Würdigung von Jakob Arjouni: Bruder Jakob
Er war ein eleganter Autor mit einem großen Faible für Außenseiter. Zum Tode von Jakob Arjouni, der mit nur 48 Jahren starb.
„Ich fand übrigens immer schön, dass im Wort ’unterhalten‘ das Wort ’halten‘ steckt. Und genau das sollte ein Buch für mich sein: Halt gebend, Mut machend, rückenstärkend.“ Ein letztes Mal wehrte sich der Schriftsteller Jakob Arjouni in einem Interview in der Zeitschrift des eigenen Verlags, dem Diogenes Journal, im Herbst gegen wiederkehrende Vorurteile, man könne mit Humor, Tempo und szenischem Schreiben keine große Literatur schaffen.
Jakob Arjouni, geboren 1964 in Frankfurt am Main, war schließlich angetreten, das Gegenteil zu beweisen. Und auch wenn ihn der Betrieb dafür nicht gerade hätschelte, es ist ihm gelungen. Auf Preise und Preisgelder konnte er dank seiner vielen Fans gern verzichten. Über eine Million verkaufte Bücher im Diogenes Verlag sprechen für sich.
Jakob Arjouni war ein angriffslustiger Typ, eher einzelgängerisch, nicht allzu sehr auf Kompromisse eingestellt. Wer ihn mochte, der mochte ihn, und wer nicht, eben nicht. Er gedachte ja auch nicht, Wohlfühlprosa abzuliefern.
Mit Wut und Charme
Doch auch seine Kritiker im Literaturbetrieb mussten anerkennen, dass hier jemand nicht nur mit Wut, sondern vor allem mit großem Charme und scharfer Beobachtungsgabe schrieb, der in der deutschsprachigen Literatur – ja: UNTERHALTUNGSLITERATUR! – nun ein Werk hinterlässt, das überdauern wird. Jakob Arjouni war als Person wie als Autor sarkastisch, frech sowie ungemein treu gegenüber seinen einmal gewonnenen Freunden und Positionen, ein integrer Mensch.
Seine Romanfigur, der Privatdetektiv Kemal Kayankaya, den er mit 21 Jahren 1985 erfand, machte ihn sehr jung sehr bekannt. Endlich ein junger Wilder in der deutschen Literatur, der nicht fortgesetzt über sich und seine kleine Welt in verschlungenen Sätzen vor sich hin ächzte und schwitzte, sondern einer, der lieber flott rausging, laut lachte und kräftig austeilte.
Geschult an der angloamerikanischen Literatur (Hammett, Chandler, später Yates), aber auch an Fauser, ließ er seinen Privatdetektiv in Milieus eintauchen, die der gemeine Bildungsbürger eher nicht kannte oder zoologisch mit unterdrückt lüsternem Blick beäugte: das Frankfurter Bahnhofsviertel, die Ausländer, die Luden, die Prostituierten, die kleinen Verlierer und manchmal auch kleinen Gewinner, mit ihren großen und kleinen Dramen.
Diesen und viele weitere spannende Texte lesen Sie in der sonntaz vom 26./27. Januar 2013. Am Kiosk, eKiosk oder gleich im Wochenendabo. Und für Fans und Freunde: facebook.com/sonntaz
Frankfurt: ein Dorf ohne Tanzfläche
Frankfurt, das war, als Jakob Arjounis Schriftstellerstern 1985 mit „Happy birthday, Türke!“ zu leuchten begann, eine Stadt im kulturellen Stillstand. Hausbesetzer- und Spontibewegung waren Geschichte, die 68er Kultur war hegemonial, aber in sich erstarrt. Jüngeren, von Punk und Pop Beeinflussten, erschien die Mainmetropole in den 1980ern als ein großes geschäftiges Dorf ohne Tanzfläche.
In der hohen Politik gab die Regierung Helmut Kohl mit ihrer „geistig-moralischen Wende“ den Ton an, was hieß: Bekämpfung der 68er Kultur, beinharte Kniefälle vor SS-Gräbern in Bitburg sowie Dauerpanik wegen „Überfremdung“. Anstatt darüber, wie aufrechte Politlinke dies gern tun, nun einfach nur moralisch zu lamentieren, schuf sich Jakob Arjouni einen fiktiven Helden, der diese Tristesse lustig und aufrecht überwand, ohne über Politik unmittelbar ein Wort zu verlieren.
Einen im Stile eines Philip Marlowe agierenden Privatdetektiv namens Kemal Kayankaya zu schaffen – unbestechlich, sentimental und, wenn’s drauf ankommt, wie sollte es anders sein, kräftig zupackend – und hessisch babbelnd vor Frankfurter Kulisse agieren zu lassen, war einer der genialsten Einfälle der jüngeren deutschen Gegenwartsliteratur.
Gebrochene Helden
Jakob Arjounis insgesamt fünf Kayankaya-Romane stecken voller Situationskomik und bissigen Gesellschaftsbetrachtungen. Stilistische Leichtigkeit, Lakonie und Action sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, mit welch großem Ernst und romantischem Kämpferherzen sie verfasst sind. Jakob Arjounis gebrochene und sympathische Helden sind allesamt Verlierer und antibürgerliche Abenteurer.
