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DOKUMENTATIONWunder werden seltener

■ Die Zeitung der Bürgerbewegung, „die andere“, steht kurz vor der Pleite

Mitten im Sommer, dem dritten nach der Wende, wurde der Herausgeber Klaus Wolfram in den Urlaub geschickt, den ersten nach der Wende. Er hat ihn gebraucht, denn seinem Anblick nach stand er kurz vor einem Herzinfarkt. Ich wollte ihn für diese Zeit vertreten und ein bißchen Ordnung machen. Aber was kam dabei alles zum Vorschein...

Wir wollen keine Panik machen, trotzdem müssen wir der Tatsache unserer möglichen Pleite ins Auge sehen. Und die würde bedeuten, daß die andere eingestellt werden muß, wenn nicht noch ein Wunder geschieht. Leider werden Wunder immer seltener. Scheitern würden wir nicht nur an der Marktwirtschaft und ihren Hochglanzprodukten, die einen großen Teil der Leser auf andere Wege geführt haben, scheitern würden wir vor allem an uns selbst.

Was bedeutet es eigentlich, daß 80 Millionen Deutsche sich keine zwei unabhängigen, alternativen überregionalen Zeitungen leisten wollen? Gibt es wirklich keinen Bedarf für die taz oder die andere, oder warum sind sie ständig von Existenznöten bedroht? Was läuft in diesem Land so verquer, daß alternative Projekte vor allem dafür herhalten müssen, nach ihrem Scheitern Untersuchungsobjekte für Doktor- und Diplomarbeiten zu werden? Man redet gern über, aber man lebt nicht gern mit. Vielleicht hätten wir größere Chancen gehabt, wenn die Zeitung mehr von den Bürgerbewegungen akzeptiert worden wäre und wenn auch die Zeitung die Bürgerbewegung ernster genommen hätte.

Auf Dauer aber ist auch dem Neuen Forum als alleinigem Unterstützer die Puste ausgegangen, denn das Bündnis 90 hat sich lieber ein Vereinsblättchen geschaffen, Beirat der Zeitung gab es nur auf dem Papier, etliche Mitarbeiter haben sie nur als Sprungbrett für besser bezahlte Jobs benutzt. Unser Freier Jens Reich hat auch lieber in der Wochenpost und in der Zeit seine Kolumnen geschrieben. Schade. Aber genug gejammert. Es hilft alles nichts.

Wir haben uns nicht über die Schwierigkeit des Einigungsprozesses hinweggetäuscht und uns in der Zeitung und Wirklichkeit gleichermaßen langsam auf die andere Republik und ihre Themen hinbewegt. Unsere Vergangenheit haben wir nicht einfach beiseite gelegt, sie hat die Zeitung mit bestimmt. Unser Stil war sicher nicht immer spritzig und unsere Themen nicht immer mitreißend, aber sie waren echt, weil sie uns am Herzen lagen. Unsere größte Leistung liegt darin, daß die Zeitung trotz aller Schwierigkeiten so lange überlebte, und immerhin ist das ja wohl auch ein Zeichen dafür, daß sie gebraucht wurde. Hilfe — hat die andere schon öfter gerufen. Gehört wurde sie fast immer nur von denen, die auch kein Geld haben. Ob uns jetzt noch einer hört, der Geld hat? Bärbel Bohley

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