Wohnen und Tourismus: "Es geht drunter und drüber"
Der Tourismus habe in Kreuzberg "eine Dimension erreicht, in der es nicht mehr erträglich ist", sagt die Wissenschaftlerin Kristiane Klemm - sie empfiehlt Dialog.
taz: Frau Klemm, die Grünen in Kreuzberg haben jüngst eine Diskussion zum Umgang mit Touristen übertitelt mit "Hilfe, die Touristen kommen". Ist dieser Hilferuf berechtigt?
Kristiane Klemm: Ich denke schon. Nach allem, was ich aus Kreuzberg höre, habe ich sehr viel Verständnis dafür. Es geht drüber und drunter im öffentlichen Raum - denken Sie an die Admiralbrücke und deren Anwohner. Das andere ist, dass ganz viele private Wohnungen zu Hostels umgewandelt oder als Clubs genutzt werden, das dröhnt dann durch bis in den fünften Stock. Da sind die Leute natürlich auch nicht so begeistert. Generell ist diese Aufregung eigentlich untypisch für Kreuzberg - ein Kiez, der ja als ein Siedetopf verschiedener Kulturen und alternativer Lebensstile gilt. Diese Entwicklung ist schon erstaunlich.
Warum die Aufregung jetzt?
Es hat wohl eine Dimension erreicht, in der es nicht mehr erträglich ist.
Nun sitzen auch sehr viele Kreuzberger auf der Admiralbrücke und gehen in die Clubs. Wo verlaufen die Frontlinien?
Das kann man in der Tat nicht so genau trennen. Ich erinnere mich aber an Kneipiers, die bewusst keine Touristen wollen, denn auf Stammgäste ist Verlass - Touristen kommen und gehen.
Wie geht das?
Es werden einfach alle Tische reserviert, und dann werden nur diejenigen reingelassen, die der Wirt kennt.
Kristiane Klemm kümmert sich um das Tourismus-Archiv der Freien Universität. Die Geografin arbeitete bis zur ihrer Pensionierung am Lehrstuhl des universitären Willy-Scharnow-Instituts für Tourismus. Der Studiengang ist inzwischen eingestellt.
Das heißt nichts anderes als: Alles soll bleiben, wie es immer war, wie wir es uns vorstellen.
Im Grundsatz schon, das stimmt. Man muss ein Mittelmaß finden: Wie gehen wir mit den Touristen um. Auf der einen Seite brauchen wir sie, es ist der wichtigste Wirtschaftsfaktor der Stadt. Auf der anderen Seite haben wir die Touristen satt, wenn sie sich ungebührlich verhalten. Das Problem gibt es übrigens in ähnlicher Form in Entwicklungsländern. Da gucken die Touris den Leuten in den Kochtopf, gehen in die Wohnzimmer - das finden die dort auch nicht schön.
Was erwarten Touristen von einem Berlin-Besuch?
Jubel, Trubel, Heiterkeit. Die klassischen Sehenswürdigkeiten sind für die älteren, die jüngeren wollen Remmidemmi.
Wie ist das Problem zu lösen?
Dialog, Dialog, Dialog. Ich denke, mit einer Sitzung ist das nicht getan. Die Betreiber von Hostels müssten an einen Runden Tisch gesetzt werden, und man müsste gemeinsam nach Lösungen suchen, wo und wie der Lärmpegel gedämpft werden kann. Die Touristen müssten darauf hingewiesen werden, wie laut es ist, wenn man morgens um vier Uhr eine Fete feiert.
Im Fall Admiralbrücke gab es zwei MediatorInnen, das Projekt hat fast 20.000 Euro gekostet. Rausgekommen ist wenig.
Trotzdem glaube ich, dass man schon an die Verantwortung Einzelner appellieren kann. Auch die Printmedien und Reiseführer müssen adressiert werden, sie dürften nicht ständig neue Geheimtipps in die Welt setzen.
Aber genau das wollen die doch, damit verdienen sie ihr Geld.
Ja, es ist schwierig und eine stete Gratwanderung. Es gibt aber keinen anderen Weg, als miteinander zu sprechen. Gesetzliche Regelungen sehe ich erst einmal nicht. Langfristig führen Auswüchse wie in Kreuzberg zu einem Imageschaden, deswegen sollte es im Interesse der Berlinwerber gemeinsam mit der Politik sein, Ruhe in die Diskussion zu bekommen. Mit Mediation müsste man das eigentlich wieder hinkriegen. In anderen deutschen Städten ist auch um Mitternacht Schluss.
Deswegen sind die ja auch nicht so interessant wie Berlin.
Das stimmt. Darüber hinaus haben wir die niedrigsten Hotelpreisraten Europas, und die Billigflüge. Die Menschen fliegen für 5 Euro, übernachten für 8 Euro, wo gibt es das schon? Die Luftverkehrsabgabe ist möglicherweise eine Bremse, es ist spannend, wie sich die Billigfliegerei nun entwickelt. Mit der sind die Probleme entstanden, vielleicht gehen sie von allein zurück.
Hätten Politiker früher eingreifen können?
Ja, klar. Dadurch, dass man nach der Wende Gebäude zweckentfremdet nutzen durfte, also Wohnräume gewerblich nutzen und umgekehrt, kamen erst diese Probleme. Früher war in Wohnungen nur wohnen erlaubt.
Wie regeln das andere Großstädte?
Hinsichtlich der Nutzungsbindung weiß ich das nicht. Aber ich weiß, dass vor Jahren Griechenland ähnliche Probleme hatte mit Rucksacktouristen, die wild gezeltet und die Natur zerstört haben. Die Griechen fanden den Umgang damit auch schwierig - denn zugleich waren dies die Menschen, die zehn Jahre später mit ihren Kindern und gut betucht wiederkamen und ihr Geld in Hotels und Restaurants ließen.
Touristifizierungsängste gibt es auch in Berlin schon länger. Schlägt die aktuelle Welle höher, als es frühere getan haben?
Ja, ich denke schon. Zugleich schwappen Touristenströme auf andere Kieze über: Vor wenigen Jahren war es die Simon-Dach-Straße, jetzt geht es zurück nach Kreuzberg. Tourismusgebiete verhalten sich wie Produktlebenszyklen - die Nachfrage steigt zunächst rapide an und geht dann nach einer gewissen Zeit wieder zurück. Wenn zu viele Touristen da sind, wird die Attraktivität geringer und die Nachfrage sinkt. Irgendwo anders entwickelt sich etwas. Wirklich lenken lassen sich diese Prozesse nicht. Die Leidtragenden sind die Anwohner.
Also können Politiker und BürgerInnen im Prinzip nur reagieren?
Ja, und versuchen zu sensibilisieren. Es gab in den 80er Jahren eine Gruppe, die nannte sich "Tourismus mit Einsicht". Die haben eine Ausstellung im Bethanien organisiert und mit Rollenspielen begonnen: Als Touristen verkleidet, mit Hütchen und Kameras, sind sie auf Berlin-Besucher los - und haben ihnen so deutlich gemacht, wie unangenehm das ständige Betrachtetwerden ist. Eine weitere unkonventionelle Methode habe ich noch aus Paris gehört: Da kommt bei nächtlicher Ruhestörung wie auf der Admiralbrücke so ein Sprühwagen der Stadtreinigung. Die Leute gehen von ganz allein. Ob dies allerdings in Kreuzberg möglich ist?
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