Doch kam es schon früh zu Missverständnissen. Jakob Arjounis Kemal Kayankaya war eine gänzlich städtisch und modern konstruierte Figur, also eine ohne deutsch-türkisches Identitätstrauma und ohne Häkelkappenfolklore. Das war damals zu viel auch für den kulturkonservativen Teil der Mainstream-Linken, die „das Andere“ zwar positiv besetzten, sich aber ihren Ali (wie die völkische Rechte auch) als den kulturell Fremden bastelte und dachte.
Der Pflasterstrand jener Jahre, das damals existierende Zentralorgan der Frankfurter Sponti-Linken, warf Jakob Arjouni gar einmal Rassismus vor. Er verstecke sich hinter ausländischen Indentitäten und benutze sie. Was natürlich Quatsch war. Jakobs Eltern hießen Michelsen und Bothe, aber er war so frei, entgegen seiner eigenen Herkunftslinie, den Namen seiner aus Marokko stammenden ersten Frau anzunehmen.
Spezialist für Situationskomik
Die Fähigkeit zum Bruch, die Sympathie für Außenseiter und die Eleganz eines auf moralische Kommentare verzichtenden szenischen Schreibens kennzeichnen sein gesamtes Werk. Er ist der Spezialist für Situationskomik, der wie aus dem Nichts treffsichere Beschreibungen und Dialoge entwerfen konnte. Aus der Underdogperspektive sind auch seine Berlin-Romane „Magic Hoffmann“, „Der heilige Eddy“ oder „Cherryman jagt Mister White“ (2011) verfasst, insbesondere „Magic Hoffmann“ (1996) ist eine Symbiose aus Kayankaya-Stil und deutschem Kleinganoven-Nachwende-Drama.
Jakob Arjouni verspottete Nationalismus sowie elitäres Schnösel- und Aufsteigertum. „Bruder Kemal“, sein im Herbst erschienener letzter Kayankaya-Roman, zeigt den Privatdetektiv als gereiften Mann, der sich weder von der Bankierstochter Valerie de Chavannes noch von Opportunisten wie Starautor Malik Raschid während der Frankfurter Buchmesse hinters Licht führen lässt.
Von seinen vielen Erzählungen, Romanen und Theaterstücken dürfte sein meistunterschätztes Werk vielleicht der Roman „Hausaufgaben“ sein. Er beschreibt den selbstgerechten Moralapostel und Deutschlehrer Joachim Linde, einen Alt-68er, dessen Antifaschismus ganz schnell in Israel-Bashing übergeht, der seine Tochter missbraucht und seine Familie zerstört. Zuflucht sucht er bei seinem alten Kumpel, dem Rektor Gerhard Bruns. Von Rektor Bruns zeigte sich schließlich sogar der als Scheusal gezeichnete Lehrer Linde beim nächtlichen Telefonat schockiert: „Linde verschlug es die Sprache. Bruns musste völlig betrunken sein.
’Sag mal, Gerhard‘, Linde stockte, das war nun überhaupt nicht sein Thema, und trotzdem, die Frage brannte ihm auf der Zunge, wie kannst du einfach … Ich meine, wenn nicht ich angerufen hätte, sondern …‘
Für einen Moment tönte nur die Jazzmusik durchs Telefon, bis Bruns fragte: ’Telefonierst du deshalb morgens um fünf mit mir? Nebenbei: Der Junge ist neunzehn, wir sind also sozusagen völlig legal. Und in dem Alter weiß man ja wohl, was man macht – oder man weiß es nie. Weißt du’s?‘ “
Nackig auf dem Tisch
Weiß man’s? Jakob Arjouni hatte als Schüler der mittlerweile berühmt-berüchtigten Odenwaldschule in Heppenheim anderes beobachtet. In „Hausaufgaben“ lagen bei Erscheinen 2004 die Tatsachen förmlich nackig auf dem Tisch. Rektor Bruns und Deutschlehrer Linde decken sich in dem Roman gegenseitig. Und wenn es einmal wirklich eng wurde, gab es da ja noch das liebe Kollegium.
„Hausaufgaben“, mag nicht so leichthin formuliert sein wie ein Kayankaya-Roman oder „Chez Max“. Doch die Lektüre deutet an, mit welchen Hindernissen die Aufklärung der Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule so hartnäckig bis heute zu tun hat. Leider konnte die Literaturkritik das Thema des Buchs nie richtig deuten, man hielt und hält es für ein launiges 68er-Bashing. Das ist es nicht.
„Im besten Fall sind Bücher wie Freunde. Freunde, die man ins Regal stellen kann. Das ist das Gute. Das Blöde ist, dass sie einem nicht die Hand halten können.“ Das sagte Jakob Arjouni im Wissen des nahenden Todes. Er wurde nur 48, seine Familie und Freunde sind fassungslos. Vielen wird er fehlen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Historiker Traverso über den 7. Oktober
„Ich bin von Deutschland sehr enttäuscht“
Deutsche Konjunkturflaute
Schwarze Nullkommanull
Schäden durch Böller
Versicherer rechnen mit 1.000 Pkw-Bränden zum Jahreswechsel
Elon Musk greift Wikipedia an
Zu viel der Fakten
Ende der scheinheiligen Zeit
Hilfe, es weihnachtete zu sehr
Grünen-Abgeordneter über seinen Rückzug
„Jede Lockerheit ist verloren, und das ist ein Problem“