender Außen- und Justizminister in Israel.
Also alles nicht so schlimm?
Nein, das ist vorschnell. Denn wenn es dem Iran gelingt, Nuklearwaffen zu erhalten, dann haben wir einen ganz anderen Mittleren Osten. Das wird Hamas und Hisbollah stärken - und die gemäßigten Kräfte in Syrien oder Palästina schwächen. Wenn Iran die Bombe hat, dann werden die Aussichten für Verhandlungen oder eine Verhandlungslösung im Nahen Osten sehr, sehr gering sein. Deshalb müssen wir verhindern, dass Iran die Bombe bekommen kann.
Und wie soll das geschehen? Mit Gewalt?
Nein, nur über Sanktionen. Iran ist kein isoliertes Land, es hat Beziehungen, von denen es abhängig ist. Ohne die Hilfe von außen kann der Iran die Öl- und Gasfelder nicht ausbeuten.
Aber Iran ist durch den Irakkrieg der USA zur dominierenden Macht in der Region geworden.
Ja, das stimmt, aber dennoch ist Iran von anderen abhängig. Und diese Abhängigkeit müssen wir nutzen, um zu sagen: Hey, genug ist genug. Ihr seid eine wichtige Macht in der Region, aber die Bombe bekommt ihr nicht.
Glauben Sie, dass das funktioniert?
Es kann jetzt funktionieren - und zwar besser als vor ein paar Monaten. Denn damals waren jene, die Sanktionen forderten, gar nicht scharf darauf, diese auch durchzusetzen. Sie wollten eigentlich einen Militärschlag - und diesen über die Sanktionen vorbereiten. Doch der CIA-Bericht vom Dezember…
…der zeigte, dass Iran 2003 den Versuch, Atomwaffen herzustellen, gestoppt hat…
…hat eine neue Situation geschaffen. Ein Militärschlag steht seitdem nicht mehr auf der Tagesordnung. Deshalb ist es für die EU nun einfacher, Sanktionen zu beschließen und durchzusetzen. Denn Sanktionen stehen nun nicht mehr in dem Ruf, einen Militärschlag vorzubereiten.
Glauben Sie, dass der CIA-Bericht zum Iran korrekt ist?
Ich akzeptiere, dass der Iran seine Anstrengungen 2003 gestoppt hat. Aber ich bin sehr misstrauisch. Die Tatsache, dass die CIA keine Hinweise auf eine militärische Nutzung der Atomkraft hat, beweist nicht, dass diese nicht existiert. Und wer weiß, ob sie diese Arbeiten in ein, zwei Jahren wieder aufnehmen?
Hat die israelische Regierung Informationen, die zeigen, dass der CIA-Bericht falsch ist?
Nein, nichts wirklich Konkretes, eher "drumherum". Iran hat über Jahre die militärische Nutzung der Atomkraft betrieben - und es ist nicht so schwer, diese Versuche zu reaktivieren.
Israel fährt seit längerem einen harten Kurs gegen Gaza und die Hamas. Finden Sie es richtig, Gaza so zu isolieren?
Nein. Allerdings ist es nicht so, dass wir die Beziehungen zur Hamas abgebrochen haben. Denn Hamas will keine Beziehung zu uns. Hamas bietet Israel einen Waffenstillstand an - falls wir uns aus allen besetzten Gebieten und aus Jerusalem zurückziehen. Das ist alles. Ein traurige Lage. Wir von Meretz haben immer gesagt: Wenn wir nicht ernsthaft mit Arafat verhandeln, dann werden wir die Hamas bekommen. Genau das ist passiert.
Also kann Israel nichts tun?
Doch. Wir sollten direkt oder indirekt mit Hamas reden. Denn es ist keine Lösung, mit jemandem nicht zu sprechen. Selbst wenn Hamas dies weiter ablehnt, sollten wir z. B. über die Ägypter einen Waffenstillstand vereinbaren. Was ist denn die Alternative dazu? Eine realistische militärische Option gibt es nicht.
Glauben Sie, dass Hamas sich so wie die PLO in einen seriösen Partner verwandeln kann?
Das fällt mir persönlich schwer. Die Hamas hat in Gaza drei Monate lang einen Sarg mit meinem Namen drauf herumgetragen. Das war nach der Unterzeichnung der Genfer Initiative. Hamas sieht in mir jemand, der das Gesicht einer Taube trägt, doch hinter dieser Maske das Böse verbirgt. Deshalb bin ich schlimmer als die Bösen, die man ja an ihren Taten erkennt.
Deshalb sind Sie sicher, dass Hamas sich nicht verändert?
Ich glaube einfach nicht daran. Wenn es diese Entwicklung gibt - dann sagen Sie mir Bescheid. Ich werde der Erste sein, der mit Hamas redet.
Halten Sie Hamas denn für eine homogene Organisation?
Nein. Was ist schon eine homogene Organisation? Noch nicht mal meine eigene Familie ist homogen. Auch bei der Hamas gibt es Extremisten und Vernünftige, relativ Vernünftige, die wir stärken müssen. Aber: Es gibt offiziell keinen Hamas-Verantwortlichen, der mit Israel verhandeln will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!