Wohnpflicht für Geflüchtete: Immer im Blick

Geflüchtete dürfen in Hamburg nicht privat unterkommen, obwohl die Erstaufnahmen überbelegt sind. Der Senat möchte sie unter Kontrolle halten.

Duschcontainer stehen in einem Hof der leerstehende Postbank-Zentrale in der City Nord.

Kalt und steril: Duschcontainer in einer Hamburger Erstaufnahme Foto: Markus Scholz/dpa

HAMBURG taz | Trotz der überfüllten Erstaufnahmen in Hamburg dürfen Schutzsuchende nicht bei der Verwandtschaft oder Freun­d*in­nen unterkommen. Sie sind verpflichtet, mindestens sechs Monate in den vorgegeben Unterkünften zu bleiben. Die Ausländerbehörde begründet das mit dem Schutz und der Betreuung der Flüchtlinge. Tatsächlich geht es aber darum, eine mögliche Abschiebung zu vereinfachen.

Die Linke in der Hamburgischen Bürgerschaft hat jetzt die Aussetzung der Wohnverpflichtung beantragt. Die Unterbringungskapazitäten seien am Limit, sagt Francis Suppelna, Referent der Fraktion. Die Lage in den Erstaufnahmen beschreibt er so: „Eine sehr konfliktträchtige Massenunterbringung und Massenverwaltung“. Diese Zustände müssten schnellstmöglich beendet werden, fordert die Linksfraktion. Dass das geht, zeige Berlin, wo der Senat die Wohnverpflichtung bereits aufgehoben habe.

Geflüchtete sollen erreichbar sein

Nach dem monatlichen Lagebild der „Stabstelle Flüchtlinge und übergreifende Aufgaben“ musste Hamburg im Mai 880 Schutzsuchende unterbringen. Im April waren es noch 705. Die Auslastung von Erstaufnahmen und öffentlichen Folgeunterbringungen liegt nun bei 129 Prozent.

Insgesamt wohnen momentan 43.635 Geflüchtete in Hamburger Flüchtlingsunterkünften.

In Erstaufnahmen sind von 2.586 Plätzen aktuell 2.431 belegt. In den Folgeunterkünften sind 28.408 von 28.882 Plätzen belegt.

Auf Notstandorte und Interimsstandorte wie etwa Hotels und Container verteilen sich darüber hinaus knapp 11.000 Geflüchtete.

Manfred Ossenbeck vom „Bündnis Hamburger Flüchtlingsinitiativen“ beschreibt die Situation in den Unterkünften als „extrem zugespitzt“. Es gebe weder Privatsphäre noch Rückzugmöglichkeiten. Zudem würden die Betroffenen mit Eingangs- und Ausgangskontrollen überwacht.

Wie drastisch und angespannt die Situation ist, verdeutlicht ein Todesfall im Februar. In einer Unterkunft im Stadtteil Ohlsdorf starb ein 61-jähriger Mann nach einem Streit mit zwei anderen Männern.

Laut Paragraph 47 des Bundesasylgesetzes müssen die Schutzsuchenden mindestens sechs bis 18 Monate in der Erstaufnahme bleiben – auch dann, wenn Möglichkeiten bestehen, bei der Verwandtschaft oder Freun­d*in­nen unterzukommen. Die genaue Dauer hängt mit Merkmalen wie Familienstand, Volljährigkeit und Bleibeper­spektive zusammen. Die Bundesländer können die Wohnpflicht aber aufheben.

Es gibt auch in Hamburg Ausnahmen, wie das Amt für Migration mitteilt. Wer krank ist, Arbeit hat oder sich in einer Ausbildung befindet, kann die Aufnahmeeinrichtung verlassen. Das gilt auch für Menschen mit einem Schutzstatus und grundsätzlich für Ukrainer*innen.

Zudem hat die Innenbehörde entschieden, dass Geflüchtete mit Bleibeperspektive im Einzelfall privat unterkommen dürfen. „Die Wohnverpflichtung wird in diesen Fällen allerdings nicht aufgehoben“, sagt der Sprecher der Innenbehörde, Matthias Krumm. „Zugelassen wird der tatsächliche Aufenthalt an einem anderen Ort, sodass Geflüchtete einen sicheren Platz haben, wenn die private Unterbringung doch wieder enden sollte.“

Laut dem Amt für Migration dient die öffentliche Unterbringung dazu, Schutzsuchende zuverlässig zu erreichen, damit diese Ladungen und Termine nicht verpassen. Diese Einschätzung basiere auf langjähriger Erfahrung. „Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge berichtet immer wieder von großen Schwierigkeiten, Geflüchtete zu erreichen, wenn sie die Erstaufnahme verlassen haben und den Kommunen zugewiesen worden sind“, teilt die Hamburger Behörde mit.

„Erstaufnahmen erleichtern das Ankommen“

Der Linken will das nicht einleuchten. „Es handelt sich um erwachsene Menschen, die in der Lage sind, ihre neue Anschrift dem Amt für Migration mitzuteilen“, sagt Suppelna. Den Geflüchteten sei sehr bewusst, dass wichtige Post kommen könne, die nicht verpasst werden dürfe.

Francis Suppelna, Referent der Linksfraktion

„Es handelt sich um erwachsene Menschen, die in der Lage sind, ihre neue Anschrift dem Amt mitzuteilen“

Das Amt für Migration argumentiert, der Förder- und Schutzbedarf könne durch die Wohnpflicht besser erkannt und umgesetzt werden: „Die Erstaufnahme erleichtert das Ankommen in Deutschland, informiert, berät und legt den Grundstein für den weiteren Aufenthalt.“

Die Linksfraktion verweist darauf, dass Geflüchtete nicht auf die Erstaufnahme angewiesen seien, um sich Hilfe zu holen. Vernetzungs- und Unterstützungstrukturen gebe es auch außerhalb. Um das zu fördern, schlägt Die Linke ein Merkblatt mit Kontaktdaten vor. Innerhalb der Aufnahmeeinrichtungen werde vieles vom Wachschutz organisiert. Dabei seien Spannungen mit den Wachleuten an der Tagesordnung. Im Übrigen könne Hilfe „extern durch Sozialberatungen viel besser und persönlicher gewährleistet werden“.

Worum es bei der Wohnpflicht eigentlich geht, sagt Michael Gwodzs, Sprecher für Flucht der Grünen-Bürgerschaftsfraktion mit erfrischender Deutlichkeit: „Der Gesetzgeber hat die Wohnpflicht im Gesetz verankert, um die Abschiebung von Menschen zu erleichtern, deren Asylantrag abgelehnt wurde.“

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