Würzfleisch oder Hackepeter

■ Noch ist das "Essen" in den meisten Ost-Berliner Restaurants eine Zumutung / Für eine Verbesserung der Speisekarten fehlen Geld und Ideen / Katastrophale Ausrüstung der Küchen

Das Eisbein schimmert zartrosa im Lampenlicht, von den blanken Knochen tropft saftig das Fett. Ein Häufchen elendes Erbsenpürree klebt kraftlos auf dem Porzellan; drei morbide Salzkartoffeln fallen am Rand des Tellers auseinander, weil sie das Gewicht der Petersilie nicht tragen können und auch das bräunliche Sauerkraut sieht so aus, als hätte es im Laufe seines Daseins schon viel erlebt, meist in der Dose.

Die meisten Speisekarten Ostberliner Restaurants sind eine Einladung zum Überlebenstraining. Die Auswahl reicht gerade mal von Schnitzel bis Würzfleisch, und, für ganz Harte, von Broiler bis Hackepeter. Nach dem Verzehr streikt der Verdauungstrakt, die Speisen wollen sofort recycelt werden. Wer keinen Underberg in der Tasche hat, lernt beim Vorbeirennen wenigstens die Klofrau kennen.

Rund 1.200 Gaststättenbetriebe gibt es auf dem Gebiet der Ex-DDR- Hauptstadt, die meisten darunter sind Bierschwemmen und Hotels. Wer auswärtigen Besuch bekommt, der endlich mal die est cuisine kennenlernen möchte, hat schlechte Karten. Der Ruf der meisten Speisegaststätten ist noch immer miserabel, ein Ende trotz der Wende nicht in Sicht. Auf den Nenner gebracht: Gute Restaurants waren schon vorher in privatem Besitz oder staatliche Renommierbetriebe, die übrigen sind hoffnungslos reaktionär.

Zur Zeit werden die HO-Speisegaststätten von der Treuhand zwar zum Verkauf angeboten. Kenner der Restaurantszene sind aber skeptisch, ob es überhaupt zu einer nennenswerten Zahl von Vertragsabschlüssen kommen wird. Für Christian Stolzenburg, Besitzer des am Kollwitzplatz gelegenen Restaurants »1900«, geht die Rechnung einfach nicht auf: Um eine heruntergekommene Gaststätte auf West-Niveau zu bringen, bräuche man bis zu 500.000 Mark Startkapital. Das Küchenequipment sei in den meisten Fällen hoffnungslos überaltert, Stühle und Tische nur VEB-Einheitsdesign. Durchgefaulte Decken, kachellose Küchen und vermodernde Tapeten müßten ebenfalls renoviert oder vollständig erneuert werden. Da niemand so viel Geld auf der hohen Kante habe, müsse man einer Kreditanstalt tief in die Tasche greifen. Bei Zinsen von zehn Prozent macht das einen monatlichen Abschlag von rund 4.000 DM ohne, daß der Kredit auch nur mit einer Mark getilgt wäre. Wenn der Laden nicht gleich laufe, stünde man nach wenigen Monaten schon vor dem Bankrott. Ebenfalls abschreckend: Die ungeklärten Eigentumsverhältnisse Ostberliner Häuser. Stolzenburg: »Ich würde hier nicht investieren!«.

Die einfallslose Ost-Küche nervt auch ihn. »Viele haben den Anschluß verpaßt!« meint er, hätten es bei einem neuen Getränkesortiment bewenden lassen und die Speisekarte nicht verändert. Der Umsatz sei in den meisten Gaststätten eh zurückgegangen, »die Leute geben ihr Geld lieber für Autos, Video und Urlaub aus«. Wer seine Küche in den Sternenhimmel kochen will, hat es nicht leicht: »Einen italienischen Koch kann sich hier keiner leisten.« Überhaupt werde es immer schwieriger, gutes Personal zu halten, Köche und Kellner verdienen im Osten nur 60 Prozent des West-Tarifs. Doch die schwierige wirtschaftliche Lage ist nur ein Grund für die Tatsache, daß man rund um den weltberühmten Alex nicht mal einen Pinot Blanc trinken oder eine simple Lasagne essen kann. Das Küchenpersonal macht Dienst nach Vorschrift, der Fleischfraß kommt vom Fließband. Als im Sommer im Havelland die Erbeeren auf den Feldern vergammelten, servierten Ost-Berlins Kellner trotzdem Dosenfrüchte — nur ein Beispiel für die deprimierende Unkreativität der Gastronmie. Und je weiter man sich von Berlin entfernt, desto schauderhafter wird es. Auf Rügen kostete das Gläschen Cognac auch nach der Wiedervereinigung noch 2,93 Mark, ansonsten: Würzfleisch, Würzfleisch, Würzfleisch. Fisch aus der Ostsee? Wo leben wir denn!

Auch an der sprichwörtlichen Unverschämtheit der Ost-Kellner hat sich bisher nicht viel geändert. Fragt der Gast eines ihm empfohlenen Restaurants in Halle den Ober, ob er das Steak Hawaii (sonst war alles aus) bestellen könne. Sagt der: »Des würdsch nich essen, des schmeggt nich.« Das Kellnerproblem, so glaubt der Vorsitzende des Berliner Hotel und Gaststättenverbandes Dr. Michael Wegner, würde sich bald von selbst erledigen: »Da vertrauen wir ganz auf die Kräfte des Marktes!« Bis dahin gilt: Bleibe im Westen und nähre dich redlich. Claus Christian Malzahn