■ Wole Soyinka und Anthony Enahoro, Führer der nigerianischen Opposition, über das gegen sie laufende Gerichtsverfahren und die Entwicklung in Nigeria: "Wir gewinnen an Sympathie"
taz: Sie und andere führende Oppositionelle stehen zur Zeit vor Gericht wegen angeblicher Attentate gegen das Regime in Nigeria. Was sagen Sie zu diesen Anschuldigungen?
Wole Soyinka: Alles, was ich zu sagen habe, ist, daß ich mich wundere, wie ein Terrorist aussieht. Abacha, der nigerianische Juntachef, sagt, daß ich jeden Morgen in den Spiegel schauen sollte, aber ich habe darin bis jetzt nie einen Terroristen gesehen. Ich versuche mich auf diese neue Bezeichnung einzustellen und muß sagen, daß ich mich mit ihr bis jetzt sehr wohl fühle. Ich versuche jedoch diesen von Sani Abacha gewährten Titel rechtlich zu prüfen. Es gibts nichts Neues an diesen Anschuldigungen. General Abacha hatte mich schon vor ein paar Monaten beschuldigt, hinter dem Flugzeugabsturz zu stehen, bei dem sein ältester Sohn ums Leben kam. Vor kurzem erklärte der Informationsminister den Betrieb unseres Untergrundradios „Radio Kudirat“ zum Landesverrat. Der Versuch, jetzt eine Verbindung zwischen uns und den Bombenattentaten herzustellen, ist bloß der diabolische Opportunismus, der für das Regime typisch ist. Er ist nicht neu.
Anthony Enahoro: Wir werden angeklagt, dem Regime 1995 den Krieg erklärt zu haben. Man kann aber einen Krieg nicht im geheimen erklären. Die ganze Welt müßte von solch einem Krieg erfahren haben, wenn dies denn der Fall wäre. Bevor diese lächerlichen Anschuldigungen gemacht wurden, veröffentlichte Nigerias Polizeichef ein Statement, nach dem ich angeblich an einem Treffen mit allen anderen Angeklagten am 27. Oktober vergangenen Jahres im Sheraton-Hotel in Lagos teilgenommen hätte. Nach seinen Angaben wurden die Attentate dort vorbereitet. Ich lebe seit Mitte 1996 in den USA. Wie könnte ich heimlich die USA verlassen haben und in Nigeria einreisen ohne eine einzige Eintragung in meinem Reisepaß? Es ist völlig lächerlich. Sie können uns weder eliminieren noch mundtot machen, weder kaufen noch bestechen. Also bleibt ihnen nur, uns zu verklagen. Abacha würde uns den Weg Ken Saro-Wiwas gehen lassen, wenn er könnte.
Weder wir noch unsere Anwälte werden an diesem unfairen Verfahren teilnehmen, denn wir erkennen die Legitimität des Regimes Abacha nicht an. Wir nennen solch einen Prozeß ein Känguruh-Gericht, weil der Staatsanwalt und die Richter wie Känguruhs aus dem Busch auftauchen.
Herr Soyinka, es wurde aber berichtet, Sie hätten diese Gewalttaten nicht verurteilt.
Soyinka: Warum sollte ich sie verurteilen? Wenn unzufriedene Soldaten in Abachas Armee ihren Führern den Krieg erklären, was hat das dann mit mir oder der demokratischen Opposition zu tun? Wir bekennen uns zum gewaltlosen Widerstand gegen den Militärterror. Unser Mittel ist das Untergrundradio, das Abacha und seinen Kollaborateuren schlaflose Nächte bereitet.
Sie meinen, daß die Armee selbst hinter den Gewalttaten steht?
Soyinka: Oh ja! Ohne Zweifel.
Haben Sie denn Beweise?
