Wolfgang Gast Leuchten der Menschheit: Reinhard Gehlen, der BND und die Rote Kapelle
Ein Geheimdienst wird dekonstruiert – wenn auch nur in Buchform. Am 15. Februar 2011 wurde vom Bundesnachrichtendienst eine Unabhängige Historikerkommission berufen, um die Geschichte des BND und seines Vorläufers, der „Organisation Gehlen“, sowie seines Personal- und Wirkungsprofils von 1945 bis 1968 aufzuarbeiten. Zehn Bände sind seither erschienen (Ch. Links Verlag), zuletzt im Oktober unter dem Titel „Geheime Dienste. Die politische Inlandsspionage der Organisation Gehlen 1946–1953“
Der Band hat es in sich. Reinhard Gehlen, im Zweiten Weltkrieg Leiter der Abteilung Fremde Heere Ost, hat in der Öffentlichkeit stets bestritten, dass die von ihm nach Kriegsende geleitete Organisation politische Inlandsspionage betrieben habe. Tatsächlich gehörte dies jedoch zu ihren zentralen Tätigkeitsfeldern, wie der Historiker Klaus-Dietmar Henke auf der Grundlage bislang geheimer Akten nachweist. Ins Visier des BND-Vorläuferapparates gerieten dabei Institutionen und Personen, die nicht in das konservativ-autoritäre Weltbild Gehlens und seiner Mitarbeiter passten oder die dem Kurs von Bundeskanzler Adenauer kritisch gegenüberstanden. Sie wurden ausgeforscht und bekämpft – Rufmord inklusive. Dreh- und Angelpunkt dieser geheimen Dienste für Bonn, so Henke, war das symbiotische Verhältnis zwischen Gehlen, der 1956 zum BND-Präsidenten aufstieg, und Hans Globke, dem starken Mann im Bundeskanzleramt.
Henke zeigt, dass der kämpferische Antikommunismus der „Org“ lediglich als Fassade für einen obrigkeitsstaatlichen Antiliberalismus diente, der sich gegen die allmähliche Demokratisierung der jungen Bundesrepublik stellte. Die Organisation Gehlen übernahm zudem mit dem Personal aus Gestapo und anderen NS-Behörden einige ihrer Feindbilder. Neu formiert unter den Vorzeichen des Kalten Krieges, führte sie bis in die sechziger Jahre hinein ausgedehnte Ermittlungen gegen eine nicht existierende kommunistische Spionageorganisation: die neu erstandene „Rote Kapelle“. Tatsächlich ermittelte sie gegen Überlebende aus dem Widerstand, die aus den Lagern und Zuchthäusern der Nationalsozialisten oder dem Exil zurückgekehrt waren. Den Männern, die sich aus verantwortlichen Positionen des NS-Regimes in den Gehlen-Dienst gerettet hatten, diente die Wiederbelebung dieses Gestapo-Mythos dazu, die NS-Gegner zu denunzieren, um sie vom öffentlichen Leben fernzuhalten. Wie man heute weiß: Leider mit Erfolg.
Der Autor ist Redakteur der taz
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