: Wunderwerk der Technik: ViCLAS
Wenn sie über das neue Wunderwerk der Technik sprechen, werden manche Kripo-Veteranen melancholisch. Hätte es ViCLAS früher schon gegeben, sinnierte der Chef des Berliner Landeskriminalamts (LKA), Hans-Ulrich Voß, kürzlich, dann hätte er den „Kühlschrankvergewaltiger“ vielleicht schneller finden können.
Dieser Serientäter zeichnete sich dadurch aus, dass er immer kurz nach einer Tat in die Küche seines Opfers ging und sich im Kühlschrank bediente. „Scheußlichkeiten“ als typisches Täterverhalten, wie Voß sagt, aber „Notwendigkeiten für uns“, um dem Täter auf die Schliche zu kommen. Doch damals, in den Achtzigerjahren, gab es ViCLAS noch nicht.
Heute reicht in ähnlichen Fällen ein Knopfdruck, und die Ermittler wissen, ob es Kühlschrankvergewaltiger in anderen Bundesländern schon gegeben hat. Seit Juni 2000 haben alle Landeskriminalämter Zugriff auf das bundesweite ViCLAS-System.
ViCLAS steht für Violent Crime Linkage Analysis System. In der zentralen Datenbank des Bundeskriminalamts (BKA) werden Tötungs- und schwere Sexualdelikte, Vermisstenfälle, aber auch „Fälle verdächtigen Ansprechens von Kindern“ gespeichert. Vorher müssen die Polizeidienststellen den ViCLAS-Erhebungsbogen ausfüllen. Dieser besteht aus 168 Fragen, unter anderem zum Opfer, Täter, Tatablauf und zu verwendeten Waffen.
Da inzwischen viele europäische Länder an das System angeschlossen sind, lässt sich fast europaweit recherchieren. In Deutschland sind zurzeit etwa 3.300 Fälle gespeichert.
Schon seit den Zeiten des BKA-Chefs Horst Herold, der unter anderem der RAF computergestützt auf den Leib rückte, hat das BKA Daten und Fakten gesammelt, verglichen und ausgewertet. Aber erst mit ViCLAS verfügt die Polizei über ein einheitliches System und einen schnellen Zugriff auf die gesammelten Daten.
ViCLAS wurde Mitte der Neunzigerjahre in Kanada entwickelt. Anlass waren Ermittlungspannen bei einer Reihe schwerer Gewalttaten, weshalb man ein effektiveres Fahndungsinstrument für Serientaten finden wollte.
Aber auch die opulenteste Datenbank, sagt der Wiesbadener BKA-Mann Harald Dern, „nützt gar nichts ohne eine Philosophie, wie damit umzugehen ist“. Ohne ein kriminologisch denkendes Hirn bleiben die Daten stumm. So reicht es eben nicht, einfach das Stichwort „Kühlschrank“ einzugeben.
Aus den Erkenntnissen über den Berliner Serientäter lässt sich zum Beispiel nicht zwingend schließen, dass er auf jeden Fall immer nach einer Tat gekühlte Speisen zu sich nahm. Sein Verhalten spricht zunächst einmal nur dafür, erläutert Voß, dass er sein Machtbedürfnis über die Tat hinaus zu steigern versuchte. Die ViCLAS-Daten können deshalb nur Anhaltspunkte liefern. Denken müssen die Beamten schon noch allein.
Im Idealfall, so LKA-Chef Voß, verbinden sich die technisch gewonnenen Daten mit dem Wissen speziell geschulter Mitarbeiter. ViCLAS sei ein Beispiel, wie die Polizei „technisch Schritt hält“. Allerdings nicht ganz: Bisher ist ViCLAS noch nicht online. Die Daten werden polizeiintern noch auf Disketten ausgetauscht.
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