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Archiv-Artikel

Wohlfühlabend im Biohof

Zuerst war das Rhönschaf, jetzt gibt es auch Bionade und Biobauernhöfe im Biosphärenreservat Rhön. Ein Porträt der Mittelgebirgsregion im Dreiländereck Hessen, Bayern und Thüringen

RHÖN-TIPPS

Militärhistorische Sammlung Wildflecken. Auf dem Gelände der Rhön-Kaserne. Öffnungszeiten nach Absprache Tel. (0 97 45) 30 88 Museum „Drushba“. Auf der Hohen Geba bei Meiningen, täglich von 11 bis 17 Uhr Alternativer Reiterhof Arhöna. Auf der Rhönkuppe, 36284 Hohenroda, Oststraße 1 Tel. (0 66 76) 85 62, mail@arhoene.de Rhön-Aktiv: Radwege, Ski, Nordic Walking. Mit aktuellen Hinweisen: www.rhoenactive.de Übernachtung: Pension Strauss, Haselbachstr. 50, 97653 Bischofsheim, Tel. (0 97 72) 12 71, w.poepperl@freenet.de Gasthof Zur Guten Quelle und „Goethe-Ausstellung“, Hauptstraße 7–9, 98634 Kaltensundheim, Tel. 03 69 46- 3850, gute-quelle@t-online.de

VON ANTONIA HERRSCHER UND HELMUT HÖGE

„Schön ist die Rhön, noch schöner ist sie ohne Rhöner“, sagt man in Bischofsheim, einer kleinen Stadt, die am Fuße des Kreuzbergs, des heiligen Bergs der Franken, liegt.

Die Rhön ist ein Mittelgebirge, das sich über das Dreiländereck Hessen, Bayern, Thüringen erstreckt. Hier leben etwa 190.000 Rhönerinnen und Rhöner, die das raue Klima mit reizender Verstocktheit auszugleichen wissen. Es ist eine der am dünnsten besiedelten Regionen Deutschlands. „Das Land der weiten Fernen“ entstand einst durch großflächige Rodungen. Seinen Kern bildet heute das Biosphärenreservat Rhön. In dessen Mitte befindet sich Bischofsheim. Eine kreisförmige Stadt wie aus dem Lehrbuch. Mit Marktplatz und drei Kirchen – einer evangelischen, einer katholischen und einer russisch-, vormals griechisch-orthodoxen – sowie kleinen Gassen, mit Scheunen, die noch immer landwirtschaftlich genutzt werden. Das Ganze umschlossen von einer Stadtmauer, hinter der sich zahlreiche Gärten aneinanderreihen. Ein Flüsschen treibt Wassermühlen an und versorgt die Gärten. Überall stößt man auf Holzplastiken, sie stammen aus der hier ansässigen ältesten Holzschnitzschule Deutschlands. Eine ähnliche gibt es in Empfertshausen im thüringischen Teil der Rhön. Sie wurde kürzlich mit Fördergeldern des Landes modernisiert.

Die Holzschnitzerei hat in der Rhön Tradition: Schon Mitte des 19. Jahrhunderts begann man dieses Handwerk, das von den armen Rhönbauern im Winter als Zuverdienst betrieben wurde, zu fördern und künstlerisch zu veredeln. Im Ort Langenleiten, einem von drei „Walddörfern“ am Kreuzberg, befindet sich eine der größten Holzfräsereien, die nicht nur die zahlreichen Holzbildhauer der Region mit Rohlingen versorgt.

Die Walddörfer, die erst während des Dreißigjährigen Krieges besiedelt wurden, waren besonders arm. Der Boden war schlecht, die Winter waren lang. Die auf über 600 Meter liegenden Orte weisen zudem eine ganz eigene Siedlungsstruktur auf. Als bis heute in gleichmäßige Parzellen aufgeteilte Straßendörfer erinnern sie fast an amerikanische Vorstädte. Während in Langenleiten viele Holzschnitzer wohnen, zeichnet sich Sandberg, ein weiteres „Walddorf“, durch eine eigene Musikszene aus. Die Leute unten sagen: „Da oben wohnen nur Verbrecher.“ Vielleicht liegt das daran, dass Sandberg mehrmals abbrannte, was wiederholt einen Modernisierungsschub zur Folge hatte.

Von Sandberg führt einer der zahlreichen Wanderwege zum Kloster auf den Kreuzberg. An dieser Pilgerstätte wird der iroschottische Mönch St. Kilian verehrt. Die Franziskanermönche servieren obergäriges Bier und Schweinebraten. Wer den Morgennebel in aller Einsamkeit genießen möchte, kann dort auch günstig übernachten. Im Winter erreichen Skifahrer den Gipfel mit einem der vier Skilifte. Im Sommer bestreitet dort alljährlich der Schauspieler Rudolf Herget eine „Nacht der Poesie“. Dabei trägt er neun Stunden lang bekannte Klassiker vor. Umgekehrt tragen zur gleichen Zeit auf der etwa zehn Kilometer entfernten Bergkuppe „Kalte Buche“ bei Ginolfs neun Dichter jeweils zwanzig Minuten unbekannte Texte vor.

