Wohnungsmangel: Leerstand rechnet sich nicht
Ein breites Bündnis fordert die Umwandlung von leer stehenden Büros in Wohnraum. Dafür gebe es jedoch unnötige rechtliche Hürden finden Mietervereine
Für Hermann Kunst* ist es schon fast ein fester Wohnsitz. Jeden Abend bezieht er mit Schaumstoffmatte und Schlafsack die Einfahrt zur Tiefgarage eines Bürogebäudes an der Willi-Brandt-Straße. Dabei könnte er eigentlich im Haus übernachten, denn das Gros der Büros steht leer. Weil das in vielen Bürohäusern so ist und Wohnungen knapp sind, demonstriert am Samstag ein breites Bündnis unter der Losung "Leerstand zu Wohnraum".
"Eine Umwandlung von Büroflächen in Wohnraum ist theoretisch möglich", sagt Eckard Pahlke vom Mieterverein. Es sei sogar häufig kostengünstiger, Gewerbefläche in Wohnraum zu verwandeln anstatt sie ungenutzt zu lassen. Dies werde jedoch oft durch die Bauvorschriften verhindert. Der Senat müsse das ändern. Mehr noch: "Es müssen Vorschriften her, um leer stehenden Mietraum zwangsweise einer Nutzung zuzuführen", fordert Pahlke.
In die gleiche Kerbe schlägt Mieter helfen Mietern (MHM). Grundsätzlich sollte natürlich jede Wohnung über eine eigene Toilette und Wasseranschluss verfügen, sagt Sylvia Sonnemann von dem alternativen Mieterverein. Doch übergangsweise sollten etwa von Studenten auch Büroetagen mit Etagenklo genutzt werden können.
Am Samstag wird gegen den Büroleerstand bei gleichzeitiger Wohnungsknappheit demonstriert.
Nicht vermietet sind in Hamburg knapp 1,2 Millionen Quadratmeter Bürofläche. Nach Schätzung der Mietervereine und des Netzwerks Recht auf Stadt könnten daraus 40.000 Wohnungen werden.
"Leerstand zu Wohnraum" ist die Losung, unter der ein Bündnis von 108 Organisationen und Initiativen demonstriert. Der Umzug startet um 13 Uhr am Uni-Campus und endet am Astra-Turm in St. Pauli.
Als ersten Schritt fordern die Veranstalter "die Legalisierung von Besetzungen", sagt Jonas Füllner vom Vorbereitungsbündnis - "damit große Immobilienunternehmen nicht länger ungestört ihre Geschäfte machen können".
Marc Meyer, Jurist bei MHM, verweist auf das Förderprogramm der Wohnungsbaukreditanstalt, die mit Prämien die Umwandlung von Gewerbeflächen in Mietraum unterstützt. So sind in den Jahren 2006 bis 2009 im Fördergebiet Hamburg 510 Mietwohnungen auf Gewerbeflächen entstanden.
Vertreter der Immobilienwirtschaft treten der These entgegen, dass sich Leerstand für Eigentümer lohne. "Das kann man so nicht sagen", findet Axel Kloth, der Vorsitzende des Immobilienverbandes Deutschland (IVD Nord). Büros absichtlich leer stehen zu lassen, könne allenfalls sinnvoll sein, wenn ein Gebäude saniert werden solle. Auch wenn mit einem Preisanstieg gerechnet werde, könne sich das lohnen: Über eine höhere Miete oder einen höheren Verkaufspreis, der sich an der Jahresmiete orientiere, könnten vorübergehende Verluste bisweilen mehr als wettgemacht werden. Allerdings sei ein gewisser Leerstand nötig, sagt Kloth. Firmen, die sich ansiedeln wollten, benötigten Spielräume. Der jetzige Leerstand sei der Wirtschaftskrise geschuldet.
Auch Vertreter der Immobilienberatungsfirma Jones Lang Lassalle (JLL) gehen davon aus, dass sich Leerstand in der Regel nicht rechnet. Nur "wenn die Miete so gering ist, das sie nicht einmal den Unterhalt des Gebäudes deckt", könne das der Fall sein, sagt Ferdinand Rock von JLL.
Bei einem Leerstand darauf zu spekulieren, dass in der Unternehmensbilanz eine fiktive hohe Miete als Wertmaßstab zu Grund gelegt werde, sei nach den neuen Bilanzregeln wenig aussichtsreich, sagt sein Kollege Roman Heidrich. Ähnliches gelte für den Beleihungswert eines Gebäudes.
Als Hauptgrund für den Leerstand sehen Rock und Heidrich eine schlichte Überproduktion. Die Bauherren hätten die Marktentwicklung falsch eingeschätzt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Höfliche Anrede
Siez mich nicht so an
Bundestag reagiert spät auf Hamas-Terror
Durchbruch bei Verhandlungen zu Antisemitismusresolution
Grundsatzpapier des Finanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
US-Präsidentschaftswahl
50 Gründe, die USA zu lieben
Klimaziele der EU in weiter Ferne
Neue Klimaklage gegen Bundesregierung
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen