Wutbriefe der taz2-LeserInnen: Das ist ja widerlich!
Zehn Jahre Gesellschafts- und Kulturressort, das sind Klatsch, Niveaulosigkeit und Bevormundung. Ein Plädoyer der LeserbriefschreiberInnen.
Liebe taz zwei,
habt ihr sie noch alle? Vor 30 Jahren hab ich mein allererstes Weihnachtsgeld geopfert, um guten, linken Journalismus zu fördern. Nachdem ich zu der Erkenntnis kommen musste, dass ihr ernsthaft den Aufenthalt von Herrn Rainer Langhans im Dschungelcamp durch die „Haremsdamen“ kommentiert, kann ich euch nur bitten: Hört auf! Sofort!
Es gibt Wichtigeres unter der Rubrik „Gesellschaft und Kultur“ zu berichten. Durch die taz zwei ist das Niveau der taz leider bereits gesunken; manches ist ganz gut geschrieben, ganz nett zu lesen, aber überwiegend völlig unerheblich, einiges auch schlichtweg Klatsch und Tratsch. Ich frage mich bei einigen Artikeln im Feuilleton, Pardon, taz zwei, ob ihr nun auch Auto-Bild und dem Goldenen Blatt Konkurrenz machen möchtet. Natürlich ist auch Dieter Bohlen ein wichtiges gesellschaftliches Thema. Aber es kauft doch kein Mensch die taz, weil sie – wie alle anderen – über Dieter Bohlen schreibt.
Aber auch formal geht es drunter und drüber beim Gesellschafts- und Medienressort: Das Nachdenken hat wohl ausgesetzt bei einer Formulierung wie „Wir wollen nicht zynisch wirken, aber für einen kurzen Augenblick dachten wir uns schon, dass das deutsch Fernsehen nicht viel verlieren würde, wenn hier eine Bombe hochgehen würde.“ Eine Entschuldigung für diese „nur“ sprachliche Entgleisung wäre angebracht und ein starker Rüffel von der taz-Redaktion dazu – oder entspricht dieser Stil neuerdings dem journalistischem Credo der taz?
Krude Wortkunde in unterirdischen Zeilen
Seit einiger Zeit mache ich mir ernsthaft Sorgen, ob ihr eurem journalistischen Qualitätsanspruch noch gerecht werdet. Ich verzichte darauf, weitere Beispiele aus den vergangenen Wochen zu nennen (die habe ich wohl schon wieder verdrängt), dafür aber ich nehme mir die Zeit, das aktuelle Beispiel detailliert zu schildern.
An die leider zu beobachtende Wissenschaftsfeindlichkeit kann ich mich nur schwer gewöhnen. Jüngstes Beispiel ist die Kleine Wortkunde zum Thema Monogamie. Offenbar ohne sich überhaupt näher mit den beiden dort „kritisierten“ wissenschaftlichen Publikationen befasst zu haben, drescht ihr auf die Verfasserinnen und Verfasser ein. Das intellektuelle Niveau, auf dem sich die Wortkunde bewegt, entspricht dem evolutionsverneinender US-Republikaner und Evangelikalen.
Nicht zum ersten Mal kritisiere ich auch die – mit Verlaub – Blindfische Ihrer Wortkunde-Rubrik. Die mit der Lautschrift, der meist falschen. Der Betonungsnüddel muss VOR der betonten Silbe stehen. Das gewünschte Verb heißt ANzapfen und nicht etwa anZApfen, wie Ihre selbstgestrickte Lautschrift insinuiert.
Lassen Sie doch bitte nur Leute an die Umschrift, die auch Ahnung haben. Dafür bin ich nicht Genossin bei euch geworden, um diese unterirdischen Zeilen täglich zu lesen.
Menschenverachtende Dreckskommentare
Wenn ich früher meine Großmutter besuchte, klagte sie manchmal, dass in ihrer Tageszeitung nichts drinstehen würde. Ich wunderte mich immer ein bisschen. Heute fühle ich mich beim Lesen der taz oft wie meine Großmutter damals. Aber so ist der Zeitgeist. Menschenverachtende Dreckskommentare sind anscheinend gestattet, solange sie nur von dem „politisch-korrekten Spektrum“ ausgesprochen werden. Und nur weil die Bundesregierung den Sozialstaat zerhackt und selbiges als fortschrittlich und irgendwie links verkauft, müsst ihr doch nicht das Gleiche machen! Ist ja widerlich! Da etwa 40 Prozent der taz zu einem Gruselkabinett der Oberflächlichkeit mutiert sind, kann ich vielleicht die taz eins zuzüglich der Wahrheit zu einem günstigeren Preis beziehen?
Der Sinn einer Tageszeitung – ob ihr es wahrhaben wollt oder nicht – liegt auch darin, eine tägliche Wetterprognose und einen Überblick über das Fernsehprogramm* zu bekommen. Service heißt das Zauberwort! Mit welcher Arroganz druckt ihr nicht mehr das Fernsehprogramm? „Das sollten Sie sehen“ liefert keine Information, sondern Bevormundung. Ich bin mündig und fähig, für mich selbst zu entscheiden, was ich in der Glotze schauen möchte und was nicht! Letztlich ist die Maßnahme, das TV-Programm zu streichen, für die Leser eine versteckte Preiserhöhung. Ich habe keine TV-Zeitung und wollte nie eine. Was soll ich nun machen? Auf den ermäßigten Abopreis zurückwechseln und dafür eine TV-Karstadt abonnieren?
Auch für das Dschungelcamp-Kakerlaken-Geschreibsel möchte ich nicht mehr den politischen Preis für mein taz-Abo bezahlen. Wenn ihr so gerne wie die Bild-Zeitung sein wollt, dann sucht euch die entsprechenden Leser. Dann müsste allerdings auch euer Preis sinken und nicht nur euer Niveau. Ich bin eine taz-Genossin, holt mich hier rauuus!
Ihre LeserbriefschreiberInnen der vergangenen zehn Jahre
* Das Fernsehprogramm: taz2 schaffte nach der Gründung des Ressorts das TV-Programm in der Zeitung ab. Aufgrund des hohen Leserprotests erhielt die Programmübersicht nach 42 Tagen ihren Platz auf der Medienseite zurück.
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