Eine weitere Pilgerstätte ist die katholische Wallfahrtskirche Maria Ehrenberg auf dem Gelände des Truppenübungsplatzes Wildflecken. Dieser entstand 1937 und war damals die größte Baustelle Deutschlands. Elf Dörfer mit 2.662 Einwohnern mussten ihm weichen. Nach der Einnahme durch die Amerikaner wurden hier etwa 25.000 Displaced Persons, vor allem Polen, konzentriert, wovon noch heute ein „Polenfriedhof“ am Lager zeugt. Der Film „A Nun’s Story“ aus dem Jahr 1959 mit Audrey Hepburn in der Hauptrolle erzählt die Geschichte der Nonne Marie-Louise Habets, die damals das Lagerhospital leitete. Anschließend waren hier rund 10.000 amerikanische und deutsche Soldaten stationiert. Im Ort selbst gab es 20 Bars, Bordelle und täglich Massenschlägereien. Der Flecken wurde bald als „The Wild Place“ bekannt, so hatte zuvor ein Buch von Kathryn Hulme über das DP-Lager geheißen. „Lieber den Hintern voll Zecken als ein Tag in Wildflecken“ hieß es in der Region. Heute erinnert dort ein „Kreuzweg der Nationen“ mit zehn antimilitaristischen Gedenksteinen an diese Zeit – er endet kurioserweise nach 1.000 Metern am Zaun der „Rhönkaserne“, wo sich heute ein Gefechtssimulationszentrum der Nato befindet.

Der bayerische „Kreuzweg“ korrespondiert in Thüringen mit dem 40 Kilometer langen „Friedensweg“, der vom Grenzübergang Henneberg bis in die Hohe Rhön führt. Auch hier wurden entlang der DDR-Grenze aus militärischen Gründen mehrere Siedlungen „gewüstet“. Und ebenso wie es heute in Wildflecken eine militärhistorische Sammlung gibt, hat man auch am Friedensweg ein Militärmuseum (namens „Drushba“) eingerichtet: auf der Hohen Geba, wo die Rote Armee 30 Jahre lang ein Übungsgelände unterhielt. Im kurdischen Apollo-Grill von Wildflecken befindet sich übrigens das einzige Internetcafé weit und breit.

Besser essen kann man aber in einem der Restaurants der Region, die mit der Dachmarke „Rhön“ des Biosphärenreservats werben. In diesen Lokalen wird garantiert kein Pfanniknödel in Tütensoße ertränkt. Trotzdem isst man hier fast genauso günstig. Während früher meist kinderreiche Familien in der Rhön Urlaub machten, sind es jetzt ebenso betuchte wie betagte Nordic Walker. Das regionale Marketing reagiert auf diese Zielgruppe mit Wellnesskursen und Wohlfühlabenden auf Biohöfen sowie mit Holzschnitzseminaren.

Es gibt zahlreiche Pferdepensionen und Radwanderwege, zum Teil auf stillgelegten Bahnstrecken. Ferner die unter Anarchisten seit langem bekannte Bakunin-Hütte auf der Hohen Maas bei Meiningen. Überregional bekannt sind inzwischen auch die Produkte Rhönsprudel, Bionade (aus Ostheim) und das Rhönschaf. Letzteres dient ebenso der Pflege der Kulturlandschaft – Hangwiesen und Almen – wie der Bereicherung der einheimischen Küche und ist inzwischen zu einem Symbol des Reservats geworden. Es heißt „Rhönhilde“ und wirbt bereits als Comicfigur auf Tassen, T-Shirts und Bierkrügen für die Rhön. Doch seitdem gibt es auch Streit: Rhönhilde hat nämlich schwarze Beine und ist deswegen gar kein reines Rhönschaf. Damit in der Öffentlichkeit kein falsches Bild vom Rhönschaf vermittelt wird oder die Verbraucher gar getäuscht werden, erwägen einige Züchter rechtliche Schritte gegen die Werbeagentur, die „Rhönhilde“ kreierte.

Die Hochrhönstraße, die von Bischofsheim nach Fladungen führt, verläuft entlang zweier Hochmoore. Am bekanntesten ist das Schwarze Moor, das man mit einem Holzsteg zugänglich gemacht hat, neu hinzugekommen sind dort ein Aussichtsturm und Gastronomie. Zweigt man von dieser Straße nach Osten ab, kommt man durch zahlreiche kleine Dörfer. Touristenfrei.

ANTONIA HERRSCHER und HELMUT HÖGE arbeiten an einem Buch über die Rhön, das im Verlag Peter Engstler in Ostheim vor der Rhön erscheinen soll