zwischen den rillen: Wunder der Rekonvaleszenz: Die Red Hot Chili Peppers legen ihr bestes Album vor
Abkehr vom dicken Daumen
Das neue Red-Hot-Chili-Peppers-Album ist auch ein Fest für die Statistik. Es ist das achte in knapp zwanzig Jahren, es ist aber erst das vierte, das sie in derselben Besetzung eingespielt haben. Dass die Red Hot Chili Peppers überhaupt zwei aufeinander folgende Alben in derselben Besetzung eingespielt haben, kam vor der neuen Platte nur ein einziges Mal vor, und zwar mit „Mother’s Milk“ (1989) und „BloodSexSugarMagic“ (1991). Auch damals war John Frusciante der Gitarrist, er war der sechste im Laufe ihrer Geschichte. Er stieß 1988 zu den Red Hot Chili Peppers, weil sich Hillel Slovak, seines Zeichens Gitarrist Nummer fünf, gerade mit einer Überdosis Heroin ins Jenseits geschossen hatte. Frusciante war damals 17 Jahre alt.
Wie man weiß, tauschte Frusciante nach „BloodSexSugarMagic“ seine überaus erfolgreiche Musikerkarriere gegen eine noch erfolgreichere Drogenkarriere, in deren Verlauf er nicht nur vorübergehend Verstand und Fingernägel, sondern auch dauerhaft seine Zähne verlor. Er wurde während dieser Zeit von Dave Navarro ersetzt, dem Gitarristen Nummer sieben. Als dieser nach nur einem Album („One Hot Minute“, 1995) seiner Pflichten entbunden wurde, kehrte Frusciante für das Album „Californication“ (1999) zurück. Heute ist er 31 und immer noch acht Jahre jünger als seine Kollegen. Bassist Flea und Sänger Anthony Kiedis sind zu diesem Zeitpunkt bereits die Hälfte ihres Lebens Red Hot Chili Peppers. Alles in allem könnte man sagen, dass sie überlebt haben, weswegen man der Band nur dazu gratulieren kann, dass sie mit „By The Way“ einen Albumtitel gefunden haben, der in Sachen Beiläufigkeit nur schwer zu überbieten ist.
Man hätte erwarten dürfen, dass sich die Red Hot Chili Peppers nach zwei Jahrzehnten und einem Hauch Stabilität nun auf dem Erreichten ausruhen. Sie hätten sich als Urväter aller witzigen weißen Funk-Rock-Nu-Metal-Rap-Crossover-Combos feiern lassen können – also als diejenigen, die Bands wie Limp Bizkit, Linkin Park, Soulfly, Sum 41 und P.O.D. erst zu ihrem unseligen Tun inspirierten. Zwar keine schöne Leistung, aber eine Leistung immerhin. Sie hätten also als die Band, der es schwer fiel, mehr als Unterwäsche zu tragen, in die jüngere Musikgeschichte eingehen können, doch offensichtlich haben es sich die Red Hot Chili Peppers anders überlegt. Jetzt wollen sie es noch einmal wissen.
Bereits „Californication“ zeigte erste Anzeichen einer Abkehr vom bandtypischen Funk mit dickem Daumen, auf „By The Way“ ist er nun weitgehend verschwunden. Allein der Titelsong und ein offenbar medienkritisch zu verstehendes Stück namens „Throw Away Your Television“ erinnern noch an vergangene Tage, während der Rest gewissermaßen durch Unterschiedlichkeit besticht. Es gibt einen Phil-Spector-Song, einen Beatles-Song und einen Radiohead-Song, was nicht weiter überraschen würde, gäbe es nicht auch noch einen Eagles-Song, der sich wie ein New-Order-Song anhört, einen Ska-Song und einen Song, der wie für Jennifer Lopez geschrieben klingt, obwohl er es nicht ist. Dieser Song trägt den Titel „Cabron“, was man nach Verlautbarungen der Band als spanische Entsprechung für „Motherfucker“ verstehen darf. Er wird von Anthony Kiedis mit geradezu lieblicher Stimme gesungen. Man merkt also, dass die Red Hot Chili Peppers auch in Sachen Subtilität an sich gearbeitet haben.
Im vergangenen Jahr haben sich Flea und Frusciante den Spaß erlaubt, in einer Joy-Division-Revivalband zu spielen, was nun zur Folge hat, dass Fleas Bassspiel mehr an Peter Hook erinnert und weniger an Bootsy Collins. Von Frusciante, der als Gitarrist auf der Strecke von Van Halen bis The Smiths eigentlich jeden Stil beherrscht, heißt es, dass er gemeinhin zur Einsiedelei neigt, sich tagein, tagaus im Studio verbarrikadiert, um die Gebrauchsmöglichkeiten seltsamer Keyboards zu studieren sowie das Wunder des Echos. Das hört man dem Album an, ebenso, dass er auch das Werk der Beach Boys erforscht hat; immerhin stammen all die Chorarrangements aus seiner Feder. Von Drummer Chad Smith heißt es, dass er als Einziger in der Band noch für Hardrock und Bier zu haben ist. Das hört man dem Album zwar nicht zwingend an, aber geschadet hat es gewiss nicht.
Um das Album nun nicht butterweich, bunt und satt klingen zu lassen, hat sich Produzent Rick Rubin seinerseits darum bemüht, die Zutaten zweckmäßig zu bündeln, statt sie dekorativ über die Laufzeit zu verteilen. Streckenweise sind die Aufnahmen daher fast schon trocken und minimalistisch geraten, weshalb die äußerst eingängigen Songs auch nach mehrmaligem Hören noch funktionieren. Das ist die gute Nachricht. Die bessere Nachricht ist allerdings, dass die Songs wahrscheinlich noch länger sehr gut funktionieren werden, weil dies nicht nur das beste Red-Hot-Chili-Peppers-Album seit langem ist, sondern mit weitem, weitem Abstand ihr bestes Album überhaupt. Und das ist mehr als nur ein Kompliment. HARALD PETERS
Red Hot Chili Peppers: „By The Way“ (Wea)
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