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Würde des FaustkampfsWarum Boxen fortschrittlich ist

Was wir alle vom Boxen lernen können: eine kurze Kulturgeschichte des Faustkampfes und die Erklärung, warum der Sport politisch und intelligent ist.

Es geht zur Sache: Tyson Fury (r.) und Oleksandr Usyk tauschen schlagkräftige Argumente aus Foto: Nick Potts/dpa

B oxen ist nicht schön. Gegen diesen Satz fällt mir leider kein Argument ein. Der Sport kann hässlich sein, brutal, gefährlich. Das wissen alle, sogar ich. Dass aber Boxen auch Eleganz aufweist, dass es hier intelligent zugeht, lustig, attraktiv und auch sehr politisch, das hat sich nicht im selben Maße herumgesprochen wie die Geschichte vom gefährlichen Boxen.

Dennoch wird geboxt. Historisch gesprochen: von allen und zwar schon immer. Körperlicher Händel, der sich gefälligst auf die Fäuste zu beschränken hat, ist Ausdruck der Zivilisationsgeschichte. Der Soziologe Norbert Elias war es, der gezeigt hat, wie gerade im Boxen rohe Gewalt zurückdrängt wird, wie unsere Umgangsformen geregelter werden, weniger körperlich, ziviler.

Angefangen hat es mit dem durchaus manchmal tödlich endenden Pankration in der Antike, das aber etwa dem Sokrates-Schüler Platon (angeblich) zu zwei Olympia­siegen verhalf und somit in die Philosophiegeschichte gehört. Bereits Jahrmarktraufereien im 17. und 18. Jahrhundert waren regulierter: Zuschauer bildeten einen Ring, der bald mit Seilen begrenzt wurde.

Es kamen Kampfrichter hinzu, und Tiefschläge waren ebenso verboten wie das Nachsetzen ­gegen jemand, der am Boden lag. Ende des 19. Jahrhunderts, als aus all solchen Wettkämpfen moderner Sport wurde, bekam das Boxen weitere Regeln, die des englischen Marquess of Queensberry. Der führte beispielsweise die Handschuhpflicht ein und ließ einem niedergeschlagenen Boxer gezählte neun Sekunden, um wieder aufzustehen. Bei zehn war Schluss.

Alle tun es

Das alles mag das Boxen nicht unbedingt schön machen, und wenn ich hinzufüge, dass dieser sporthistorische 9. Marquess, John Sholto Douglass, auch derjenige war, der den Schriftsteller Oscar Wilde wegen dessen Homosexualität ans Messer lieferte, dürfte die Bereitschaft, diesem Sport größere Sympathie entgegenzubringen, noch ein wenig sinken. Aber wenn wir zugeben, dass viele Menschen – ich gehöre dazu – Boxen attraktiv finden, dann hilft gerade der Hinweis auf den Prozess der Zivilisation vielleicht zu verstehen, warum geboxt wird. Nämlich wie gesagt: immer und überall und von allen.

Ein wichtiger Grund lautet: Boxen ist eine Möglichkeit des sozialen Aufstiegs – für den Einzelnen und für ganz große gesellschaftliche Gruppen. Im England und Nordamerika des 18. und 19. Jahrhunderts boxten die, die Unterschichtler genannt wurden. Als erster inoffizieller Weltmeister gilt Daniel Mendoza aus London, ein Arbeiter und Kaufmannsgehilfe. Er und die anderen frühen Profiboxer konnten sich auf diese Weise behaupten.

Sie schlugen sich durch. Es waren Juden wie Mendoza, Iren, Schwarze, nicht selten befreite Sklaven, und auch Frauen erkämpften sich so Anerkennung. Mendoza schrieb 1789, nicht zufällig im Jahr der Französischen Revolution, das Buch „The Art of Boxing“, um seiner Kampfkunst ein höheres Renommee zu verschaffen.

