: Witzige Leiden der Kindheit
■ Martin Leßmann führt im MOKS-Theater-Foyer sein Werk „Die Geschichte von Herrn Sommer“ auf und ist dabei ganz komisch
Wenn sich Erwachsene an ihre Kindheit erinnern, ist das oft eine langweilige Geschichte. Vor allem für Kinder. Die können sich bei all den Anekdoten kindlicher Dummheiten des Eindrucks nicht erwehren, ihr Alter werde nicht ganz ernst genommen. Nun verhieß die Ankündigung der „Geschichte von Herrn Sommer, für alle ab acht Jahren“ Erinnerungen mit „gewitztem Humor und melancholischer Poesie“. Trotzdem musste man bei der Uraufführung des solistischen Theaterstücks am Samstagnachmittag im Foyer des MOKS-Theaters Achtjährige mit der Lupe suchen.
Bei dem an eine Süßkind-Erzählung angelehnten Werk (von und mit Martin Leßmann) ist auch drin, was drauf steht. Wie bei solistischen Theaterstücken üblich, kommt „ganz zufällig“ ein Herr in dickem grauem Mantel summend dahergeschlendert. Er tut zunächst so, als habe er überhaupt nicht die Absicht, hier länger als fünf Minuten zu verweilen, und erzählt dann doch die ganze Geschichte von Anfang bis Ende. Seine Schüchternheit gegenüber der Klassenschönheit Karolina Kückelmann gehört dazu. Die Selbstmordabsichten nach einer verkorksten Klavierstunde und die Vorstellungen, wie die ganze Familie am Grab um den armen Sohn weinen werde, sind weitere Anekdoten, die man schon irgendwoher kennt. Dass es dennoch ein höchst unterhaltsamer Nachmittag wird, liegt an Darsteller Martin Leßmann. Ohne großen Pathos zu versprühen, ganz den sympathischen Mann mittleren Alters mimend, erzählt er von „der Zeit, als ich noch auf Bäume geklettert bin“. Und von Herrn Sommer.
Dieser Herr war eine seltsame Erscheinung in der Gegend von „Unternsee“, dem Heimatort des Erzählers. Mit Strohhut, karamellfarbenem Hemd und kurzer Hose lief er mürrisch den ganzen Tag im Freien herum. Warum? „Meine Mutter sagte, er habe Klaustrophobie“, erzählt der Mann auf der Bühne. Eine folgenschwere Äußerung. Abends im Bett kann Sohnemann nicht einschlafen, weil er über diesen seltsamen Begriff nachdenken muss. „Wenn Klaustrophobie bedeutet, dass man nicht im Zimmer bleiben kann, bedeutet es, dass man draußen herumlaufen muss“, grübelt er und kommt zum Schluss: „Klaustrophobie heißt, dass Herr Sommer draußen herumlaufen muss, weil er draußen herumlaufen muss ...“
In der Inszenierung sind solche Logeleien ein Lacherfolg. Und mit jeder erfolgreichen Pointe wird Leßmann sicherer. Doch verkennt der ehemalige Leiter des MOKS-Theaters nicht die Gefahr, mit Übertreibungen das Amüsante ins Lächerliche zu verkehren. Der Text allein ist schließlich bei weitem nicht so erheiternd wie das darstellerische Ergebnis. Da hätte die geringste Selbstgefälligkeit zu einem Abgleiten auf Stammtischniveau führen können.
Leßmann bietet also einen herrlich komischen Nachmittag – in ers-ter Linie für Erwachsene. Allein die eingefügten ernsten und tragischen Momente wollen nicht so recht passen. Zu offensichtlich ist die Funktion der „Herr Sommer“-Figur, den heiteren Anekdoten einen tragischen Rahmen zu verpassen.
Johannes Bruggaier
Weitere Aufführungen der „Geschichte von Herrn Sommer“ am 3. und 4. Februar um 17 Uhr sowie am 25. Januar und 1. Februar um 16 Uhr im MOKS. Karten und Infos unter: 36 53 333.
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