Wissenschaftsrat fordert Qualitätsoffensive: Der Lehre gebührt mehr Ehre
An deutschen Universitäten kommen bis zu 120 Studenten auf einen Professor. Die Lehre ist zu wenig angesehen, moniert der Wissenschaftsrat und fordert 1,1 Milliarden Euro für eine bessere Ausstattung.
Sven Chojnacki ist noch voller Euphorie. Am Wochenende hat er zusammen mit seinen Studenten die Krisensituation im Libanon durchgespielt: "Es ist toll, auch mal länger Zeit mit den Studenten zu verbringen, da kommt es zu einem Gedankenaustausch, der sonst im Seminar nicht möglich wäre."
Unter seinen Kollegen ist Chojnacki, Juniorprofessor für Internationale Friedens- und Konfliktforschung an der Freien Universität Berlin, eher die Ausnahme. Gerade von den älteren bekommt er des Öfteren zu hören: "Junge, konzentrier dich auf Publikationen, mit Lehre kannst du keine Lorbeeren gewinnen."
Die Lehre steht an den hiesigen Universitäten im Schatten der Forschung. Das soll sich ändern. Der Wissenschaftsrat, das einflussreichste Beratungsgremium der deutschen Wissenschaftspolitik, hat am Montag seine Empfehlungen zur Verbesserung der Lehre vorgestellt und eine Qualitätsoffensive gefordert.
Die Empfehlungen sind mehr als wohlfeile Ratschläge: Schließlich ernennen die Länder zusammen mit dem Bund und den großen Wissenschaftseinrichtungen die Mitglieder des Rats und entsenden ihre zuständigen Minister. Die nahmen die Empfehlungen einstimmig an: "unter dem üblichen Finanzierungsvorbehalt", wie eine Sprecherin des Wissenschaftsrats sagte.
Die Ratsmitglieder appellieren an die Länder, jährlich 1,1 Milliarden Euro zusätzlich in Hochschulen und Unis zu stecken, um die Qualität der Lehrveranstaltungen zu heben. Ein Drittel des Geldes sollte nach Meinung der Mitglieder zur Verbesserung der Betreuung, also in zusätzliche Professuren und Dozentenstellen investiert werden. Die Summe ist "konservativ" gerechnet, das heißt der steile Anstieg der Studierendenzahlen in den nächsten Jahren wurde außer Acht gelassen.
"Gute Lehre soll sich lohnen", fordert Peter Strohschneider, Vorsitzender des Wissenschaftsrats. Wie es um die Lehre steht, weiß Strohschneider aus seinem eigenen Fachbereich, der Germanistik. Hier kümmert sich ein Professor durchschnittlich um 119 Studenten. "Wenigstens in diesem Bereich sind wir Spitze", meint der Münchener Professor sarkastisch. Der Rat mahnt eine personelle Verbesserung um ein Drittel an. Das hieße, dass sich nur noch 80 Studierende um einen Professor scharen.
Gleichzeitig konstatiert der Wissenschaftsrat auch ein qualitatives Ungleichgewicht zwischen Forschung und Lehre: Während Erstere hoch professionalisiert sei, seien Hochschullehrer als Lehrende weitgehend "Autodidakten". Den Hochschulen rät der Wissenschaftsrat, ihr Lehrpersonal kontinuierlich weiterzubilden. Zertifizierte Weiterbildung könnte auch bei Berufungsverfahren eine Rolle spielen. Auch studentische Evaluationen müssten gestärkt und vergleichbar gemacht werden.
"Insbesondere die Forderung nach mehr Geld und Fortbildungen gehen in die richtige Richtung", lobte Bianca Hilfrich vom freien zusammenschluss von studentinnenschaften (fzs), einem studentischen Dachverband. Der hochschulpolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring, forderte Bildungsministerin Annette Schavan auf, gute Lehre zum "Megathema" zu machen.
Dass Lehre und Forschung kein Widerspruch sein müssen, hat Juniorprofessor Sven Chojnacki längst erkannt: Parallel zu seinem aktuellen Forschungsprojekt bietet er ein Seminar an. In diesem stellt er die aktuellsten Forschungsergebnisse vor, lässt die Studenten darüber diskutieren und eigene Thesen entwickeln. "Beides klappt in Kombination wunderbar."
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