Soyinka: Die Feinde, die Abacha sich selbst in der Armee gemacht hat, sind ein eindeutiger Beweis dafür, daß die Armee tief gespalten ist. Alle diese Feinde bilden Widerstandsgruppen innerhalb der Armee. Wenn Sie die Professionalität dieser Attentate genau studieren, werden Sie erkennen, daß sie aus den Reihen der Militärs kommen. Abacha sollte bei der Suche nach den Werkzeugen seines Todes sein eigenes Haus durchsuchen, anstatt uns zu beschuldigen.
Enahoro: Die Ziele der Attentate sind Militäreinrichtungen und Offiziere. Wenn gegen einen Militärwagen ein Anschlag verübt wird, muß jemand den Zeitplan und die Aufgabe des Militärwagens gekannt haben. Wie kann ein Außenseiter wissen, daß der Militärgouveneur eine Kaserne verläßt und an einem bestimmten Ort zu einer bestimmten Zeit ankommt? Weder Professor Soyinka noch ich würden so etwas wissen. Die Anschuldigungen gegen uns sind reine Phantasie. Ich glaube, daß es sich offensichtlich um Dissidenten in der nigerianischen Armee handelt. Es gibt einige Leute, die denken, daß Abacha selbst dahintersteckt. Er könnte solche Anschläge inszenieren, um Unruhe zu stiften und dann den Ausnahmezustand zu verhängen.
Welche Auswirkungen hat diese neue Entwicklung?
Soyinka: Die Anschuldigungen sind gegen die Opposition im ganzen gerichtet – insbesondere gegen die im Ausland. Es handelt sich um einen Versuch, das Ansehen der Opposition zu schädigen. Das Regime weiß sehr wohl, daß wir uns mit unseren Kollegen aus Nigeria in anderen westafrikanischen Ländern regelmäßig treffen. Nun hat die Junta geheime Vereinbarungen mit diesen Ländern getroffen, damit wir ausgeliefert werden, wenn wir erneut in eines dieser Länder einreisen sollten. Dies würde langjährige Haft oder sogar Tod bedeuten.
Enahoro: Abachas Vorwürfe helfen uns immerhin, mehr Sympathie und Unterstützung zu gewinnen. Soyinka soll Bombenanschläge zu einem Zeitpunkt verübt haben, zu dem er Präsident Mandela traf. Ich selbst soll an einem geheimen Treffen in Lagos teilgenommen haben, als ich mich in den USA aufhielt. Die Welt stellt die Glaubwürdigkeit dieser Anschuldigungen in Frage.
Die „Washington Times“ veröffentlichte am 30. Januar dieses Jahres ein Interview mit General Abacha, in dem er Sie als Terrorist bezeichnet hat. Nun wollen Sie rechtliche Schritte gegen die Zeitung und gegen Abacha einleiten. Was möchten Sie damit erreichen?
Soyinka: Zur Zeit prüfen meine Anwälte die Rechtslage. Deswegen möchte ich mich dazu nicht äußern.
Enahoro: Sagt Ihnen das Verhalten Abachas und seiner Leute nichts? Wie kann ein Staatsoberhaupt jemanden ohne Beweis verurteilen, sogar vor einer Anklageerhebung? Abacha hat Soyinka längst für schuldig erklärt, bevor das Gericht dies klärt. Wir haben immer wieder gesagt, daß General Abacha Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt. Die internationale Staatengemeinschaft stimmt dem zu. Abacha muß wegen dieser Verbrechen irgendwann vor ein internationales unabhängiges Gericht gestellt werden. Vielleicht sind die Anschuldigungen gegen uns seine Antwort darauf.
Am 15. März fanden in Nigeria Kommunalwahlen statt. Das Regime berichtet von einer hohen Wahlbeteiligung. Kann man die Wahl als einen positiven Schritt zur Herstellung von Demokratie im Lande bezeichnen?
Enahoro: Erstens: Welche Rechtsgrundlage hat Abacha, den Menschen sein System aufzuzwingen? Niemand hat ihn gewählt. Es handelt sich um ein illegales Regime; also besitzt es keine demokratische Berechtigung, Kommunalwahlen durchzuführen. Das ganze Fundament ist defekt. Es ist illegal und verfassungswidrig.
