Wolf-Dieter Vogel Latin Affairs: In Mexikoein großerFlop
Es sei ein Desaster, meinte die Netflix-Content-Chefin Bela Bajaria jetzt zu den Folgen des rassistischen Tweets von Karla Sofía Gascón, der Hauptdarstellerin des Musicals „Emilia Pérez“. Und Regisseur Jacques Audiard will schon gar nicht mehr mit seiner Protagonistin sprechen. In der Tat gibt es keinen Grund, mit einer Schauspielerin nachsichtig zu sein, die den von Polizisten getöteten Schwarzen George Floyd einen „drogenabhängigen Betrüger“ nennt. Trotzdem lässt sich daraus natürlich kein Urteil über den Film ableiten, in dem die trans Person Gascón die Hauptrolle spielt.
Anders sieht es mit Audiards Behauptung aus, Spanisch sei „die Sprache bescheidener Länder, der Entwicklungsländer, der Armen und Migranten“. Der Regisseur entschuldigte sich und bezeichnete den Satz – mittelmäßig überzeugend – als Missverständnis. Bei vielen Mexikaner*innen stieß die Aussage dennoch auf erheblichen Unmut. So wie vieles in dem weltweit gefeierten und prämierten Musical. Die Frage, wie es in Mexiko wahrgenommen wird, spielt jedoch in den Feuilletons keine Rolle. Das ist bemerkenswert, schließlich liefern die dortigen gewalttätigen Verhältnisse den Stoff: Ein Mafiachef lässt sich operieren, um als Frau unerkannt aus dem Kartell aussteigen zu können, und wird dann zur Helferin der Opfer.
In Mexiko fällt es schwer, Kommentare zu finden, die den Film positiv bewerten. Und während das Spektakel weltweit Kinos füllt, bleiben die Säle dort recht leer. In der ersten Woche kam er nur auf Platz acht der bestbesuchten Filme, von einem finanziellen Flop ist die Rede. Das dürfte auch mit dem geringschätzigen Umgang mit dem Land zu tun haben: „Emilia Pérez“ ist in Mexiko erst seit drei Wochen auf der Leinwand zu sehen, zwei Monate nach der Deutschland-Premiere. Auf Netflix lief er erst Ende Januar an, während er in den USA dort seit November zu sehen ist.
Auch andere Vorzeichen sorgten in Mexiko nicht für Sympathien: Drei von vier Protagonist*innen stammen nicht aus dem Land und Audiard wollte nicht dort drehen, weil, wie er der taz sagte, „die konkrete Wirklichkeit nicht zu dem passte, was ich wollte“. Auch die Sprache passte ihm wohl nicht in den Kram. Die Schauspieler*innen scheitern daran, typische Dialekte zu kopieren und wurden für mexikanische Ohren zum Gespött. So meinte der Kommentator Antonio Ortuño in der mexikanischen Ausgabe der Zeitung El País, die US-Schauspielerin Selena Gomez müsse wegen ihres peinlichen Akzents für das beste Meme nominiert werden.
Die Kritik ist natürlich auch den nationalistischen Ressentiments vieler Mexikaner*innen geschuldet, die es gar nicht mögen, wenn „Fremde“ die Verhältnisse in ihrem Land kritisieren. Schon nachdem der gebürtige Spanier Luis Buñuel 1950 den Film „Los olvidados“ über das Elend in einem mexikanischen Armutsviertel veröffentlichte, wurden Forderungen laut, er solle das Land verlassen. Doch die Vorwürfe gegen Audiard gehen weiter. Er zeichne ein stereotypes Bild und inszeniere Glamour auf dem Rücken der Verschwundenen, so die Kritik. Von „kulturellem Extraktivismus“ und der Banalisierung der Gewalt ist die Rede.
Die mexikanische Transaktivistin und Publizistin Camila Aurora hat „Emilia Pérez“ sogar eine viel beachtete Video-Parodie gewidmet: „Johanne Sacreblu“. Dort lässt sie ihre Schauspieler*innen in schlechtem Französisch französische Klischees reproduzieren. Und der Kommentator Aurélien Guilabert fragt den Regisseur in der Zeitung El Sol de México: „Warum drehen sie nicht als nächstes ein Musical über die terroristischen Attacken auf Bataclan oder Charlie Hebdo?“
Warum nicht? Audiard wollte keinen Dokumentarfilm drehen und hat alle Freiheit, sein Werk zu gestalten, wie er will. Klischees produziert auch etwa der Zeichentrickfilm „Coco“. Und dem Vorwurf, Erfolg durch die Inszenierung des Elends anderer erheischen zu wollen, müssen sich alle stellen, die publizistisch zu diesen Themen arbeiten. Dennoch hätte der Regisseur viel dafür tun können, um zu verhindern, dass sein Film in einer von Gewalt traumatisierten Gesellschaft so verletzend wirkt.
Der Autor ist Journalist in Lateinamerika
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