Würde des Faustkampfs: Warum Boxen fortschrittlich ist
Was wir alle vom Boxen lernen können: eine kurze Kulturgeschichte des Faustkampfes und die Erklärung, warum der Sport politisch und intelligent ist.
B oxen ist nicht schön. Gegen diesen Satz fällt mir leider kein Argument ein. Der Sport kann hässlich sein, brutal, gefährlich. Das wissen alle, sogar ich. Dass aber Boxen auch Eleganz aufweist, dass es hier intelligent zugeht, lustig, attraktiv und auch sehr politisch, das hat sich nicht im selben Maße herumgesprochen wie die Geschichte vom gefährlichen Boxen.
Dennoch wird geboxt. Historisch gesprochen: von allen und zwar schon immer. Körperlicher Händel, der sich gefälligst auf die Fäuste zu beschränken hat, ist Ausdruck der Zivilisationsgeschichte. Der Soziologe Norbert Elias war es, der gezeigt hat, wie gerade im Boxen rohe Gewalt zurückdrängt wird, wie unsere Umgangsformen geregelter werden, weniger körperlich, ziviler.
Angefangen hat es mit dem durchaus manchmal tödlich endenden Pankration in der Antike, das aber etwa dem Sokrates-Schüler Platon (angeblich) zu zwei Olympiasiegen verhalf und somit in die Philosophiegeschichte gehört. Bereits Jahrmarktraufereien im 17. und 18. Jahrhundert waren regulierter: Zuschauer bildeten einen Ring, der bald mit Seilen begrenzt wurde.
Es kamen Kampfrichter hinzu, und Tiefschläge waren ebenso verboten wie das Nachsetzen gegen jemand, der am Boden lag. Ende des 19. Jahrhunderts, als aus all solchen Wettkämpfen moderner Sport wurde, bekam das Boxen weitere Regeln, die des englischen Marquess of Queensberry. Der führte beispielsweise die Handschuhpflicht ein und ließ einem niedergeschlagenen Boxer gezählte neun Sekunden, um wieder aufzustehen. Bei zehn war Schluss.
Alle tun es
Das alles mag das Boxen nicht unbedingt schön machen, und wenn ich hinzufüge, dass dieser sporthistorische 9. Marquess, John Sholto Douglass, auch derjenige war, der den Schriftsteller Oscar Wilde wegen dessen Homosexualität ans Messer lieferte, dürfte die Bereitschaft, diesem Sport größere Sympathie entgegenzubringen, noch ein wenig sinken. Aber wenn wir zugeben, dass viele Menschen – ich gehöre dazu – Boxen attraktiv finden, dann hilft gerade der Hinweis auf den Prozess der Zivilisation vielleicht zu verstehen, warum geboxt wird. Nämlich wie gesagt: immer und überall und von allen.
Ein wichtiger Grund lautet: Boxen ist eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs – für den Einzelnen und für ganz große gesellschaftliche Gruppen. Im England und Nordamerika des 18. und 19. Jahrhunderts boxten die, die Unterschichtler genannt wurden. Als erster inoffizieller Weltmeister gilt Daniel Mendoza aus London, ein Arbeiter und Kaufmannsgehilfe. Er und die anderen frühen Profiboxer konnten sich auf diese Weise behaupten.
Sie schlugen sich durch. Es waren Juden wie Mendoza, Iren, Schwarze, nicht selten befreite Sklaven, und auch Frauen erkämpften sich so Anerkennung. Mendoza schrieb 1789, nicht zufällig im Jahr der Französischen Revolution, das Buch „The Art of Boxing“, um seiner Kampfkunst ein höheres Renommee zu verschaffen.
Boxen zeigt alles
Noch im 20. Jahrhundert, als es schon eine Profiboxindustrie gab, war es genau dieser Sport, der zeigte, welche benachteiligte Sozialgruppe gerade vor einem gesellschaftlichen Aufstieg stand: nämlich beinah immer die Gruppe, die gerade das Gros der Weltmeister stellte: die Iren, die Juden, die Italo- und Afroamerikaner, die Hispanics. Mittlerweile sind es Osteuropäer, die am stärksten die Szene prägen. Was Sportverächter wohl nie kapieren werden, ist, dass mit der gesellschaftlichen Diagnostik, die das Profiboxen bereitstellt, die Soziologie kaum mithalten kann.
Fazit nach der ersten Runde: Boxen ist nicht schön, und zwar genau deswegen, weil es alles zeigt. Alles, wirklich alles. Und erst am Ende dieser ersten Linker-Haken-Kolumne merke ich, dass ich etwas über die politische Bedeutung des Boxens geschrieben habe, ohne ein einziges Mal den Namen „Muhammad Ali“ zu verwenden. Ha. Das kann ja heiter werden.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Merz will Straftätern Pass entziehen
Heimat ist bedingungslos
Erneuerbare Energien
Die bizarre Aversion der AfD
Anklage gegen Linke Maja T. erhoben
Ungarn droht mit jahrelanger Haft
Polizeigewalt beim AfD-Parteitag
Unverhältnismäßig und unnötig
Wahlprogramm von CDU/CSU
Albtraum für die Umwelt
Weidel gegen Windkraft
Auch ökonomisch dumm