Wohnen in Kasachischen Platten: Sowjet-Schick garantiert
In Almaty arbeiten viele Ausländer. Sie brauchen eine Bleibe. In Kasachstan gehen Mietgeschäfte noch gut, viele Rentner vermieten ihre Wohnungen – Sowjetschick garantiert.
Latifa Kunaewa ist eine resolute Frau. Die Haare der 65-jährigen Kasachin sind kurz zu einer Pagenfrisur geschnitten, auf den Wangen liegt etwas Rouge, um den Hals hängt eine Perlenkette. Der ockerfarbene Hosenanzug gibt der klein gewachsenen Frau etwas Sportliches. Sie sitzt auf dem braunen Sofa, lässt die Füße wippen und wartet auf neue Mieter. Auf der Website "Krisha.kz", der Immobilienseite Kasachstans, hat eine Maklerin ihre Wohnung angeboten. "Das mit dem Computer verstehe ich nicht", sagt Kunaewa unbekümmert, "das ist etwas für meine Enkel."
In der kasachischen Stadt Almaty gehen die Mietgeschäfte immer noch gut. Wenn auch nicht mehr ganz so gut wie vor der Krise, als die Bitte potenzieller Mieter um einen Tag Bedenkzeit garantiert abschlägig beschieden wurde. Besonders Wohnungen in zentraler Lage gingen weg wie warme Semmeln. Inzwischen hat sich die Lage auf dem Wohnungsmarkt in Almaty entspannt. Dennoch muss sich Latifa Kunaewa keine Sorge machen.
Die Kasachin gehört zu den glücklichen älteren Damen in Almaty, die im Zentrum der zentralasiatischen Wirtschaftsmetropole eine Wohnung besitzen. Zwei Zimmer in einem mehrstöckigen, mit Kacheln verputzten Plattenbau. Der viereckige Gebäudekomplex mit über hundert Wohnungen hat nichts Schickes, sondern ist Ergebnis sowjetischer Funktionsarchitektur. Einige Kacheln sind abgebrochen, andere von Rauch oder Schimmel geschwärzt. Die Briefkästen sind kaputt. Die Farbe im Treppenhaus blättert ab, in einigen Aufgängen gibt es keinen Lift, und wo einer vorhanden ist, stinkt es nach Urin.
Geografie: Das zentralasiatische Land ist das neuntgrößte Land der Erde, zählt knapp 15 Millionen Einwohner und besitzt gewaltige Gas- und Ölvorkommen. Es liefert Öl nach China, Russland und über das Kaspische und das Schwarze Meer auch direkt nach Europa.
Wirtschaft: Für 2010 hofft Kasachstan auf Erdöleinnahmen von 9 Milliarden US-Dollar. Die Finanzkrise hat den Wirtschaftsboom einbrechen lassen. Für 2010 wird allerdings wieder ein leichtes Plus erwartet. Die Wirtschaftskraft ist pro Kopf mit 6.300 US-Dollar fünfmal so stark wie im benachbarten Usbekistan. Das macht das Land international zu einem begehrten Partner.
Tourismus: Seit 2010 führt Kasachstan den Vorsitz der OSZE. Der Reisende kann in Almaty, wenn er nicht in einem teuren Hotel nächtigen will, auch eine Wohnung pro Tag mieten. Für 60 US-Dollar findet er eine Zweiraumwohnung inklusive sowjetischer Einrichtungsidylle. (mb)
Vom Küchenfenster aus kann der Betrachter, wenn er den Kopf zu Seite legt, die schneebedeckten Gipfel des Tien-Shan-Gebirges sehen, das Almaty im Osten eingrenzt. Der Ausblick auf die Berge ist auch schon das einzig wirklich Schöne an der Wohnung, die mit braunen Sperrholzmöbeln ausgestattet ist. Ein Fernseher sowjetischer Fabrikation dominiert vor einem filzigen Sofa das Wohnzimmer. "Das Bad ist weiß gekachelt", sagt Kunaewa und erklärt damit das Wort "Evroremont" in der Anzeige, eine russische Wortschöpfung für Wohnluxus.
Obwohl im Plattenbau, ist die Wohnung für Kunaewa eine Fundgrube. Sie liegt zentral und ist damit gut geeignet als Mietobjekt für die zahlreichen Ausländer, die in Almaty arbeiten. Schon in den 1970er-Jahren hat Latifa Kunaewa hier gelebt, der Ehemann arbeitete damals bei der sowjetischen Post. Im Sowjetreich kauften Bürger keinen Wohnraum, sondern der sorgende Staat teilte ihnen die Wohnungen zu. Einige der ans Warten gewöhnten Sowjetbürger waren geduldig, andere mussten mit Geschenken und Einfluss nachhelfen. "Wir standen viele Jahre auf der Warteliste", sagt Kunaewa, "dann haben wir sie bekommen."
Nach dem Zerfall der Sowjetunion und mit der Unabhängigkeit Kasachstans zog der Kapitalismus in die Steppe. Die Wohnungen wurden privatisiert, und Kunaewa wurde Eigentümerin. Die Kasachin und ihr Mann lernten schnell. Zuerst kamen viele Ausländer in die Stadt, die eine möblierte Wohnung brauchten. Das Ehepaar zog zu den Kindern und vermietete die Wohnung. "Mein Sohn ist immer viel unterwegs, da freut sich meine Schwiegertochter, wenn ich für die Enkel da bin", schmunzelt die Vermieterin.
