WissenschaftlerInnen in der Türkei: „Wir wissen, wo ihr wohnt“
Nach dem Putschversuch im Juli sind viele ForscherInnen in dem Land in Gefahr. Deutsche Universitäten versuchen ihnen zu helfen.
Am Mittwoch, den 13. Juli dieses Jahres reist Filiz Kaya (Name von der Redaktion geändert) mit leichtem Gepäck. Vier Tage will sie in Bremen bleiben, sich an ihrer neuen Fakultät umgucken, den neuen Arbeitsvertrag unterschreiben, eine Wohnung suchen. Am Samstag soll ihr Flug zurück nach Izmir gehen. Doch am Vorabend, dem 15. Juli, überstürzen sich in ihrer Heimat die Ereignisse: Ein Teil des Militärs putscht, noch in der Nacht kündigt Präsident Erdoğan Konsequenzen an. Filiz Kaya ahnt: Wenn ich jetzt zurückfahre, komme ich nicht mehr raus.
Die Psychologin – die von ihrer türkischen Uni schon Monate zuvor verhört worden ist und bei Wissenschaftsbehörden auf einer schwarzen Liste steht – storniert den Rückflug. Filiz Kaya ist damit eine der wenigen AkademikerInnen, die sich rechtzeitig aus der Türkei abgesetzt haben – bevor die Regierung ein spezielles Ausreiseverbot verhängte.
Seit August forscht Kaya nun als Philip-Schwartz-Stipendiatin an der Uni Bremen und erhält zwei Jahre lang Geld auch vom Auswärtigen Amt. Eigentlich war das Programm für geflohene WissenschaftlerInnen aus Syrien gedacht. Von den ersten 23 StipendiatInnen, die diesen Sommer Schutz an deutschen Hochschulen finden, sind 14 aus Syrien und 6 aus der Türkei. Die übrigen drei stammen aus Libyen, Pakistan und Usbekistan.
„Dass jetzt anteilig so viele türkische WissenschaftlerInnen dabei sind, erzählt viel über die Lage in der Türkei“, sagt Annette Lang von der Uni Bremen. Seit 2009 leitet sie dort das „International Office“. Sie erlebt es zum ersten Mal, dass ihre Hochschule bedrohte WissenschaftlerInnen aufnimmt: „Bislang gab es da wenig Finanzierungsmöglichkeiten. In Forschungsprojekten der Deutschen Forschungsgemeinschaft können Zusatzmittel beantragt werden, jedoch passten die bisherigen Bewerbungen geflüchteter Wissenschaftler noch nicht zu den an der Universität Bremen bestehenden Projekten.“
Die ersten Fluchtgedanken
Als Lang von der Philip-Schwartz-Initiative erfuhr, war sie sofort dabei. Die Uni Bremen legte ein Konzept vor, wie sie zwei bedrohte WissenschaftlerInnen aufnehmen und betreuen wollte, reichte schließlich die Unterlagen der BewerberInnen ein. Das war im Frühling. In der Zeit, schätzt Lang, gingen 30 bis 40 Anfragen allein aus der Türkei ein.
Philip-Schwartz-Initiative: Seit Juli forschen 23 im Ausland bedrohte WissenschaftlerInnen an deutschen Hochschulen, darunter 14 SyrerInnen und 6 TürkInnen. Die Initiative wurde von der Alexander von Humboldt-Stiftung und dem Auswärtigen Amt (AA) gegründet, finanziert vom AA, von der Alfred Krupp von Bohlen und Halbach-Stiftung, der Fritz Thyssen Stiftung, der Gerda Henkel Stiftung, der Klaus Tschira Stiftung, der Robert Bosch Stiftung sowie der Stiftung Mercator. Bis Oktober läuft die Bewerbung für die zweite Runde.
Türkische Forscher: 2014 lebten und arbeiten 1.600 türkische ForscherInnen sowie 900 türkische DoktorandInnen an deutschen Hochschulen oder Forschungseinrichtungen. Über Hochschulpartnerschaften, Erasmus plus und so weiter sind derzeit 103 Türken in Deutschland, darunter 1 Hochschullehrer und 12 Doktoranden. Die Austauschprogramme sind laut DAAD derzeit nicht in Gefahr.
Auch Filiz Kaya nahm über eine Freundin, die früher ihren Doktor an der Uni Bremen gemacht hat, Kontakt zu ihrem Fachbereich in Bremen und zum International Office auf. Die ersten Fluchtgedanken hatte Kaya, die ihren richtigen Namen aus Angst nicht in der Zeitung lesen möchte, nämlich bereits im Januar. Zusammen mit rund 1.200 anderen WissenschaftlerInnen unterschrieb sie da in Sorge um die Menschenrechte im Osten des Landes die „Academics for Peace-Petition“.
Seitdem die prokurdische Partei HDP mit mehr als 80 Abgeordneten im Parlament sitzt, geht die AKP-Regierung in Ankara immer stärker gegen die kurdische Zivilbevölkerung vor. In der Petition forderten die Intellektuellen Präsident Erdoğan auf, den Krieg im eigenen Land zu stoppen. Die Intellektuellen traf der Zorn des Herrschers – und seiner Diener.
