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Wohlstand und Spiele

■ Schrille Konfrontationen und Horrorszenen in geklauten Comic Strips: Anti-Diva Mariola Brillowska eröffnet im Westwerk den „Club Adorator“

Ein Jahr lang war sie abgetaucht, Mariola Brillowska, die Königin der schrillen Nächte und der Kunst wider die Kunst. Trickfilmerin, Malerin, Autorin und Performerin, Brillowska ist eine Frau mit vielen Talenten, und es ist schwer zu sagen, welches sie am besten beherrscht. Sicher ist, die Kunst der Selbstinszenierung weiss sie wie keine zweite in der Hamburger Subkultur einzusetzen. Zuletzt zeigte sie sich als Diva-Antidiva mit weizenblonder Perücke auf Plateausohlen. Vor einem Jahr wurde Brillowskas Liv-Ullmann-Show eingestellt, kurze Zeit später die Las Vegas Show zusammen mit Reznicek. Jetzt kehrt die Diva zurück mit einer neuen monatlichen Show.

Ausgestattet mit einer Förderung der Kulturbehörde, öffnet heute der Club Adorator im Westwerk zum ersten Mal seine Tore. Das Motto der ersten Nachtkultur-Performance: „Spielzeuge für Erwachsene oder wie lange bleiben wir jung“. Aber wer hier glaubt, Trash um des Trashs willen vor sich zu haben, der irrt. Durch all ihre Aktionen, Bilder und Filme zieht sich eine Kunstkritik, die mit dem etablierten Betrieb abrechnet. Kritik an der von Männern geprägten Unternehmerkultur scheint dabei immer durch. Die Gegenwart droht am Wohlstand zu ersticken, daher wird sie reduziert auf punktuelle Konfrontationen, die dann liebevoll mit viel Menschlich-Allzumenschlichem angefüllt werden. Die hemmungslose Präsentation in einem exhibitionistischen Akt versteht sich dabei von selbst.

Ein Club der Bewunderung soll es werden, von einer bewunderten Diva für ihre verehrten Gäste. Um feuilletonistische Kunst wird es dabei natürlich nicht gehen, sondern um eine Antikunst, die kreativ und zutiefst anarchisch ist.

Illuster liest sich die Schar der Eröffnungsteilnehmer. Aus Marseille reisen Pakito Bolino und Caroline Sury an und zeigen Bilder aus ihrem im Offsetverfahren produzierten Comic Hôpital brut. Sie werden ihre Siebdruck-Technik auch in einer Live-Performance zeigen. Das Duo bringt seit 1993 im Eigenverlag Le Dernier Cri (Der letzte Schrei) wilde Comic Strips heraus, die es aus bereits vorhandenen Comicseiten zusammengeklaut hat. Auf den eng bemalten Seiten breiten sich Horrorszenarien vor einem Hintergrund aus, der noch am ehesten eine Landschaft nach einem Atomkrieg suggeriert.

Außerdem zeigt das Duo Jon Bon Organ aus Gdansk und Bremen eine Kopf-Necro-Disco, und der Fakir und Chansonnier Andi Reich aus Hamburg steuert Kostüme und traurige Liebeslieder bei. Mit dabei ist natürlich auch Mariolas Klon (pardon: Tochter) Gloria, die in einer Vitrine auf dem pneumatischen Stuhl von Jim Whiting plaziert wird. Whiting wird ebenfalls erwartet. Anschließend gibt es reichlich Gelegenheit zum Hüftewackeln mit DJ T.B.C. und seiner „Try to be candy“-Disco.

Annette Stiekele

heute, 21 Uhr, Club Adorator, Westwerk. Nächste Termine: 9. November (Gäste: Francoise Cactus und Brezel Göring von Stereo Total, Top Banana Trio, Cecile Noldus) und 14. Dezember (Gäste Anjuschka aus Moskau, Felix Kubin und Maxwell).

Trickfilme von Mariola Brillowska und „Hôpital brut“ von Bolino/ Sury: 14. Oktober, 21.15, Metropolis

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