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WühltischUnten ohne als Idee

■ Guccis G-String und des Kaisers neue Kleider. Zur Archäologie einer Badehose

Tom Ford, der Chefdesigner der italienischen Nobelmarke Gucci, hat unlängst ein altes Märchen neu erzählt: die Parabel von des Kaisers neuen Kleidern. Da konnte man erleben, wie neben lässiger Summer-in-the-city- Wear eine bronzefarbene Badehose an einem bronzefarbenen Model-Body auf dem Laufsteg spazierengetragen wurde. Auf dem Hinweg Frontansicht – nichts Spektakuläres, doch dann die Kehrtwende: ein blanker Männerpopo, mit nichts bekleidet als einem über dem Lendenwirbel blitzenden Doppel-G.

Materiell ist Guccis G-String nichts anderes als ein knapp bemessenes Stück Lycra, an dem rückwärtig mit zwei dünnen Strings ein Logo befestigt ist. Doch damit war Ford imstande, nicht nur den männlichen Körper, sondern auch etwas vom Wesen der Mode zu enthüllen. Im Gegensatz zur Auslegung des bekannten Märchens wurde nicht die angebliche Hohlheit der Mode augenfällig, sondern sie zeigte sich als das, was ist und immer schon war – eine rätselhafte Kraft, die einen zwingt, daß man über sie redet und sich etwas dabei denkt. Um diese zu kanalisieren, braucht es Instinkt und Methode, die als Mode-Archäologie hilft, unterschwellige historische Botschaften zu sichten.

Im Falle des G-String prägen zwei Vorläufer sein modernes Erscheinungsbild. Der erste ist in Südamerika zu Hause, wo sambatanzende Brasilianerinnen in immer professioneller verknappten Bikinis immer erotischer aussahen. Der daraus entstandene feminine G-String entwickelte eine besondere Eignung für Pool, Strand und Schlafzimmer und behauptet diese bis heute. Der zweite Vorläufer ist männlich und führt zurück zu den ersten Nudistenclubs der Jahrhundertwende, wo eine verschraubte arisch- olympische Freikörperkultur aufblühte, die später mit unheiligem NS-Sportgeist fusionierte. In diesem Konzept kam eine Art primitiver „Kraft durch Freude“- Schurz in Gebrauch, der jahrzehntelang sportlich gestählte Athletenkörper im Leni-Riefenstahl-Look bekleidete, bis mit dem sogenannten Zwickel-Erlaß arische Prüderie über arischen Nudistenkitsch siegte und die Dreieicksbadehose als sittenwidrig verboten wurde.

Heute begegnet einem der männliche G-String in zwei aktualisierten Varianten, als Unter- und als Badehose, jeweils als Aufreißermodell für Möchtegernmachos oder als Reizwäsche für den reifen Herrn zwischen 40 und 50. Auch die Gay-Szene ist nicht unempfindlich für die erotisierende Wirkung dieser Minimal art. Daneben gibt es noch eine rein sanitäre String-Variante, den Jock- Strap für Sportler – Zeugenaussagen zufolge trägt ihn auch Boris Becker –, um unerwünschte Einsichten in Boxershorts und anderen flatterhaften Kleidungsstücken zu unterbinden. Wegen seines leichten Pool-lifting-Effekts schätzen ihn auch korrekturwillige Nichtsportler.

Soweit die Fakten. Doch ein Laufsteg ist keine Strandpromenade. Der String hat eine andere Botschaft. Faschistisch-athletischer Spirit, Machosex, Gay-Ästhetik und spießiger Sanitätsfunktionalismus wurden als Konnotationen zwar nicht geleugnet, aber sie traten angesichts Guccis glamouröser Verfremdung in den Hintergrund. Kombiniert mit schwarzen Lack-Loafern war seine Nacktheit nicht naturalistisch zu verstehen, sondern als Idee.

Slip und Model verschmolzen zum idealen Trägermaterial, einzig dazu da, das goldene Doppel-G unübertroffen wirkungsvoll in Szene zu setzen. Das war das Hohelied des Labelkults, jedoch zugleich – das ist die Pointe – auch sein betörender Schwanengesang. Darüber hinaus ist der G-String aber auch eine Badehose zum Anziehen. Nike Breyer

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