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Wuchten, wanken, würgen

Wie bei einem Podiumsgespräch: Doron Rabinovicis neuer Roman „Ohnehin“

In mancherlei Hinsicht erinnert der neue Roman Doron Rabinovicis an die Symposien, Seminare und Podiumsgespräche, von denen er selbst erzählt. Noch nach zweihundert Seiten werden sämtliche Haupt- und Nebendarsteller immer wieder mal korrekt bei ihrem vollen Namen genannt: „Als Stefan Sandtner vom Pissoir zurückgekehrt war, saß Goron Boskovic bereits am Tisch …“ Und für die, die es inzwischen vergessen haben sollten, wird die weibliche Hauptfigur auf Seite 121 nochmals umständlich vorgestellt: „Er war nicht geizig und genoß es, Flora Dema, seine Geliebte aus dem Osten, die Künstlerin aus Ex-Jugoslawien, einzuladen“.

Stefan Sandtner also, Facharzt für Neurologie und Experte für Gedächtnisprobleme, versucht seinen eigenen Erinnerungen an eine gescheiterte Beziehung mit der Kollegin Sonja Kramar zu entfliehen. Dabei ist ihm Flora Dema, die glutäugige Filmemacherin mit der olivbraunen, nach Pistazien schmeckenden Haut, den hohen Backenknochen und schwarzen Locken, behilflich. Auf der Flucht vor beruflichen und privaten Problemen genehmigt sich Stefan Sandtner eine „Auszeit“ vom Klinikalltag, um sich an Flora Demas Seite „ein wenig zu normalisieren“ und mit seinen Freunden Patrique Mutabo, Tom Wandruschka, Lew Feininger und wie sie noch alle heißen mögen, in das multikulturelle Treiben des Wiener Naschmarktes einzutauchen. Der einzige Patient, um den er sich weiter kümmert, ist Herbert Kerber, ein ehemaliger SS-Mann, dessen Gedächtnis nach fünfzehn Minuten jedes Mal wieder aussetzt. Das sei auch besser so, befindet dessen Sohn Hans Kerber, während Tochter Bärbl Kerber den Alten mit seiner Schuld ordentlich konfrontiert wissen möchte.

Der Roman des 1961 geborenen Wiener Schriftstellers, Historikers und Essayisten spielt auf verschiedenen Ebenen mit dem Motiv des Erinnerns und Vergessens, ob er die Einweihung einer Gedenkstätte für die ermordeten Juden oder ein Symposium über Antisemitismus in Osteuropa beschreibt, ob er langen Diskussionen über Erinnerungskultur lauscht oder seinen erinnerungsflüchtigen Helden vor dem Geldautomaten die Geheimzahl vergessen lässt. Vor lauter Diskutieren entgeht diesem schließlich, dass seine Geliebte aus dem Kosovo Probleme mit ihrer Aufenthaltsgenehmigung hat, aber als er es merkt, ist es auch schon zu spät.

Wie zum Ausgleich für den seitenlangen Stillstand der Handlung und die gestelzten Dialoge bietet Rabinovici blumige Ortsbeschreibungen Wiens („Die Metropole der Doppelmonarchie schmiegte sich um ihre Innere Stadt“) wie auch eine schier unerschöpfliche Auswahl an Tätigkeitsworten. Da werden Worte geraunt oder hervorgewürgt, da wankt oder schleicht man heim, wuchtet einen Schluck Rotwein und säbelt an seinem Filet herum, flaniert durch den Volksgarten, streunt zum Naschmarkt und schwappt von einem Lokal ins nächste.

Eines muss man dem Roman lassen: Er wird den unterschiedlichen Positionen zum Thema Erinnern und Heimat, Nazi-Vergangenheit und Asylpolitik gerecht. Am Schluss sind alle, die Nachkommen der Täter wie die der Opfer, Einwanderer wie Einheimische, ausführlich zu Wort gekommen, und der Zuhörer lehnt sich erschöpft zurück. Eben wie bei einem richtigen Podiumsgespräch. MARION LÜHE

Doron Rabinovici: „Ohnehin“. Suhrkamp, Frankfurt/Main 2004, 256 Seiten, 18,40 Euro

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