■ Wo der französische Rechtsstaat versagt: Staatsaffäre korsischer Knoten
Ist Korsika anders? Die Geschichte der letzten zwei Jahre legt das wieder einmal nahe. Sie lieferte unter anderem: einen auf offener Straße erschossenen Präfekten, nie gefundene Mörder, subventionsbetrügende Banken, erpressende Mafiosi, nationalistisch wählende Insulaner, brandstiftende Gendarme. Und jetzt einen Präfekten in Polizeigewahrsam.
Diese Konzentration bestätigt den alten, immer wieder von Pariser Regierungen jedweder politischen Couleur genährten Verdacht, der korsische Knoten sei nicht zu lösen. Er könne allenfalls gelokkert werden. Bei genauer Draufsicht zeigt sich jedoch, daß ein großer Teil der Ereignisse und Akteure nur relativ wenig mit Korsika zu tun haben: Die dortige Mafia hat einen Aktionsradius, der weit über die Inselränder hinausragt. Die Banken haben mit europäischen Institutionen gekungelt. Die Präfekten – sowohl der ermordete als auch der verhaftete – waren von Paris entsandt. Die zündelnden Gendarmen sind mehrheitlich Festlandfranzosen. Und daß die Korsen nationalistisch wählen, dürfte eigentlich angesichts der französischen Korsika-Politik der vergangenen Jahre niemanden wundern.
Anstelle einer Politik hat Paris stets nur Verwaltung betrieben. Bis vor einigen Monaten bestand die darin, die Insel einerseits mit großzügigen Wirtschaftsausnahmeregeln am Tropf zu halten und andererseits einen Modus vivendi mit dem obskuren Milieu aus Mafia und bewaffneten Nationalisten zu finden. Unter der rot-rosa-grünen Regierung von Lionel Jospin schlug diese Verwaltung in ihr krasses Gegenteil um. Plötzlich kehrte Paris mit dem sogenannten eisernen Besen gegen das zuvor hofierte Milieu und schaffte die Steuersonderbedingungen ab.
Das freilich ist noch keine Korsika-Politik. Paris' – und damit Jospins – oberster Vertreter auf der Insel, der seit gestern unrühmlich amtsenthobene Ex-Präfekt Bonnet, verkörperte diese Polizeipolitik wie kein anderer. Er war es, der mit Rückendeckung des Premiers im letzten Jahr jene Sondergendarmerietruppe schuf, deren Mitglieder jetzt wegen krimineller Brandstiftung im Gefängnis sitzen. Offiziell sollte und wollte Bonnet Korsika „säubern“. Statt dessen überzog der Mann aus Paris die Insel mit Polizisten und Parapolizisten, die sie noch dreckiger machten. Diese Polizeilogik stammt aus Paris, das sie auch bei anderen Gelegenheiten, in anderen Weltgegenden und unter anderen Regierungen einsetzte, wenn es nicht weiterwußte. Insofern ist Korsika überhaupt nicht besonders. Es ist Frankreich. Dorothea Hahn
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