„Diese Pseudowissenschaftler behaupten, dass der Staat Menschen massakriert“, zürnte Erdoğan im Fernsehen und warf den UnterzeichnerInnen vor, die kurdische PKK-Guerilla zu unterstützen. „Ihr seid voller Dunkelheit. Ihr seid überhaupt keine Intellektuellen. Ihr wisst so wenig, dass ihr nicht Osten und Westen unterscheiden könnt. Wir aber wissen, wo ihr wohnt.“
Auf der schwarzen Liste
Auch der türkische Hochschulrat YÖK stellte klar: „Eine Petition, die Terrorismus unterstützt, hat mit Wissenschaftsfreiheit nichts zu tun. Wir werden das im Rahmen des Gesetzes Nötige hinsichtlich der Petition veranlassen.“ Auch die Staatszeitungen sekundierten, druckten Namen und Fotos der „PKK-Terroristen“ und „Verräter“ ab. Ein landesweit berüchtigter Nationalist bekannte im Staatsfernsehen: „Ich will mich in eurem Blut duschen.“
Filiz Kaya merkte schnell, dass sie als Unterzeichnerin der Petition keine Forschungsgelder mehr bekam. Der Türkische Wissenschafts- und Forschungsrat (Tübitak) hatte sie auf eine schwarze Liste gesetzt. Eine Hochschule sagte ihr kurzfristig einen Lehrauftrag ab. Und an der Universität, an der sie acht Jahre als Professorin arbeitete, wurde sie verhört: Ob sie ihre Unterschrift bereue, ob sie dafür Geld erhalten habe, warum sie sich mit Rang und Namen zu erkennen gab, wollte ein älter Kollege von ihr wissen. Kurz darauf wurde Filiz Kaya entlassen.
So wie Kaya geht es seit dem Putsch hunderten WissenschaftlerInnen in der Türkei. Binnen einer Woche wurden 700 HochschullehrerInnen entlassen, rund 1.600 Dekane mussten zurücktreten. 15 Universitäten wurden geschlossen.
Die Entwicklung betrachten auch deutsche Unis mit Sorge. Der Rektor der Hochschulrektorenkonferenz, Horst Hippler, sprach von „systematischer Einschüchterung“ und von „Vernichtung des freien Geistes“. Bildungsministerin Johanna Wanka kritisierte die Entlassungen und das Ausreiseverbot. Doch wenn man an deutschen Hochschulen nachfragt, was sie für türkische WissenschaftlerInnen tun können, verweisen viele nur auf die Austauschprogramme von DAAD und Humboldt-Stiftung (siehe Kasten).
„Rettungsaktion ist im vollen Gang“
Doch es geht mehr, sagt eine, die wie ihre Kollegin Annette Lang in Bremen das International Office einer deutschen Uni leitet. „Momentan ist die Rettungsaktion im vollen Gang.“ Damit meint Frau N., die zum Schutz der zu Rettenden weder ihren vollen Namen noch den Namen der Hochschule preisgeben will, zunächst mal: Alle Anfragen aus der Türkei, die bei ihr auf dem Schreibtisch landen, haben Priorität.
Seit dem Putschversuch seien das an ihrer Uni bestimmt 15 Fälle gewesen, schätzt N. Immer landeten die Hilferufe über persönliche Netzwerke bei ihr.
Bisher habe sie vier türkischen WissenschaftlerInnen weiterhelfen können. Zwei vermittelte sie an eine andere Hochschule. Für die anderen beiden legte sie der Ausländerbehörde im Ort eine Aufnahmevereinbarung vor. Damit ist gesichert, dass die Personen einen Visaantrag stellen und in Deutschland bleiben können. Erst dann kann die Uni die Reisekosten freigeben. Um die WissenschaftlerInnen dauerhaft bezahlen zu können, muss N. jedoch ein Stipendium über rund 2.000 Euro im Monat bei privaten Spendern und Unternehmern einwerben. „Für den Ersten haben wir eine Brückenfinanzierung erreicht“, erzählt N. Die anderen Personen seien noch nicht in Deutschland.
N. hofft, dass ihr Visaantrag durchgeht – dafür sei totale Anonymität wichtig. „Die verbliebenen türkischen WissenschaftlerInnen in der Türkei sind zu diesem Zeitpunkt besonders gefährdet.“ Sollte man sie identifizieren, könnten sie noch vor ihrer Ausreise nach Deutschland denunziert werden – auch aus Deutschland. Kurz nach dem Putschversuch wurden auch Türken in Deutschland per SMS aufgefordert, Anhänger der Gülenbewegung zu denunzieren. Sie fürchtet, sagt N., dass nationalistisch eingestellte türkische Studierende ihrer Uni auch in ForscherInnen, die ins Ausland fliehen, „Vaterlandverräter“ sehen.
Kaum Optimismus
Filiz Kaya ist in der Frage wenig optimistisch. „Ich befürchte, dass bald niemand mehr rauskommt. Egal ob mit Visa oder Stipendium.“ Das glaubt auch die Humboldt-Stiftung. „In der ersten Runde gab es in einigen Fällen Schwierigkeiten bei der Ausreise“, sagt Georg Scholl von der Stiftung. „Momentan wissen wir nicht, wie das bei der zweiten Runde sein wird.“
Bis Oktober läuft die neue Bewerbungsphase. Im Anschluss sollen weitere 20 bis 25 gefährdete ForscherInnen nach Deutschland kommen, auch aus der Türkei. „Viele sind das nicht“, räumt Scholl ein. „Aber es geht darum, ein Zeichen zu setzen.“ Alle weiteren BewerberInnen, so Scholl, müssten die Unis selbst unterbringen.
Und zwar am besten schnell, solange noch einzelne türkische WissenschaftlerInnen ein- und ausreisen können: Eine andere Philip-Schwartz-Stipendiatin nämlich, die türkische Soziologin Nil Mutluer, sagte der taz, sie sei nach dem Putschversuch zurück in die Türkei geflogen und wieder ausgereist – obwohl auch sie als Terroristin denunziert wurde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“