Wollen nur Win-Win-Situationen: Die Öko-Egoisten
Eine neue Studie über den grünen Lebensstil kommt zu ernüchternden Ergebnissen: Umweltbewusst angehauchte Menschen seien unpolitisch, ichbezogen und unsexy. Was nun?
Die Hoffnungen, die die Wirtschaft und die Umweltbewegung in den neuen Typus des Ökokonsumenten setzen, sind gewaltig - und gewaltig überzogen. Zu diesem Ergebnis kommt eine neue Studie. Konsumforscher behaupten, dass zehn bis zwanzig Millionen Deutsche auf dem Weg zum Lohas seien, also dabei, Vertreter des "Lifestyle of Health and Sustainability" zu werden - eines neuen Lebensstil der Gesundheit und Nachhaltigkeit. Kurzdefinition: Lohas demonstrieren nicht wie klassische Ökos vor dem AKW, sie haben zunächst das Ziel, dem eigenen Körper etwas Gutes zu tun. Daraus erwächst und daran geknüpft ist der Wunsch, auch für andere Menschen und die Umwelt Gutes zu wollen.
Es ist nicht so, dass es diese Menschen nicht gäbe. Es werden ständig mehr, wie man etwa an den wachsenden Mitmacherzahlen des Internetportals utopia.de sehen kann. Doch nun kommt eine Studie zu ernüchternden Erkenntnissen, die das Lohas-affine Milieu erforscht hat, also jene Millionen, die über die neuen Ökos und Utopisten und Lohas hinaus für einen grünen Lebensstil zumindest ansprechbar sind. "Der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach. Da machen die Lohas-People keine Ausnahme. Der gute Wille ist da. Aber Bequemlichkeit und Eigennutz fordern ihren Tribut", sagt equity-Chefin Cordula Krüger, die die Studie im Auftrag der Berliner Nachhaltigkeitsagentur Stratum und der Deutschen Bundesstiftung Umwelt durchgeführt hat und die am Donnerstag in Osnabrück vorgestellt wird. Projektleiter Stefan Siemer warnt davor, in Zeiten von Klimawandel und ungelöster Energiefrage allzu große Hoffnungen auf die Handlungsbereitschaft der Lohas-affinen Milieus zu setzen. "Ökologisch handeln sie vor allem in den Bereichen, die einfach sind und die nicht viel kosten."
Die Untersuchung wurde mit einem Sample von über 250 Personen durchgeführt. Alle Teilnehmer stehen auf Marken und bezeichnen sich als besonders gesundheitsbewusst, haben überdurchschnittliche Bildung und Einkommen, beziehen Ökostrom oder denken darüber nach, und sie kaufen auch Bioprodukte. Die Studie gibt damit klare Hinweise auf die psychologische Befindlichkeit der Lohas-Affinen, ist aber nicht repräsentativ für die ganze Bevölkerung.
Ergebnis: Das Wissen und das Bewusstsein ist da, aber im echten Leben konzentrieren sie ihr Engagement auf "Kleinzeug, das auch Geld spart", wie Siemer das nennt. Am liebsten ist ihnen eine Win-win-Situation: Gut für mich und gut für die Umwelt. Ihre Faustregel: Was ich nicht mache, ist auch nicht so wichtig. Umweltschonend reisen, zum Beispiel. Was sie überhaupt nicht mögen: Verzichten müssen oder sich als Verbraucher engagieren. Sie wollen weder boykottieren noch Protestkarten an Unternehmen oder Ministerien schreiben.
Ihrem Denken entsprechend neigen sie auch nicht zu kategorischem Vokabular. Überspitzt formuliert - sie würden nicht sagen: "Die Welt darf nicht untergehen". Sondern: "Es wäre schon schade, wenn die Welt unterginge." Oder: "Nur noch Bio kaufen" - das würden sie nie unterschreiben. "Nach Möglichkeit Bio kaufen", das finden sie gut und unverbindlich genug. Politisierte Rhetorik mögen sie auch nicht. Als Siemer das unlängst in Hamburg einem Kreis von Non-Profit-Nachhaltigkeitsarbeitern vorstellte, ging ein Stöhnen durch den Saal. Tenor: O Gott, wie soll man mit denen die Welt retten?
Eine besonders erschütternde Erkenntnis der Studie: Der Glamourfaktor ist geringer als angenommen. Die Lohas-Affinen beschreiben sich selbst mit einer gewissen Selbstironie so: nette Menschen, emphatisch, natürlich, statusbewusst. Aber eben nicht: cool, stylisch, leidenschaftlich. Eher im Biederen als im Erotisch-Aufgeladenen verhaftet, mit Kontrollschalter, um nicht triebhaft aus dem Bauch zu reagieren. Eher Frau als Mann. Und wenn Mann, dann "weicher" Mann. Hin und her gerissen zwischen Pragmatismus und Missionseifer, was sie auf Dauer ermüdet. "Die Lohas-Affinen schwanken zwischen Pharisäertum und Pragmatismus. Wer so viel schwankt, ist stets auf Selbstbeobachtungsposten und entsprechend verkopft. Und Geist als Widersacher der Seele macht das Ganze zu einer leicht sedierten Veranstaltung", sagt equity-Chefin Krüger. Letztlich sagt die Studie, dass es sich bei den potenziellen Neogrünen um unpolitische, ichbezogene, bequeme Menschen handelt.
Grund zur Resignation? Gar nicht, sagt Stratum-Geschäftsführer Richard Häusler. Er sitzt in Berlin-Friedrichshain und arbeitet daran, klassischen Ökos aus Umweltverbänden die potenzielle neue Kundschaft so zu erklären, dass die sie für ihre grüne Sache gewinnen können. Es gehe darum, den Alt-Ökos "beizubringen, sich stärker an den Bedürfnissen der Lohas auszurichten". Also wird er ihnen sagen: "Überfrachtet die Leute nicht mit euren Vorstellungen von Öko-Aufklärung. Geht mit dem um, was da ist." Und wenn die sagen: Ist das nicht zu wenig? Tja, sagt Häusler, der nächste Schritt sei nun: "Wie kann man das neue Wissen nutzen, um trotzdem was zu bewegen?" Daran wird jetzt weitergearbeitet.
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