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Yin und Yang am Prenzlauer Berg

Ein Degustationsmenü gibt Aufschluss über Harmonie und Kontrast von Speisen und Wein. Während das Analysevermögen im Laufe der sechs Gänge merklich nachlässt, nimmt die Freude am Geschehen deutlich zu. Am Ende kommt die Erleuchtung

von EBERHARD SCHÄFER

Goldener Glanz, Pfirsichduft und fruchtige Mundfülle des Gelben Muskatellers aus der Steiermark regen Fantasie und Appetit an. Der Erzeuger, Winzer Walter Polz, erklärt, dieser Tropfen des Jahrgangs 1999 sei genau der richtige Auftakt für ein sommerliches Menü auf der Terrasse. Nun ja, wir sitzen an diesem nasskalten Winterabend zwar im Lokal „Weinstein“ zu Berlin. Doch immerhin: Der Kachelofen spendet gemütliche Wärme, und weil heute Abend nicht geraucht werden soll, steht Frischluft zur Genüge zur Verfügung.

Der Polz’sche Muskateller leitet ein Degustationsmenü ein, bei dem nicht weniger als zehn Weine von zwei österreichischen Winzern nicht weniger als sechs Gänge mit passenden Speisen begleiten sollen. Ein Degustationsmenü, so hat es Weinstein-Compagnon Max Krull erklärt, sei die „anspruchsvolle Aufgabe, Weine und Speisen so zu kombinieren, dass nicht nur eine angenehme Begleitung beider Komponenten erreicht wird, sondern ein neues Geschmackserlebnis, welches mindestens erfreulich sein soll.“ Na denn!

Beispiel Nummer eins: Zum schon allein genossen durchaus erfreulichen Muskateller kommt ein Salat von grünen Bohnen mit hauchfein geschnipselten getrockneten Tomaten und weniger fein geschnittenen saftigen Stücken vom Oktopus. Dazu bäuerliches Brot. Der Oktopus schmeckt nach Meer, die Tomaten verströmen bei längerem Kauen süßsäuerliche Aromen im Munde. Nun ein Schluck vom Rebensaft dazu, und den Mund gut durchspülen! Der Wein fügt dem Geschmackserlebnis fruchtige, an Sommerobst wie etwa Pfirsich gemahnende Aromen hinzu, welche die Speichelproduktion anregen. Hier haben wir es mit einem Komplementärkontrast zwischen Essen und Wein zu tun, analysiert des Schmeckers Hirn. Nicht übel. Wohlauf zur nächsten Kombination! Zwischendurch ein Glas Wasser oder zwei. Wein macht Durst, und der Ofen heizt wirklich gut.

Beim nächsten Gang glänzt im rechten Weinglas der 1999er Sauvignon blanc von Walter Polz und im linken sein 2000er Weißburgunder. Dazu kommen deftige Speisen: Schwarzsauer, also die mit Blut gebundene Sülze, ein echtes Schlachtefest-Essen, und Rücken vom Kräuterschwein, begleitet von Lauch-Pesto-Graupen. Der Hauch von Lauch in den feinen Gerstenkügelchen, und dann ein Schluck vom Weißburgunder. Und noch einer … Schlussfolgerung: Hier schmeckt uns die Harmonie doch besser als der Kontrast. Darauf trinken wir zwei Gläser Wasser, ziehen das Jackett aus und lockern die Krawatte, die anderen machen es auch so; manche Damen sind schon schulterfrei. Schnell das Glas mit dem filigranen Sauvignon lehren, denn der nächste Wein ist schon im Anmarsch …

Und in diesem sachlich-sinnlichen Stil geht es weiter. Zugegeben, das Analysevermögen lässt mit Fortschreiten des Menüs merklich nach, die Freude am Geschehen hingegen nimmt zu. Einen spürbaren Erkenntnisgewinn bringt die Kombination von deftiger, kräuterstarker warmer Blutwurst zum Wein des zweiten heute anwesenden Winzers, Günther Schönberger. Der will am Neusiedler See nahe der österreichisch-ungarischen Grenze „ganz einfach die besten Weine“ erzeugen, wie er bescheiden erklärt (zahlreiche Auszeichnungen bestätigen den Erfolg seiner Bemühungen), und das auch noch biologisch, unter Beachtung des Mondzyklus. Schönbergers Herbstcuvée, die hier zum Einsatz kommt, ist durchaus mächtig, man spürt ein gewisses Kräuteraroma, das zur Blutwurst passt – ein weiterer Schluck bestätigt das. Ganz zart wiederum die Begleitung durch ein extrafeines Sellerie-Püree.

Am Neusiedler See sind die Sommer heiß, doch für Günther Schönberger ist das kein Grund, leichte, erfrischende Weine zu produzieren. „Es ist doch kein Problem, Weißweine mit 13 Prozent Alkohol bei dreißig Grad Celsius zu trinken“, meint er verschmitzt.

Der Mann mit den langen weißen Haaren hat gut reden, hier im Weinlokal sind es jetzt mindestens 35 Grad. Viele der vorhin noch blassen Wintergesichter haben eine gesunde Rötung angenommen. Die Zungen sind lockerer, die Unterhaltung ist lauter und fröhlicher geworden.

Wir kommen nun zu den Rotweinen, doch erst noch ein Glas Wasser! Im Anmarsch sind Ravioli aus Schokoladenteig (!), gefüllt mit Kirschen (!). Die schmecken nicht nur gut, sondern harmonieren mit den stoffigen, straff wie Segeltuch gewebten Schönbergerschen Rotweinen aufs Trefflichste.

Wir verkneifen es uns, uns bis aufs Unterhemd zu entkleiden, denn, gottlob, zum Finale gibt es eine Abkühlung. Ein Ingwersorbet, das lieblich-süß, aber auch scharf, irgendwie nach Buddhismus schmeckt. Dazu kommt Schönbergers süßer, aber nicht bonbonsüßer, mit sanfter Säure spielender 99er Welschriesling-Trockenbeerenauslese. Erleuchtung garantiert!

Ende der Veranstaltung. Selig lächelnde Menschen mit glänzenden Gesichtern schaukeln zufrieden Richtung Ausgang, stolpern hinaus in die stürmische Berliner Winternacht.

Bei „Weinstein“ (Lychener Straße 33, 10437 Berlin) gibt es nicht täglich Degustationsmenüs, aber stets viele gute offene Weine und hunderte in Flaschen

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