Boxen zeigt alles

Noch im 20. Jahrhundert, als es schon eine Profibox­industrie gab, war es genau dieser Sport, der zeigte, welche benachteiligte Sozialgruppe gerade vor einem gesellschaftlichen Aufstieg stand: nämlich beinah immer die Gruppe, die gerade das Gros der Weltmeister stellte: die Iren, die Juden, die Italo- und Afroamerikaner, die Hispanics. Mittlerweile sind es Osteuropäer, die am stärksten die Szene prägen. Was Sportverächter wohl nie kapieren werden, ist, dass mit der gesellschaftlichen Diagnostik, die das Profiboxen bereitstellt, die Soziologie kaum mithalten kann.

Fazit nach der ersten Runde: Boxen ist nicht schön, und zwar genau deswegen, weil es alles zeigt. Alles, wirklich alles. Und erst am Ende dieser ersten Linker-Haken-Kolumne merke ich, dass ich etwas über die politische Bedeutung des Boxens geschrieben habe, ohne ein einziges Mal den Namen „Muhammad Ali“ zu verwenden. Ha. Das kann ja heiter werden.

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Martin Krauss
Jahrgang 1964, freier Mitarbeiter des taz-Sports seit 1989
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4 Kommentare

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  • Boxlämpfe lassen sich , wie auch Fußball, mit den Gladiatoren im alten Rom assoziieren. Gekaufte oder gefangene Kämpfer, die in Arenen oder Amphitheatern zur Unterhaltung der Zuschauer dienen.



    Zudem Sportwetten in Deutschland boomen.



    Ob Fußball, Tennis, Boxen. Eishockey oder Pferderennen.



    www.faz.net



    " Das Milliardengeschäft mit der Spielsucht "

    Immer " Fairplay " ? Politisch korrekt ?



    Stichwort - nächste Fußball WM 2030 - Saudi-Arabien...

  • Skifahren und Snooker sind auch intelligent und politisch. Schaut euch die Snookerspiele mal an oder lest nach wie rauen in den Leistungssport eingezogen sind (in Hosen!): Im Skisport.

    Boxen hat mir einne zu elitären Ursprung, obschon es auch politisch sein kann, klar. Das ganze Leben sollte "politisch" sein, optimalerweise.

  • Kulturelle Phänomene wie Bekleidung, Tischsitten, Recht usw. sind keineswegs Beleg einer Höherentwicklung, sondern nur Hinweis auf die Vielfältigkeit kultureller Formen. Sich gegenseitig regelkonform auf die 'Fresse hauen', dass gab und gibt es als rituelle Form in vielen Kulturen. Auch 'Naturvölker' hatten und haben Geschichte und Kultur. Die Vorstellung des modernen Sport sind im 19. Jahrhundert als Pedant zur industriellen Arbeitsgesellschaft entstanden und aus dem spielerischen Zeitvertreib des 'disport' wurd der Sport als Körperertüchtigung und Leistungswettbewerb.

     

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    Die Moderation

  • Wenn Boxen als „nicht schön“ angesehen wird, dann vermutlich vor allem deswegen, weil es keineswegs „alles [zeigt]“. Es zeigt eigentlich nur, dass der sogenannte Aufstieg auch im 21. Jahrhundert mit Eleganz allein nicht zu schaffen ist. Es ist auch Brutalität nötig dafür. Die Bereitschaft, anderen Menschen buchstäblich „die Fresse zu polieren“, ist unersetzlich, egal wie viele Regeln einen anderen, schöneren Schein schaffen sollen.

    Ich persönlich finde ja: Wer sich unbedingt schlagen will, weil er/sie/es mit seinen/ihren unterdrückten Aggressionen anders einfach nicht fertig wird, der/die/das soll das ruhig tun. Allerdings so, dass Unbeteiligte nicht zu Schaden kommen dabei. Das aber würde genau genommen bedeuten, dass die Öffentlichkeit die Schlägerei freiwillig ignoriert. Denn wenn sich die dumme Idee durchsetz, Boxen sei intelligent und politisch und Aufstieg auch als Lohn von Brutalität etwas wert, gnade uns Gott. Es gibt einfach zu viele Unterbelichtete/Unterprivilegierte. Würden die alle zuschlagen, wären wir ganz schnell wieder da, wo wir vor Sokrates waren. Und wehe dem, der dann ins Kreuzfeuer gerät. So viele Schiedsrichter, wie wir dann bräuchten, kann es nicht geben.