Zweitens: Die demokratische Opposition war von den Wahlen völlig ausgeschlossen. Menschen wurden gezwungen, zur Wahl zu gehen. Wer ein Krankenhaus besuchen oder sein Kind einschulen will, muß nachweisen, daß er an den Wahlen teilgenommen hat. Beamte, die keine Wahlnachweise vorzeigen können, bekommen keine Gehälter. All dies ist Erpressung.
Ich bezweifle trotzdem die von dem Regime angegebene hohe Wahlbeteiligung. Die Militärregime haben immer wieder Zahlen verfälscht. Nach unseren Erkenntnissen war die Wahlbeteiligung sehr niedrig, insbesondere im Niger-Flußdelta.
Soyinka: Es gibt zahllose Unregelmäßigkeiten im sogenannten Demokratisierungsprozeß. Das Regime schätzt zum Beispiel die Bevölkerungszahl Nigerias auf 90 Millionen Menschen und behauptet, daß 45 Prozent von ihnen unter 18 Jahre alt seien. Dies würde bedeuten, daß nicht einmal 50 Millionen Nigerianer wahlberechtigt sind. Gleichzeitig gab die Wahlkommission bekannt, daß 65 Millionen Menschen sich zur Wahl angemeldet hätten. Wie kommt denn die Wahlkommission zu dieser Zahl?
Bezüglich der von Chief Enahoro erwähnten Maßnahmen gegen Nichtwähler in Nigeria kann ich auf ein altes Sprichwort verweisen: „Man kann das Pferd zum Wasser führen, aber man kann es nicht zum Trinken zwingen.“ Unter Abachas Regime wird das Pferd nicht nur zum Wasser geführt, sondern auch zum Trinken gezwungen.
Aber was passiert, wenn General Abacha 1998 zum Präsidenten gewählt wird?
Enahoro: Dies würde die Auseinandersetzung nur verschärfen. Der Widerstand würde heftiger werden. Abacha kann unter diesen Umständen keinen stabilen Staat errichten. Was konkret passieren wird, kann ich im Moment nicht sagen. Alles, was ich weiß, ist, daß es nicht so enden wird.
Das heißt, daß der Widerstand fortgesetzt wird...
Soyinka: Natürlich! Die Opposition muß bis zur Anerkennung des Wahlergebnisses vom 12. Juni 1993 aktiv bleiben. Dann muß eine Regierung der nationalen Einheit gebildet werden, unter Führung von Moshood Abiola, dem Sieger der annullierten Wahl von 1993. Er wird eine souveräne nationale Versammlung einberufen, um echte demokratische Strukturen herzustellen. Nur eine Regierung der nationalen Einheit kann Nigeria retten.
Die Generalversammlung der EU- und AKP-Staaten (die ehemaligen europäischen Kolonien in Afrika, der Karibik und dem Pazifik, mit denen die EU besondere handelspolitische Beziehungen unterhält) hat das nigerianische Regime wegen grober Menschenrechtsverletzungen scharf verurteilt und zum ersten Mal ein Ölembargo gefordert. Sie haben selbst an der Versammlung teilgenommen. Sind Sie zufrieden mit der Resolution?
Enahoro: O ja! Sehr zufrieden. Es ist eine wesentliche Verbesserung. Man spricht jetzt vom Ölembargo. Endlich haben die Europäer begriffen, daß ein solches Embargo nur die Militärmachthaber hart treffen wird und nicht die einfache Bevölkerung, wie immer argumentiert wird. Endlich können wir die europäischen Länder von unseren Argumenten und Positionen überzeugen. In Zukunft werden wir viele solcher Beschlüsse sehen.
Soyinka: Wir sind sehr zufrieden mit der Resolution. Aber jetzt müssen Taten folgen. Nur durch solche Maßnahmen können wir den Terror in Nigeria friedlich beenden. Interview:
Peter Emorinken-Donatus
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