Für das Geschäft ist die Rentnerin zuständig. Ihrem Ehemann sind die neuen Zeiten zu kompliziert, er sitzt meist vorm Fernseher. "Mein Mann war mal ein richtiger Kommunist", sagt Kunaewa, "aber jammern hilft ja nichts. Einer muss sich ja ums Überleben kümmern."
Anfänglich erhielten die Kunaewas nur einige hundert US-Dollar für ihre Wohnung. Das amerikanische Zahlungsmittel ist bis heute die gängige Währung, in der in Zentralasien Wohnraum gekauft oder bezahlt wird, bar auf die Hand. 2006 begann in Kasachstan der vom Gas- und Ölexport befeuerte Boom. Die Wohnungspreise stiegen enorm, im November 2007 kostete ein Quadratmeter Wohnraum in Almaty knapp 3.100 US-Dollar. Doch die Wirtschaftskrise hat auch Kasachstan nicht verschont. Im Januar 2010 ist der Quadratmeter nur noch die Hälfte wert.
Kunaewa kann trotz Krise immer noch mit einer Kaltmiete von knapp 800 US-Dollar rechnen. Das ist ein Vielfaches der Durchschnittsrente. "So kann ich meinen Enkeln was schenken", freut sich die Kasachin. Aber sie selbst kommt auch nicht zu kurz. Bei jedem Kontrollgang durch die Wohnung trägt sie etwas Neues. Mal ein Schmuckstück oder eine glänzende Bluse. In Kasachstan erhält ein Ruheständler, wenn er Glück hat, umgerechnet knapp 170 US-Dollar. Dabei steigen die Preise. Fleisch, Milch, Eier und Gemüse sind kaum billiger als in den Supermärkten in Deutschland. Obwohl die Gesundheitsversorgung in Kasachstan staatlich ist und damit für die Staatsbürger umsonst, erwartet der behandelnde Arzt Aufmerksamkeiten, und die Medikamente muss der Patient selbst bezahlen.
In anderen Staaten Zentralasiens sieht es noch düsterer aus. Eine Rente in Tadschikistan übersteigt manchmal kaum 10 US-Dollar, und auch die wird selten ausbezahlt. Besonders in den Hauptstädten der Länder zwischen dem Kaspischen Meer und der Grenze zu China schafft die Wohnungsvermietung ein Zusatzeinkommen. Doch in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek oder in der tadschikischen Kapitale Duschanbe können Hauseigner für eine Zweiraumwohnung nur wenige hundert US-Dollar verlangen.
In Usbekistan wiederum ist die Vermietung an Ausländer schwierig. Dort trocknet ein straffes Netz von Verordnungen den Mietmarkt praktisch aus. Jeder Ausländer muss persönlich mit dem Vermieter beim Außenministerium vorsprechen, um eine Meldebescheinigung, eine sogenannte Propiska zu erhalten. Auch Usbeken aus den Provinzen ist es nicht erlaubt, ohne diese Propiska in der usbekischen Hauptstadt Taschkent länger als drei Tage zu wohnen. Und nach der Propiksa rückt die Steuer der Wohneigentümerin auf die Pelle.
In Kasachstan und Almaty geht alles viel schneller und effizienter. Touristenfirmen, die an jeder Straßenecke zu finden sind, übernehmen für ein kleines Geld das Beschaffen der Propiska, der Wohnungsmarkt ist offen. Kunaewa umarmt die junge Maklerin, die Neumietern die Wohnung zeigt, wie eine gute Freundin. Schon so manches Geschäft half sie zu vermitteln.
Bevor die internationale Finanzkrise ausbrach, planten Bauinvestoren in Almaty ein Großprojekt nach dem anderen. Den aufgestellten Großplakaten zufolge sollten hier regelrechte Wohnpaläste mit Bögen, Säulen und Springbrunnen entstehen, doch die Krise bereitete vielen Projekten ein jähes Ende. Kunaewas Platte dagegen steht immer noch.
Der Gebäudeflügel, in dem sich ihre Wohnung im sechsten Stock befindet, liegt an einer ruhigen Nebenstraße. Das ist in dem von Smog und Verkehrslärm geplagten Almaty ein Vorteil. Ein Klettergerüst und eine Schaukel rosten auf einem mit Kippen und leeren Flaschen gespickten Platz. Einige Platanen haben sich über die Jahre zum Himmel gestreckt.
Für die Kasachin geht das Geschäft weiter. Früher, als der Mietzins Woche für Woche stieg, kannte Kunaewa keine Gnade. Am Sonntagmorgen rückte sie unangekündigt mit Neumietern an und führte eine Besichtigung durch. Mit solchen Manövern trieb die Kasachin die monatlichen Zahlungen für die Plattenwohnungen um einige hundert "Limonen", wie der Dollar in Zentralasien genannt wird, in die Höhe. So gezockt wie früher wird heute aber nicht mehr. Und auch die ältere Dame im Zentrum der Stadt ist ruhiger geworden. Ab und an muss sie sogar ihre Wohnung einige Wochen leer stehen lassen, bis neue Mieter gefunden sind. Aber 800 US-Dollar sind für die Rentnerin in Almaty immer noch eine schönes Auskommen.
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